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Schwindet die Liquidität, steigen die Chancen

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

In Boom-Zeiten ist die Liquidität der Börsen meist hoch. Kommt es zur Kurskorrektur, schwindet sie jedoch mitunter rasch und heftig. Das aber bietet den Investoren, die unabhängig agieren können, große Chancen.

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„Liquidität“ ist ein Wort, das häufig gebraucht wird, das aber vage, das inhaltlich nicht klar bestimmt ist. Beispielsweise liest man in der Zeitung, die „weltweite Liquidität“ sei außerordentlich stark angestiegen in den letzten Jahren, und das berge nun Risiken für die Finanzmarktstabilität. Gemeint ist damit: Die Zentralbanken haben die Kredit- und Geldmengen stark vermehrt und so für eine Vermögenspreisblase gesorgt, die, wenn sie platzt, große volkswirtschaftliche Schäden zutage befördert.

Eine ganz andere Bedeutung hat das Wort „Liquidität“ jedoch mit Blick auf das Handeln in den Finanzmärkten. Man spricht davon, dass die Liquidität eines Wertpapiers „hoch“ sei, wenn der Kaufpreis (Geldkurs) und Verkaufspreis (Briefkurs) des Papiers recht nahe beieinander liegen – wenn also Kaufen und Wiederverkaufen relativ günstig ist. Entsprechend ist die Liquidität eines Papiers „gering“, wenn die Geld- und Briefkurse sich recht weit voneinander entfernen.

Man kann es auch so betrachten: Ein Wertpapier ist „liquide“, wenn man jederzeit große Mengen davon kaufen und verkaufen kann, ohne dass sich dadurch der Marktpreis des Papiers stark verändert. Entsprechend hat ein Wertpapier eine „geringe Liquidität“, wenn schon geringe Kauf- oder Verkaufsmengen den Marktpreis des Papiers merklich heben oder senken. Hinter einer hohen Liquidität verbergen sich meist viele Käufer, Verkäufer und zahlreiche Market-Maker, die fortwährend Kauf- und Verkaufspreise melden.

Liquidität als preisbestimmender Faktor

Die Liquidität ist häufig ein für den Marktpreis eines Wertpapiers bedeutsamer Faktor. Denken wir beispielsweise an eine italienische Staatsanleihe mit einer Laufzeit von 30 Jahren. Wer sie heute kauft, der erhält für die kommenden 30 Jahre eine Rendite von 3,76 Prozent pro Jahr. Derzeit wird das Schuldpapier nachgefragt, vermutlich weil es eine Rendite bietet, die höher ist als bei anderen Euro-Staatsanleihen.

Doch werden nicht alle Anleihekäufer tatsächlich vorhaben, die italienische Staatsanleihe mit 30 Jahren Laufzeit zu der aktuellen Rendite bis zur Endfälligkeit zu halten. Nicht wenige setzen darauf, dass sie das Papier zur passenden Zeit problemlos abstoßen und den Erlös in andere, attraktivere Wertpapiere umlenken können.
Vor diesem Hintergrund sei die folgende Frage gestellt: Würden Sie eine 30-jährige italienische Staatsanleihe, die Ihnen 3,76 Prozent pro Jahr zahlt, auch dann noch kaufen, wenn Sie dieses Papier bis zur Endfälligkeit halten müssen, wenn sie es „unterwegs“ also nicht mehr verkaufen können? Vermutlich würden viele davor zurückschrecken, diese illiquide Anleihe zu kaufen.

Das Risiko wäre zu groß: Schließlich könnte der Euro in den kommenden drei Dekaden inflationiert werden, nicht überleben und auseinanderbrechen. Dieses Risiko wird durch eine laufende Rendite von 3,76 Prozent pro Jahr für die kommenden 30 Jahre vermutlich nicht ausreichend kompensiert.

Wäre also die italienische Anleihe illiquide, wäre das Kaufinteresse an ihr merklich reduziert – und folglich wäre auch der Zins, den der italienische Staat zahlen müsste, um Anleger anzulocken, mitunter deutlich höher. Es gilt die Faustregel: Je höher die Liquidität, desto höher der Preis der Anleihe (und je geringer ihre Rendite).

Die Liquidität spielt auch in anderen Finanzmarktsegmenten eine wichtige Rolle. So mancher Aktionär ist bekanntlich nicht langfristig, sondern kurzfristig orientiert. Er kauft eine Aktie, und sobald sie den erhofften Kursschub verzeichnet hat, will er sie wieder verkaufen. Derartige Handelsstrategien würden nicht stattfinden, wenn der Käufer nicht sicher sein könnte, dass die Aktie liquide ist.

Oder man denke an strukturierte Finanzprodukte – beispielsweise im Zins- und Kreditmarkt. Sogenannte OTC-Produkte (das heißt maßgeschneiderte, quasi über dem Verkaufstisch und nicht über eine Börse gehandelte Produkte) werden auch deshalb nachgefragt, weil sie als liquide gelten: Der Käufer geht davon aus, dass das OTC-Produkt liquide ist, dass „Market Maker“ jederzeit Preise stellen, zu denen gekauft und verkauft werden kann.

Ende der Liquiditäts-Illusion

Liquidität ist keine Konstante. Sie hängt vielmehr von vielen Faktoren ab, die sich im Zeitablauf verändern können. Was heute hoch liquide ist, kann morgen schon illiquide sein; und umgekehrt.

In Hausse-Phasen steigt die Liquidität in der Regel an: Die Stimmung ist gut, alles ist problemlos handelbar, jederzeit stellen viele Broker Kauf- und Verkaufspreise. Anders ist es in der Börsen-Baisse: Broker werden vorsichtiger, wollen keine Positionen mehr auf ihre Bücher nehmen, der Handel wird zusehends illiquide, die Preisschwankungen der gehandelten Papiere nehmen zu. 

Das ist ein Szenario, dass Realität werden kann: Schon seit März 2009 dauert der Börsen-Boom an, eilen die Kurse von Rekordstand zu Rekordstand. Je länger die Hausse, desto wahrscheinlicher wird ein Kursrückschlag – das zumindest legt die Börsengeschichte nahe: Auf den Boom erfolgt nun einmal irgendwann die Ernüchterung.

Nun haben sich allerdings in den letzten Jahren die institutionellen Bedingungen auf den Finanzmärkten maßgeblich verändert. Beispielsweise hat die staatliche Regulierung den institutionellen Investoren (Fonds, Pensionskassen, Versicherungen etc.) immer engere Fesseln angelegt, die ihren Handlungsspielraum beschränken. 

Beispielsweise müssen diese professionellen Anleger ihre Investitionsrisiken nun nach dem Konzept „Value at Risk“ (deutsch: „Wert im Risiko“) steuern. Es handelt sich dabei, vereinfachend gesprochen, um eine an Vergangenheitsdaten orientierte Statistikgröße (die konzeptionell gesehen durchaus einige kritische Frage aufwirft).

Quelle: Thomson Financial

Das Risiko wird dabei gewissermaßen durch „den Blick in den Rückspiegel“ bemessen: Sind die Börsenkurse bereits gefallen, so steigt das regulatorische Risikomaß. Übersteigt es eine kritischen Schwelle, sind die Institutionellen gezwungen, zu niedrigen Kursen zu verkaufen, also Verluste zu realisieren – selbst wenn die Kursverluste nur vorübergehenden Charakter haben und wieder aufgeholt werden können. Das übrigens verschärft tendenziell einen einmal in Gang gekommenen Kursrutsch.   
Zudem hat die Regulierung die Kosten, die Banken im Bereich Eigenhandel und Handelstransaktionen entstehen, ganz erheblich in die Höhe getrieben. Das wiederum hat dazu geführt, dass in den letzten Jahren in vielen Geldhäusern die Handelstische verkleinert oder gar abgebaut und interne Risikolimite erheblich reduziert wurden.

Chancen im Ausverkauf

Bei einem kräftigen Ausverkauf auf den Börsen – was auch immer der Auslöser sein wird, und wann immer es auch dazu kommt – wird sich die Liquidität wahrscheinlich als überraschend gering erweisen: In einem Umfeld hoher Kursschwankungen werden vor allem große Kapitalanleger in ihrem Nachfrageverhalten gehemmt sein.

Die Kursverluste aufgrund verminderter Liquidität werden dadurch wahrscheinlich größer ausfallen, als man es in der Vergangenheit gewohnt war. Für die Investoren, die unabhängig agieren können, ergeben sich dadurch jedoch große Chancen. Denken wir an einen kräftigen und schnellen Kursrutsch von, sagen wir 10 bis 20 Prozent. 

Institutionelle Investoren verkaufen, weil sie regulatorisch dazu gedrängt werden, nicht notwendigerweise, weil sich die Geschäftslage der Unternehmen, deren Aktien sie halten, verschlechtert hätte. Unter solchen Bedingungen können die Aktienkurse mitunter deutlich unter ihren Wert fallen – und sind damit besonders attraktive Investitionsmöglichkeiten.

Um solche Chancen zu nutzen, muss der Investor allerdings gegen den Strom schwimmen können und auch wollen – also dann kaufen, wenn viele nur eines kennen: verkaufen. Das ist sicherlich leichter gesagt als getan. Dessen ungeachtet ist und bleibt das gegen den Strom schwimmen eine wichtige Fähigkeit, um langfristig erfolgreich beim Investieren zu sein – gerade dann, wenn die Liquidität auf den Märkten einmal stark schwinden sollte.

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