Interview mit Anlageexperte Harald Preißler „Das Störfeuer kommt, aber eben kein Flächenbrand“

Endet die Rally nach dem Sommer? Der Börsenherbst wird zumindest ruppig, davon ist Harald Preißler, Anlagestratege der Fondsgesellschaft Bantleon, überzeugt. Wie Anleger sich jetzt positionieren sollten.

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Immer mehr Experten warnen vor einem Crash. Quelle: dpa

Geopolitische Krisen, Rekordstände an den Finanzmärkten, die Zinspolitik der Notenbanken – Themen, die Börsianer derzeit umtreiben. Harald Preißler hat gerade mit seinem Investmentteam die politische Lage in Italien diskutiert. Noch ein Thema, das die Märkte immer wieder bewegt. Kocht die Schuldenkrise erneut hoch oder wird die Zinswende in den USA den Börsenaufschwung jäh abwürgen? Der Chefvolkswirt und Leiter Anlagemanagement der Fondsgesellschaft Bantleon sieht nicht so schwarz, wie viele Investoren derzeit – und das liegt nicht am Ausblick auf den Zugerberg aus seinem Büro im schweizerischen Ort Zug. Seine Sicht wird derzeit nur von einer Baustelle mit großen Kränen etwas getrübt. Und auch seine Prognose für die kommenden Monate beinhaltet einige Störfaktoren.

Immer mehr prominente Marktteilnehmer warnen vor kräftigen Kursrückgängen oder sogar einem Crash. Ist diese Sorge berechtigt?
Nein, diese Begeisterung, mit der viele Crashpropheten jetzt den Untergang voraussagen, ist ein bisschen simpel. Dass so viele Menschen damit rechnen und ihn herbeireden wollen, ist auch der Grund, warum kein Crash kommt.

Das müssen Sie erklären.
Zu viele Investoren sind bereits vorsichtig positioniert, damit fehlen die Verkäufer. Unabhängig davon sind die Märkte in einer gesunden Verfassung: Die Konjunktur brummt, die Unternehmensgewinne steigen, und die politischen Risiken, die sehr lange über den Märkten schwebten, haben sich nicht bewahrheitet. Das Umfeld ist geradezu ideal. Insofern kann ich diesen Cassandra-Rufen relativ wenig abgewinnen.

Aber dauert die Rally im historischen Vergleich nicht schon viel zu lang? Sind die Märkte nicht zu weit gelaufen?
Nur weil der Aufschwung schon acht Jahre auf dem Buckel hat, ist das kein Grund für einen Crash. Es gab auch schon längere Hausse-Phasen. Lang anhaltende, strukturelle Börsenaufschwünge endeten in der Regel erst nach einer längeren Phase mit steigenden Zinsen. Die Zinsen sind der Faktor, der den Märkten das Wasser abgräbt – ganz still und heimlich. Dieser Faktor fehlt momentan komplett. Deswegen kann ich mir zwar Korrekturen vorstellen – und zwar auch relativ bald –, aber einen großen, nachhaltigen Einbruch sehe ich nicht, weil wir von der geldpolitischen Seite noch immer viel zu viel Rückenwind haben.

Wie stark könnte eine Korrektur ausfallen?
Der Dax könnte in einem Umfeld etwas nachlassender Konjunkturdaten, die wir für das zweite Halbjahr bei Bantleon seit längerer Zeit prognostizieren, zwischen 15 und 20 Prozent nachgeben. Das wäre durchaus normal. Mehr kann ich mir aber aufgrund des soliden Makrobildes nicht vorstellen.

Es sind nicht alle Märkte, alle Branchen gleich „teuer“. Wo sehen Sie vor allem Überbewertungen? Wo könnte die Korrektur besonders heftig ausfallen?
Ich erwarte eine marktbreite Korrektur, die alle Branchen treffen wird. Wenn die Konjunktur lahmt, schadet das allen Segmenten. Genau das erwarte ich für das zweite Halbjahr.

Wie sieht es bei Technologieaktien aus? In den USA haben die zuletzt recht stark verloren. Ein Favoritenwechsel?
Die Bewegung, die wir dort in den vergangenen zwölf Monaten gesehen haben, war enorm dynamisch – immerhin ein Plus von fast 40 Prozent! Das verführt zu Gewinnmitnahmen, deswegen sind auch mal ein paar schwächere Tage möglich, zumal bei Technologietiteln die Volatilität ohnehin höher ist. Davon sollte man sich aber nicht ins Bockshorn jagen lassen, zumindest solange nicht, wie die US-Wirtschaft auf Wachstumskurs bleibt.


Unsicherheitsfaktor Geldpolitik

Und wenn nicht?
Erst dann, wenn die Konjunktur nachhaltig nach unten dreht, haben wir größere Probleme, dann könnte aus einer Korrektur in der Tat ein Crash erwachsen. Ich gehe davon aus, dass sich die US-Konjunktur in den kommenden sechs bis zwölf Monaten unspektakulär entwickeln wird. Gerade deswegen kann ich mir keinen Einbruch am Aktienmarkt vorstellen.

Die Konjunktur läuft, und die nächste Zinserhöhung in den USA steht an. Nimmt die Zinswende nun Fahrt auf?
Nein, das Straffungstempo bleibt weit hinter allen früheren Zyklen zurück. Da wir weder ein übertrieben hohes Wachstum haben noch ein besorgniserregendes Inflationsumfeld, kann die Fed den Normalisierungsprozess gemächlich fortsetzen. Nach der Erhöhung im Juni gibt es daher wahrscheinlich im September einen weiteren Zinsschritt.

Und wie schaut es mit der Notenbank-Bilanz aus? Die ist aufgrund der Anleihekäufe noch immer extrem aufgebläht.
Das stimmt, noch legt die Fed das Geld aus freiwerdenden Anleihen gleich wieder an, das sind rund 20 Milliarden Dollar jeden Monat – ein kleines QE-Programm. Wir rechnen damit, dass die US-Notenbank in den nächsten Monat den Modus für diesen Ausstieg präzisiert. Das wird nicht von 100 auf null runtergehen, sondern ebenfalls langsam vollzogen – wahrscheinlich ab 2018. An den Märkten wird das aber vermutlich keine größeren unmittelbaren Auswirkungen haben.

Es droht also kein Ungemach aus den USA?
Vorausgesetzt uns bleibt tatsächlich ein Zinsschock erspart. Die Produktivität der Unternehmen zieht endlich wieder an, die Gewinndynamik legt zu, das stützt die Investitionen und den Arbeitsmarkt. Deswegen bin ich auch optimistisch, dass wir die zyklischen Höchststände an den US-Aktienmärkten noch nicht gesehen haben.

Schauen wir nach Europa. Auch hier läuft es gut, aber wenn wir auf die Euro-Zone schauen, läuft es eben nicht überall gleich gut… Droht ein Störfeuer für die Börsen-Rally?
Das Störfeuer kommt, aber eben kein Flächenbrand. Auch hier würde ich nicht einzelne Branchen oder Länder hervorheben, sondern eher von einer breit angelegten Abkühlung ausgehen. Wenn Sie sich die konjunkturellen Frühindikatoren anschauen – Einkaufmanagerindizes oder Geschäftsklimaindizes beispielsweise - , die alle hochgradig mit den Börsen korrelieren, sehen wir überall langjährige Höchststände. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Indikatoren von diesem Niveau aus weiter steigen. Dafür bräuchte es noch mehr Optimismus, der dann für frischen Schub sorgt. Der glimpfliche Wahlausgang in Frankreich war so ein Ereignis, das an den Börsen auch entsprechend gefeiert wurde. Neue Impulsgeber sehe ich aber nicht. Hinzu kommt, dass die Euro-Aufwertung der vergangenen Monate das Exportgeschäft erschwert und gleichzeitig das Wachstum in China an Schwung verliert. Alles in allem spricht das für einen konjunkturellen Durchhänger und daran anknüpfend ein erhöhtes Rückschlagsrisiko für die europäischen Börsen.

Wir müssen also spätestens im vierten Quartal mit einem Rücksetzer rechnen?
Wahrscheinlich sogar schon im dritten Quartal. Die Märkte werden den Sommer über brauchen, um zu erkennen, dass die Phase endet, in der wir mit immer besser werdenden Konjunkturnachrichten verwöhnt wurden. Wenn der Nachschub an positiven Nachrichten versiegt, dann nimmt die Ungeduld zu, die Anleger werden nervöser, und es kommt häufiger zu Gewinnmitnahmen. Und das wird dazu führen, dass wir schon im dritten Quartal sehr viel holprigere Börsen sehen. Ob der prognostizierte Rückgang der Aktienkurse schon im dritten Quartal mit voller Wucht zuschlägt oder erst im vierten, das bleibt abzuwarten. Aber die Prognose steht, es wird ruppiger werden.

Schwächere Konjunkturdaten und eine ruppigere Börse – wie wird die Europäische Zentralbank darauf reagieren?
Das hängt davon ab, was genau mit dem Makroumfeld passiert. Wenn wir eine Konsolidierung der Konjunktur und an den Märkten sehen, wird die EZB möglichst wenig über ein Ende der Anleihekäufe im kommenden Jahr sprechen. Denn das würde zusätzlich für Verunsicherung sorgen. Wenn aber echte Konjunktursorgen aufkommen und das Wachstum in der Euro-Zone wieder Richtung Nulllinie geht, dann wird das Signal kommen, dass die Anleihekäufe im kommenden Jahr weitergehen. Das Tapering dürfte dann auf das zweite Halbjahr 2018 verschoben werden oder sogar gleich auf 2019. Im Extremfall könnten die Anleihekäufe sogar noch einmal aufgestockt werden.


30 bis 40 Prozent Aktienquote

Den deutschen Sparer interessiert vor allem eines: Wann werden wir wieder Zinsen sehen?
Das dauert. In unserem Basisszenario rechnen wir damit, dass frühestens Ende 2018 eine erste Zinserhöhung kommen könnte.

Aber wahrscheinlich auch nur ein kleines „Schrittchen“, wie in den USA…
Genau, da reden wir wahrscheinlich von zehn Basispunkten, also von minus 0,40 auf minus 0,30 Prozent. Bis wir die Nulllinie wieder überschritten haben, wird es wahrscheinlich bis spät ins Jahr 2019 dauern. Wenn wir Konjunkturschwankungen einkalkulieren, dann kann es sogar bis 2020 dauern.

Die Nullzinsphase dauert also noch ein paar Jahre an. Könnte das Rückenwind für die deutsche Aktienkultur sein?
Davon gehe ich aus. Man darf nicht vergessen, dass in den kommenden Jahren sehr viel Geld vererbt wird. Die Erbengeneration, die vor einem Wiederanlage-Problem steht, hat ein anderes Anlageprofil als ihre Eltern oder Großeltern. Das ist sozusagen ein biologischer Faktor, der der Aktienkultur und den Aktienmärkten hilft. Und das Zinsniveau tut sein Übriges. Zudem horten viele Menschen hohe Bargeldbestände und warten auf die Korrektur für den Wiedereinstieg. Das ist ein weiterer Faktor, der mich dazu bringt, für die nächsten zwölf bis 18 Monate keinen Crash zu sehen.

Was empfehlen Sie sehr konservativen Anlegern, dem deutschen Sparer? Auch wenn das pauschal nur schwer zu beantworten ist…
Ein konservativer Mischfonds als Maßstab hat eine Aktienquote von 30 bis 40 Prozent. Das passt zu einem normalen Anleger. Damit kommt man auf ein Risiko von etwa zehn bis fünfzehn Prozent, gemessen am Maximum Drawdown, also dem maximalen Vermögensverlust, den man tolerieren muss. Man läuft also nicht Gefahr, plötzlich ein Viertel oder gar die Hälfte seines Vermögens zu verlieren, nur weil die Börsen stark schwanken. Wenn wir diese Aktienquote zugrunde legen, dann ist mit dem Ausblick auf das zweite Halbjahr nicht die Zeit, um Aktienquoten zu erhöhen. Jetzt ist eher die Zeit, um Gewinne mitzunehmen und die Aktienquote zu reduzieren, sie auf ein neutrales Niveau von 15 bis 20 Prozent zu halbieren und erst nach einem größeren Rücksetzer wieder zu erhöhen.

Für einen Privatanleger ist es aber psychologisch nicht so einfach, eine solche Strategie umzusetzen. Sie müssten verkaufen, wenn es super läuft, und kaufen, wenn es nicht mehr läuft.
Das funktioniert ohnehin nur dann, wenn man bereit ist – und jetzt wird es unangenehm – auch auf der Zinsseite entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Sie brauchen natürlich in einem Umfeld, wie wir es für das zweite Halbjahr erwarten, auch Bundesanleihen.

Da ist die Rendite aber doch minimal, bei kurzen Laufzeiten sogar negativ.
Langlaufende Bundesanleihen tragen aber über den Kurseffekt zu einer Risikominimierung im Depot bei. An dieser Wirkung, also Kursgewinne als Reaktion auf eine schwächere Konjunkturdynamik, hat sich auch in Zeiten ultraexpansiver Geldpolitik nichts geändert. Im Gegenteil. Die Ausschläge werden sogar eher größer, weil die EZB permanent Bundesanleihen kauft. Wenn dann auch noch die Profianleger und Privatanleger in Bundesanleihen investieren, sollte man eher am Anfang dabei sein, vor den zu erwartenden kräftigen Kursanstiegen. Das dämpft das Portfoliorisiko und verleiht eine gewisse Ruhe, um die Kursrückgänge am Aktienmarkt besser zu ertragen.

Das ist natürlich ein sehr aktives Portfolio-Management, das ohne professionelle Hilfe kaum funktioniert. Aber was ist denn mit „Buy and Hold“? Kann ich die Turbulenzen als langfristig orientierter Anleger nicht einfach aussitzen – Augen zu und durch?
Wenn Sie Ihre Anlage sehr langfristig sehen: definitiv. Es hängt natürlich davon ab, wie hoch Ihre Aktienquote ist und ob Sie größere Rücksetzer wirklich aushalten können. Und zwar ohne dass ihre mittlere Lebensplanung aus den Fugen gerät. Dann spricht nichts gegen „Augen zu und durch“. Wenn sie aber mithilfe aktiver Anlagestrategien ein paar Prozentpunkte mehr an Performance erzielen wollen, dann sind sie gezwungen, ab und an die Risiken zu erhöhen – und anschließend auch wieder zu reduzieren. Das ist wie im Straßenverkehr. Sie können einfach auf der mittleren Spur durchfahren oder Sie versuchen, sich rechts und links nach vorne durchzudrängeln.

Herr Preißler, vielen Dank für das Interview.

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