Ist das Orderbuch analysiert, können die Computer der Flash Boys sofort Aufträge abfeuern. „In Deutschland ist das Ausspähen der Orderbücher am interessantesten. Anhand der Nachfrage im Buch kann mein Computer ausrechnen, ob der Preis steigt oder fällt“, behauptet ein Hochfrequenzhändler.
Die Börse zeigt ihm die bis zu 20 besten Gebote aller Käufer und Verkäufer. Das ist wie am Ticketschalter, wenn 20 Leute anstehen, der Verkäufer aber nur noch zehn Karten hat. Der Erste in der Schlange kennt Nachfrage und Angebot. Er kauft die restlichen Tickets auf und bietet sie jenen an, die hinter ihm standen – zum höheren Preis.
Flash Boys, die tief ins Orderbuch schauen können, handeln ähnlich. Nach vorn in der Börsenschlange kommen sie, indem sie ihre Preise permanent aktualisieren – im Börsensystem haben Orders mit besseren Preisen Vorrang. Durch ihre Käufe wird das Angebot für die restlichen Kaufwilligen verknappt, der Preis ein wenig getrieben.
„Als ich noch Core hatte, bekam ich nur einen Phantommarkt zu sehen. Allein aufgrund des Ultrastroms habe ich heute wesentlich bessere Handelschancen, meine Systeme senden doppelt so viele Aufträge wie zuvor an die Börse“, sagt der Händler.
Eine Order in 1,1 Mikrosekunden
Börse und Aufsicht haben kein Problem damit, dass der öffentlich-rechtliche Marktplatz so in eine Zweiklassengesellschaft zerfällt. „Solange jedem, der es sich leisten kann, der Zugang ermöglicht wird, ist das nicht zu beanstanden“, sagt BaFin-Chefaufseher Caspari.
Wenn Evgueny Khartchenko zu seinem Arbeitsplatz will, muss er mehrere Sicherheitsschleusen passieren. Nur wenige Mitarbeiter haben Zugang zu dem geheimen Labor des Chipherstellers Intel bei London. Khartchenko ist Technikchef im „Faster Lab“.
Seine Aufgabe: Er puzzelt Hard- und Softwarelösungen zusammen und tunt damit die teuren Hochleistungscomputer der Flash Boys. Für Investmentbanken oder Broker baut Khartchenko Intel-Prozessoren ein, die noch nicht auf dem Markt sind, und testet, welche Kombination am schnellsten mit der Software zusammenarbeitet.
Intel beherbergt im Labor die nächste Generation jener Maschinen, die sich künftig schneller gegen die Orders derjenigen durchsetzen sollen, die nicht Millionen investieren können. Der schnellste Intel-Prozessor etwa braucht nur noch 1,1 Mikrosekunden, um Marktdaten von der Börse zu erhalten und eine Order wegzusenden. Eine Mikrosekunde – das ist eine millionstel Sekunde.
Und doch geht es manchem Kunden nicht schnell genug. Einige tunen die Intel-Prozessoren selber noch mal oder sind für simple Rechenaufgaben auf spezielle Technik umgestiegen, die nur noch entscheidet: ja oder nein, kaufen oder nicht kaufen. 0,4 Mikrosekunden dauere dieser Prozess, weiß Khartchenko.
Nicht nur bei Software und Chips wird aufgerüstet, sondern auch bei den Leitungen. Dafür ist Hugh Cumberland zuständig. Der betreut beim IT- und Netzwerkspezialisten Colt Hochfrequenzhändler. Cumberland hat ihnen mit einer Mikrowellenverbindung zwischen den Großräumen Frankfurt und London einen Herzenswunsch erfüllt: Ihre Handelsdaten fließen nun nahezu lichtschnell von Funkturm zu Funkturm.
Bislang galten Glasfaserkabel als schnellste Variante, durch sie brauchten Daten zwischen London und Frankfurt gut vier tausendstel Sekunden. „Die Mikrowellenverbindung überträgt Daten bis zu 40 Prozent schneller als das Glasfaserkabel“, sagt Cumberland.
Folge: Flash Boys können Daten aus dem Kabel spielend überholen. Natürlich ist die Mikrowelle teurer, doch das ist das kleinste Problem: Hochfrequenzhändler kompensieren den Preis durch ihren Zeitvorteil. „Unsere Kunden würden nicht in die Mikrowellenverbindung investieren, wenn es das Geld nicht wert wäre“, sagt Colt-Mann Cumberland.