Intelligent investieren

Was der Investor von Oscar Wilde lernen kann

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

Um an der Börse erfolgreich zu investieren, müssen Anleger zwischen dem Wert und dem Preis einer Aktie unterscheiden. Wie Value Investoren Börsenschwankungen nutzen und wie Anleger gute Investments erkennen.

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Die Märkte für Geduldige
Wo lässt es sich am besten nach Rendite fischen?Zwischen 1900 und Ende 2016 gewannen die Aktienmärkte weltweit im Schnitt 5,1 Prozent pro Jahr, die Inflation herausgerechnet. Zu diesem Ergebnis kommt die Credit Suisse in ihrem „Global Investment Returns Yearbook“ 2017, das im Februar veröffentlicht wurde. Für die Berechnung stützt sich die Schweizer Bank auf die Daten der Professoren Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton von der London Business School. Der Datensatz erfasst die Performance von 70.000 Börsentagen und vergleicht die Aktienmärkte aus 21 Ländern. Wer trotzte den Krisen der vergangenen Jahrzehnte besonders gut? Ein Überblick. Quelle: dpa
Österreich Quelle: Wiener Börse
Italien Quelle: REUTERS
Belgien Quelle: Fotolia
Frankreich Quelle: REUTERS
Deutschland Quelle: dpa
Portugal Quelle: dpa


Der irische Schriftsteller Oscar Wilde (1854 – 1900) lässt in seinem Bühnenstück „Lady Windermere’s Fan“ einen der Darsteller, Lord Darlington, sagen, was ein Zyniker ist: Es ist ein Mann, der den Preis von allem kennt, nicht aber den Wert der Dinge. Eine überaus lehrreiche Erkenntnis – auch und gerade für alle, die investieren. Denn anders als der Zyniker muss der erfolgreiche Investor nicht nur den Preis, sondern vor allem auch den Wert genau kennen.

Der Preis, der für zum Beispiel eine Aktie oder eine Anleihe an der Börse zu zahlen ist, lässt sich recht problemlos und quasi jederzeit in Erfahrung bringen: Er ist der Geldbetrag, für den eine Aktie oder eine Anleihe den Besitzer gewechselt hat. Der Börsenpreis entspricht jedoch nicht dem (inneren) Wert der gehandelten Papiere! Warum nicht, dass zeigt das folgende einfache Beispiel.

Die Google-Aktie notierte am 7. April 2017 bei 825 US-Dollar. Das bedeutet, dass zu diesem Preis an diesem Tag eine ganz bestimmte Anzahl von Google-Aktien den Besitzer gewechselt hat. Für diejenigen, die die Aktie gekauft haben, war die Google-Aktie mehr wert als 825 US-Dollar pro Aktie. Ansonsten hätten sie ja nicht ihre US-Dollar hergegeben im Tausch gegen Google-Aktien.

Die Kursraketen seit der Finanzkrise

Für diejenigen, die verkauft haben, verhielt es sich genau umgekehrt: Sie schätzten die 825 US-Dollar höher als die Google-Aktie. Ansonsten hätten sie nicht ihre Google-Aktien gegen US-Dollar eingetauscht. Man erkennt: Der Börsenkurs zeigt lediglich an, zu welchem Geldpreis die Papiere den Besitzer gewechselt haben, er zeigt jedoch nicht den Wert an, den die Tauschpartner der Aktie zugewiesen haben.

Was aber, so werden Sie fragen, ist denn der (innere) Wert der Aktie? Die Antwort lautet: Der Wert der Aktie bestimmt sich als Summe der abdiskontierten Zahlungen, die das Unternehmen künftig erzielen wird. Diese Betrachtungsweise geht auf den US-amerikanischen Ökonomen John Burr Williams (1900 – 1989) zurück, und ist heute allgemein akzeptiert, bei Theoretikern und Praktikern gleichermaßen.

Welche Beziehung besteht nun zwischen dem Börsenkurs einer Aktie und ihrem Wert? In der Regel ist die Börse recht gut in der Lage, den Börsenpreis nahe an den Wert der Aktie zu bringen. Allerdings gibt es auch immer mal wieder Phasen, in denen der Börsenpreis der Aktie mitunter stark von ihrem Wert abweicht. Mit anderen Worten: Es ist keineswegs so, dass der Börsenpreis zu jedem Zeitpunkt dem Wert der Aktien entspricht.

Investitionserfolg in Abhängigkeit vom Kaufpreis
Kaufpreis
pro Aktie
Anzahl
der Aktien
10 Jahre15 Jahre20 Jahre30 JahreEffektive
Rendite1)
10010025.93741.77267.275174.4949,5%
8012532.42152.215840.934218.11810,3%
5020051.87583.545134.550348.98811,8%
20500129.687208.862336.375872.47015,0%
1258020.75033.41853.820139.5958,8%
2005012.96920.88633.63887.2477,2%
Wir nehmen an, 10.000 Euro werden in die Aktie eines Unternehmens investiert, das den Gewinn pro Aktie pro Jahr um 10 Prozent steigern kann. grün: billig; rot: teuer 1) Stetige Verzinsung über die Laufzeit von 30 Jahren.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Beispielsweise steigt in Phasen des „Überschwangs“ der Börsenkurs über den Wert der Aktie. In Phasen des Pessimismus fällt hingegen der Börsenkurs unter den Wert der Aktie. Manchmal werden neue Informationen auch fehl- oder überinterpretiert. Die Börsenkurse können beispielsweise aufgrund von Gewinnenttäuschungen übermäßig absacken. Oder Sorgen vor politischen Risiken führen zu einem Ausverkauf an den Börsen, obwohl viele Unternehmen tatsächlich keinerlei Verschlechterung ihrer Gewinnsituation zu befürchten haben.

Den Wert der Aktie zu kennen, ist vor allem aus zwei Gründen wichtig für den umsichtigen Investor. Erstens: Ohne den Wert der Aktie zu kennen, kann man keine sinnvolle Investitionsentscheidung treffen. Selbst das beste Unternehmen ist, wenn es zu teuer gekauft wird, keine erfolgreiche Investition. Investieren macht nur dann Sinn, wenn man einen Preis für die Aktie zahlt, der unter ihrem Wert liegt.

Fingerspitzengefühl und eine Sicherheitsmarge sind gefragt

Zweitens: Kennt man den Wert der Aktie, kann man Schwankungen der Börsenkurse zum eigenen Vorteil nutzen. Rutscht beispielsweise der Börsenkurs unter den Wert der Aktie, so lohnt sich ein Kauf. Mit anderen Worten: Börsenpreisschwankungen lassen sich als Chance nutzen. Sie sind keine Gefahr, sondern vielmehr hilfreich, mit seinen Anlageentscheidungen attraktive Renditen erzielen zu können.

Wie aber lässt sich nun aber der Wert der Aktie konkret ermitteln? Das ist keine leichte Aufgabe. Man muss in der Lage sein, die künftigen Zahlungsströme, die das Unternehmen erwirtschaften kann, hinreichend verlässlich abzuschätzen. Und man muss zum anderen auch in der Lage sein, den „richtigen“ Zins zum Abdiskontieren der künftigen Zahlungen zu wählen. Beides erfordert Kenntnis, Erfahrung und Fingerspitzengefühl.

Doch künftige Faktoren wie Umsatz und Gewinn sind bekanntlich unsicher und mitunter nur sehr schwer vorherzusagen. Auch die Wahl des richtigen Diskontierungszinssatzes ist ein überaus schwieriges Unterfangen. Weil die Wertermittlung der Aktie stets mehr oder weniger ungenau ausfallen muss, sollte der umsichtige Investor mit einer „Sicherheitsmarge“ arbeiten. Was heißt das?

Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes verglich die Einschätzung von Aktien mit der von Kandidatinnen eines Schönheitswettbewerbs. Das ist zwar einprägsam, aber irreführend. Wie Aktienkäufer stattdessen besser vorgehen.
von Thorsten Polleit

Das heißt, dass nur dann in eine Aktie investiert wird, wenn der Abstand zwischen dem Preis, den man für die Aktie an der Börse zahlt, deutlich unter ihrem Wert liegt. Dadurch steigt nicht nur die Investitionsrendite. Es verringert sich auch das Investitionsrisiko: Ist die Sicherheitsmarge hinreichend groß gewählt, schützt das den Investor vor Fehleinschätzungen – wie beispielsweise davor, den künftigen Gewinn überschätzt zu haben.

Schön und gut, werden Sie sagen. Aber nicht jeder hat die Zeit, nicht jeder kann das. Wenn Sie so denken und dennoch überzeugt ist, dass das erfolgreiche Investieren davon abhängt, dass man Wert der Aktie hinreichend genau kennt, sollten Sie mit guten Value Investoren zusammenarbeiten. Gute Value Investoren machen nämlich genau das: Sie suchen und ermitteln den Wert von Aktien und investieren nur dann, wenn der Preis unter dem Wert liegt.

"Nächster Abwärtszyklus vor der Tür"

Sie sollten dann jedoch auch ein dickes Fell haben. Denn Value Investoren gehen antizyklisch vor: Wenn alle in Panik verkaufen, stehen sie auf der Käuferseite. Und sie rennen auch nicht jedem Trend, jeder Mode hinterher, sondern investieren langfristig im Wissen, dass die Börsenkurse um den Wert der Aktien schwanken. Mit anderen Worten: Sie müssen als Value Investor Börsenkursschwankungen aushalten können.

Gute Value Investoren sind, um auf Oscar Wilde zurückzukommen, also keine Zyniker. Sie sind aber auch keine Sentimentalisten, wie ein anderer Darsteller in Wildes Bühnenstück, Cecil Graham, sie beschreibt: Diejenigen, die einen absurden Wert in allem sehen und nicht den Marktpreis der Dinge kennen. Gute Value Investoren kennen beides genau: Preis und Wert, die unverzichtbaren Elemente für langfristig erfolgreiches Investieren.

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