Intelligent Investieren

So finden Sie gute und günstige Aktien

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

Langfristig orientierte Investoren aufgepasst: In "großartige Unternehmen" zu investieren, ist für Ihre Investitionsrendite wichtiger als die Jagd nach Schnäppchenpreisen. Wie mit etwas Verstand die Auswahl gelingt.

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Börsenhändler Quelle: dpa

Der Königsberger Philosophieprofessor Immanuel Kant (1724 – 1804) ermahnte seine Studenten, dass sie, wenn sie die Philosophie erlernen wollten, schon selber denken müssten; dass nichts und niemand ihnen diese Aufgabe abnehmen könnte. Kants Hinweis ist nicht nur für angehende Philosophen richtungsweisend, sondern auch für alle, die investieren. Auch beim Investieren muss man sich – will man erfolgreich sein – mit der Materie selbst denkend beschäftigen. Unkritisch dem Alltagsverstand folgen, oder dem zu folgen, was alle sagen, ist ein subtiler Weg, dem Selbstdenken auszuweichen.

Nehmen wir ein Beispiel. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) wird häufig als Entscheidungskriterium angeführt. Das KGV wird ermittelt, indem man den Börsenkurs der Aktie durch den Gewinn pro Aktie des Unternehmens dividiert. Ist das KGV einer Aktie, sagen wir, 20, so bedeutet das, dass man 20 Jahre warten muss, bis der (gegenwärtige) Gewinn den Kaufpreis wieder eingespielt hat. Bei einem hohen (geringen) KGV wird die Aktie als teuer (günstig) angesehen. Und teure Aktien verkauft man, günstige kauft man. Doch was ist von dieser Entscheidungsregel zu halten?

Auf die Urteilskraft kommt es an

Deutsche mögen Gold, halten aber am Sparbuch fest
Fragt man die Deutschen nach attraktiven Anlageformen, sind sie sich weitgehend einig: Das Eigenheim, die betriebliche Altersvorsorge und Gold. Trotzdem setzt das Gros immer noch auf renditearme Sparbücher, Tages- und Festgeldkonten, wie das Investmentbarometer der GfK zeigt. Hier erfahren Sie, wie groß die Diskrepanz zwischen Einschätzung und Umsetzung ausfällt.Zur Studie: Seit 1999 untersucht das GfK-Investmentbarometer, wie sich Privatanleger in den USA und Europa verhalten. Für die aktuelle Studie haben die Konsumforscher im November 2016 in Deutschland, den USA, Italien, Frankreich und Großbritannien rund 5000 Menschen danach befragt, welche Finanzanlagen die Menschen besitzen und wie attraktiv sie verschiedene Sparmöglichkeiten und Finanzprodukte finden. Allein in Deutschland wurden 2000 Menschen befragt. Quelle: dpa
Rang 1: ImmobilienDie attraktivste Form der Geldanlage ist für die Deutschen die eigene Immobilie. 76 Prozent der Befragten gaben an, dass Investitionen in eine private Wohnung oder ein Haus attraktiv oder sehr attraktiv seien. De facto haben hierzulande aber nur 46 Prozent ihr Geld in eine Immobilie investiert. Auch für die Franzosen, Italiener und Briten sind Immobilien die attraktivste Form der Geldanlage. Quelle: dpa
Rang 2: Betriebliche AltersvorsorgeUm sich auf dem Altenteil nicht auf die gesetzliche Rente verlassen zu müssen, sorgen Millionen Bundesbürger vor. Die beliebteste Form: die betriebliche Altersvorsorge, auf die seit 2002 jeder Arbeitnehmer qua Gesetz Anspruch hat. Arbeitnehmer können einen Teil ihres Gehalts oder Sonderzahlungen als Beiträge in ihre betriebliche Altersvorsorge einzahlen. Der Arbeitgeber wiederum legt diesen Betrag für die Arbeitnehmer an – der Arbeitnehmer spart zudem Steuern und Sozialabgaben. 42 Prozent der Befragten gab an, die betriebliche Altersvorsorge für attraktiv oder sehr attraktiv zu halten. Die Realität zeigt: Aktuell nutzt sie nicht einmal jeder Fünfte. Nur 18 Prozent sind es. Quelle: obs
Rang 3: GoldGold gilt vor allem in unsicheren Zeiten als sichere Anlageform. 38 Prozent der Deutschen finden es als Anlageform attraktiv. Allerdings sind es nur 6 Prozent, die ihr Geld wirklich in Gold anlegen – nirgendwo ist die Diskrepanz zwischen Ideal und Realität so groß. Quelle: REUTERS
Rang 4: BausparvertragDer Bausparvertrag ist insbesondere bei den Deutschen beliebt – was laut den Autoren das Bedürfnis der Deutschen nach sicheren Anlagen unterstreicht. 32 Prozent geben an, Bausparen attraktiv oder sehr attraktiv zu finden – und 29 Prozent legen ihr Geld auch wirklich so an. Quelle: dpa
Rang 5: Private RentenversicherungDie private Rentenversicherung sagt immerhin 28 Prozent der Deutschen als Form der Geldanlage zu. 21 Prozent der Befragten sorgen tatsächlich privat für ihre Rente vor. Quelle: dpa
Rang 6: Private KapitallebensversicherungDie private Kapitallebensversicherung ist eine Kombination aus Kapitalaufbau und Hinterbliebenenschutz. 21 Prozent der Befragten empfindet sie als eine attraktive Geldanlage – genauso viele legen einen Teil ihres Geldes auch dort an. Quelle: dpa

Schon die Ermittlung des KGV ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Welcher Gewinn pro Aktie soll verwendet werden? Wenn der Gewinn zum Beispiel durch Einmaleffekte erhöht ist, fällt das KGV niedrig aus, die Aktie wird als zu billig ausgewiesen. Oder: In inflationären Phasen werden Unternehmensgewinne in der Regel zu niedrig ausgewiesen – denn die Abschreibungen decken nicht die gestiegenen Wiederbeschaffungskosten. Der Unternehmensgewinn und damit das KGV werden künstlich aufgebläht. Allein auf Basis des KGV zu investieren, kann also leicht zu einer falschen Investitionsentscheidung führen.

KGV zur Marktbeurteilung

Häufig wird auch das KGV eines Unternehmens mit dem KGV des Gesamtmarktes verglichen. Liegt das KGV des Unternehmens über (unter) dem Markt-KGV, lautet das Urteil nicht selten, das Unternehmen sei zu teuer (günstig), und ein Verkauf (Kauf) sei angeraten. Nehmen wir an, ein Unternehmen hat ein KGV von 30, während das Markt-KGV bei 15 liegt. Begründet werde das hohe KGV des Unternehmens mit erhöhten Zukunftsgewinnen (zum Beispiel aufgrund von anstehenden Produktinnovationen). Ist es aber deswegen schon zu teuer?

Wer mit Ja antwortet, der unterstellt, dass das KGV des Unternehmens auf das Markt-KGV zurückfällt, sobald sich die Erwartung der erhöhten Gewinne bewahrheitet. Nun gibt es aber Unternehmen, die dauerhaft ein höheres KGV als der Markt aufweisen, weil sie in der Lage sind, dauerhaft eine Eigenkapitalverzinsung zu erzielen, die höher ist als die anderer Unternehmen. Solch ein Unternehmen kann daher trotz eines im Vergleich zum Markt-KGV hoch erscheinenden KGVs immer noch billig sein und für eine Investition in Betracht kommen.

Das KGV wird aber nicht nur herangezogen, um zu beurteilen, ob einzelne Aktien zu teuer oder zu billig sind, sondern Anleger verwenden das KGV häufig auch, um abzuschätzen, ob der gesamte Aktienmarkt angemessen bewertet ist oder nicht. Liegt dabei das aktuelle Markt-KGV über (unter) seinem historischen Durchschnitt, werden die Kurse als teuer (billig) eingestuft – und die Empfehlung lautet Verkauf/Nichtkauf (Kauf). Ein solches Vorgehen setzt zwar an einem gut begründeten Gedanken an: Gesamtwirtschaftlich betrachtet, können sich Aktienkurse und Unternehmensgewinne nicht beliebig weit und dauerhaft auseinanderentwickeln.

Suche nach dem "richtigen" KGV

Doch die entscheidende Frage ist dabei: Wo liegt das „richtige“ Markt-KGV? Bei 10, 15 oder bei 20 oder 30? Und vor allem: Ist das KGV im Zeitablauf eine Konstante? Wie schwierig die Beantwortung dieser Fragen ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das KGV nicht unabhängig vom Zins ist. Befindet sich beispielsweise der Zins auf einem niedrigen Niveau – weil die Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik den Zins herunterdrücken –, wird auch das KGV höher ausfallen (im Vergleich mit einer Situation, in der die Zinsen nicht künstlich gedrückt sind). Diesen Zusammenhang illustriert die nachstehende Grafik.

Sie zeigt für die Zeit Februar 1973 bis September 2017 das KGV für den US-Aktienmarkt sowie den 1-Jahreszins in Prozent. Zwei Dinge sind (durch die Methode des genauen Hinschauens) zu erkennen. Zum einen besteht zwischen den beiden Zeitserien ein negativer Zusammenhang: Steigende Zinsen gingen einher mit einem fallenden KGV, und umgekehrt. Zum anderen weisen beide Zeitreihen einen Trend auf: Das KGV ist trendmäßig gestiegen, der Zins trendmäßig gefallen. Wer darauf gesetzt hat, das Auf und Ab von KGV und Zins werde sich stets auf einen konstanten Mittelwert zurückbilden, wurde enttäuscht.   

Diese wenigen Überlegungen mögen bereits deutlich gemacht haben, dass zwar das KGV eine für Investitionsentscheidungen grundsätzliche sinnvolle Sichtweise zum Ausdruck bringt: Der Kaufpreis der Aktien muss in einem ökonomisch angemessenen Verhältnis zum erwarteten Ertrag (in Form des Gewinns pro Aktie) stehen. Jedoch – und das sollte ebenfalls ersichtlich geworden sein – ist das praktische Verwenden des KGV alles andere als problemlos. Unkritisch verwendet, ist die Gefahr sogar recht groß, dass der Blick auf das KGV zu systematisch falschen Investitionsentscheidungen verleitet. Das kann vor allem in der langen Frist dem Anleger erhebliche (Opportunitäts-)Verluste bescheren.

Wie die Profis mit abdiskontierten Dividenden

Glücklicherweise gibt es ein durchdachteres Verfahren: das „Dividenden-Diskontierungs-Modell“, das bereits 1937 vom US-amerikanischen Ökonomen John Burr Williams (1900 – 1986) vorgelegt wurde. Danach bestimmt sich der (fundamentale) Wert einer Aktie als die Summe aller abdiskontierten Dividenden (beziehungsweise Gewinne), die ein Unternehmen künftig erzielt. Will man Williams Modell in der Praxis anwenden, muss man die künftigen Gewinne schätzen und einen geeigneten Diskontierungszins festlegen. Das ist zwar mit einigem Aufwand verbunden, hat jedoch auch eine positive, eine disziplinierende Wirkung.

Jeder, der sich mit dem Dividenden-Diskontierungs-Modell befasst, wird beispielsweise rasch merken, dass man sich intensiv mit einem Unternehmen beschäftigen muss, um halbwegs verlässliche Schätzungen der künftigen Gewinne abgeben zu können. Bei den einen Unternehmen ist das relativ einfach, bei anderen hingegen schwierig, bei wieder anderen geradezu unmöglich. Sie werden also selbst rasch bemerken, bei welchen Unternehmen beziehungsweise Branchen Sie sich auskennen (und Grund haben zu investieren) und in welchen nicht (und Grund haben sich fernzuhalten).

Zudem leitet Sie das Dividenden-Diskontierungsmodell an, sich eingehend Gedanken zu machen über den Zins, mit dem Sie die geschätzten Zukunftsgewinne abdiskontieren. Aktuell muss der Investor die Frage beantworten: Soll ich mit einem niedrigen Zins von, sagen wir, 0,5 Prozentpunkten abzinsen? Oder soll ich einen langfristigen Durchschnittszins von, sagen wir, fünf Prozent verwenden? Je höher der gewählte Diskontierungszins, desto niedriger wird auch der faire Wert der Aktie ausfallen – und entsprechend werden bei einem niedrigen Zins Aktien interessant, die bei einem höheren Zins unattraktiv sind.

Der Zauber „großartiger Unternehmen“

Wenn nun aber das KGV keine Messlatte ist, mit der sich einfach und problemlos lohnende Investitionen aufspüren lassen, und wenn das Anwenden des Dividenden-Diskontierungsmodell erheblichen Aufwand und Expertise erfordert – wie soll der Investor vorgehen? Wenn Sie in herausragende Unternehmen investieren und dabei einen langen Atem haben (also einen Investitionshorizont von fünf, zehn oder mehr Jahren haben), sind Sie in einer glücklichen Position: Denn je länger Ihr Investitionshorizont ist, desto weniger bedeutsam ist der Preis, zu dem Sie ihre Aktie kaufen, für Ihre Investitionsrendite.

Investorenlegende Charlie Munger (*1924) formuliert das wie folgt: „It's far better to buy a wonderful company at a fair price than a fair company at a wonderful price”. Es ist viel besser, so Munger, eine wunderbare Firma zu einem halbwegs guten Preis zu kaufen als eine halbwegs gute Firma zu einem wunderbaren Preis. Diese wichtige Einsicht soll das nachstehende Beispiel illustrieren. Nehmen wir einmal an, das Unternehmen erzielt heute einen Gewinn von zehn Euro, und die (erwartete) Eigenkapitalverzinsung in den kommenden Jahren beträgt 15 Prozent pro Jahr.

Langfristige Aktienanlage erleichtert die Auswahl

Kauft man zu zehn Euro, beläuft sich die durchschnittliche Rendite pro Jahr auf 15 Prozent. Bezahlt man nur fünf Euro (weil man im „Crash“ kauft), beträgt die Rendite nach fünf Jahren 32,1 Prozent, nach zehn Jahren 23,3 Prozent und nach 30 Jahren 17,7 Prozent. Kauft man das Unternehmen hingegen zu teuer, also beispielsweise für 20 Euro, liegt die durchschnittliche Rendite nach fünf Jahren bei 0,1 Prozent, nach zehn Jahren bei 7,3 Prozent und nach 30 Jahren bei 12,4 Prozent. Man erkennt: Je länger also der Investitionshorizont ist, desto stärker nähert sich die Investitionsrendite der Eigenkapitalverzinsung des Unternehmens an; und desto geringer ist die Bedeutung des Kaufpreises der Aktie für die Investitionsrendite.

Wie aber lassen sich großartige Unternehmen, die dauerhaft eine hohe Eigenkapitalrendite erzielen können, aufspüren? Das ist kein Hexenwerk. Investor-Legende Philipp A. Fisher (1907 bis 2004) hat die grundlegenden Kriterien, mit denen sich großartige Unternehmen aufspüren lassen, bereits in seinem Klassiker der Investmentliteratur Common Stocks and Uncommon Profits im Jahr 1958 ausführlich dargelegt. Er gibt Ihnen als Investor eine zeitlose Anforderungsliste an die Hand, die ein Unternehmen erfüllen muss, damit es als großartiges Unternehmen eingestuft werden kann.

Damit schließt sich der Kreis. Ob Sie nun Ihr Geld in Eigenregie investieren oder es einem Vermögensverwalter anvertrauen: Sie kommen nicht umhin, sich mit grundlegenden Fragen des Investierens auseinanderzusetzen; selbst wenn Sie ihre Geldanlage auf einen Vermögensverwalter auslagern, treffen Sie (bewusst oder unbewusst) eine Entscheidung, auf welche Investitionsprinzipien Sie sich einlassen. Es führt kein Weg daran vorbei, sich eingehend damit zu beschäftigen, wie man intelligent investiert

Immanuel Kant, der herausragende Philosoph der Neuzeit, schrieb in seiner Prolegomena (1783): „Es ist niemals zu spät, vernünftig und weise zu werden; es ist aber jederzeit schwerer, wenn die Einsicht spät kommt, sie in Gang zu bringen.“ Am besten ist es also, man fängt als Investor sogleich und ohne Umschweife damit an, den besseren Einsichten zu folgen und sie in die Tat umzusetzen. Denn Umdenken braucht Zeit. Und gerade der Zeitfaktor ist beim Investieren eine kritische Größe – eine Größe, die Fehler nicht verzeiht, gerade nicht langfristig orientierten Investoren.

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