Intelligent investieren

Was den Aktienkurs wirklich antreibt

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Die Sache mit dem Zins

Doch noch ist die Frage, wie sich die Aktienkurse bestimmen, nicht vollends geklärt. Es fehlt noch etwas: und zwar der Zins. Blicken wir dazu noch einmal auf Zeile 1: Die Aktie hat am Jahresende – entsprechend den Annahmen – einen Buchwert von 1,15 Euro. Was würden Sie heute für diese Aktie zahlen? Wenn ihre alternative Rendite bei, sagen wir 5 Prozent liegt, werden Sie nicht mehr als 1,09 Euro pro Aktie, also ihren Barwert (1,15 Euro dividiert durch 1,05), zahlen. Liegt der Aktienkurs über 1,09 Euro, fahren Sie besser, wenn Sie ihr Geld zu 5 Prozent anlegen, liegt er darunter, erzielen Sie eine Rendite, die höher ist als 5 Prozent.  

Man muss also nicht nur Bescheid wissen über das Unternehmen – über seine Investitionsrendite und Finanzierung, die heutigen und künftigen Konkurrenten der Firma, das Firmenmanagement etc. Man muss auch verlässlich abschätzen können, wie sich die Marktrendite entwickelt, zu der man alternativ sein Geld investieren kann. Rechnet man beispielsweise mit einem Marktzins von 5 Prozent, und stellt sich künftig heraus, dass er nur 2 Prozent beträgt, läuft man Gefahr, attraktive Investmentgelegenheiten auszuschlagen – und wird verpasste Chancen beklagen müssen.

Und wenn der Marktzins künftig nicht 5 Prozent, sondern zehn Prozent beträgt, wird man die Aktie für 1,09 Euro zu teuer einkaufen, und die eigene Rendite wird weniger als zehn Prozent betragen. Doch als Langfristinvestor braucht man nicht zu verzagen: Langfristig gesehen folgt die mit Aktien erzielbare Rendite dem Eigenkapitalaufbau der Firma an. Wer für fünf, zehn oder mehr Jahre investiert, sollte sein Augenmerk daher auf die Fähigkeit der Unternehmen richten, ihren Gewinn pro Aktie überdurchschnittlich erhöhen zu können, und sich nicht so sehr den Kopf über die – in der Regel nur schwierig abzuschätzende – künftige Entwicklung der Marktzinsen zerbrechen.

Nun wollen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, vermutlich einen Beweis für die voranstehenden Ausführungen sehen. Der lässt sich zwar abschießend nicht geben (und zwar aus erkenntnistheoretischen Gründen nicht), aber immerhin eine Illustration. Die nachstehende Graphik zeigt das bilanzielle Eigenkapital der Firma Berkshire Hathaway und den Kursverlauf der Berkshire-Aktie (A). Man erkennt einen ausgeprägten und positiven Gleichlauf zwischen beiden Zeitreihen. Der ist allerdings nicht „perfekt“. Und dafür gibt es Gründe.

Beispielsweise berücksichtigen die Bilanzzahlen nicht die Wertsteigerungen der aktivierten Vermögensgüter, in den Aktienkursen treten sie jedoch üblicherweise in Erscheinung – und folglich können dann Aktienkurs und bilanziertes Eigenkapital „auseinanderlaufen“. Denkbar ist allerdings auch, dass der Aktienkurs die Ertragspotenziale des Unternehmens überschätzt, und der Aktienkurs sich abkoppelt vom Aufbau des Eigenkapitals der Firma. Die Erklärung kann letztlich nur aus einer kundigen Analyse gewonnen werden.

Aktienkurs Berkshire Hathaway (A) und bilanziertes EigenkapitalAktienkurs in Tausend Dollar, Eigenkapital in Milliarden DollarQuelle: Thomson Financial; eigene Berechnungen

Nach all dem Gesagten ist letztlich in Rechnung zu stellen, dass die Aktienkurse sich auf Basis von Erwartungen bilden: Es geht um die erwartete Investitionsrendite, die erwarteten Finanzierungskosten, den erwarteten Marktzins etc. Erwartungen sind natürlich fehleranfällig. Nicht selten hält übersteigerter Optimismus und Pessimismus Einzug in das Börsengeschehen, die die Aktienkurse stärker auf- und abwärts bewegen, als es der Verlauf des Unternehmenserfolges rechtfertigt. Doch langfristig gesehen gibt es überzeugende Gründe für den Investor, bei der Abschätzung des künftigen Aktienkurses vor allem Eigenkapitalrendite und Eigenkapitalaufbau der Firma fest im Blick zu haben.

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