Investment Live „Anleger müssen Geldanlage völlig neu denken“

Die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten, die Verhandlungen über den Brexit und die anhaltende Nullzinspolitik – was Experten Anlegern angesichts dieser brisanten Themen jetzt raten.

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Moderator Markus Koch (rechts) führt durch den Abend mit den Experten Ulrich Stephan, Sven Afhüppe und Oliver Plein (von links nach rechts). Quelle: Marko Priske für Handelsblatt

Berlin Glitzernde Nobelkarossen, wohin das Auge blickt. Ob schmucker Sportflitzer, luxuriöser Kombi oder riesiger Geländewagen - Autofans kommen hier auf ihre Kosten. Doch an diesem Abend in der Mercedes-Welt in Berlin geht es nicht um Autos, sondern um die Kapitalmärkte, um das überraschende Brexit-Votum in Großbritannien und die schwächeren globalen Wachstumsaussichten. „Investment Live“, die Anlegerinitiative von Deutscher Bank und Handelsblatt, ist zu Gast in der Hauptstadt.

Themen gibt es viele. „Wir erleben eine aufregende Zeit mit Nullzinsen, einem britischen Pfund, das tief fällt, und britischen Aktien auf Rekordhoch“, sagt Asoka Wöhrmann, Leiter Privatkunden Deutschland bei der Deutschen Bank. „Das sind fantastische Themen für die Diskussion am heutigen Abend.“ Doch bevor die startet, nimmt Wöhrmann erst einmal Stellung zu den jüngsten Schlagzeilen über das Institut.

Über die drohende Strafe von 14 Milliarden Dollar in den USA, die Kapitalausstattung des Instituts und über mögliche Hilfen wurde zuletzt heftig diskutiert. Solche Schlagzeilen bewegen nicht nur die Aktionäre der Bank, sondern auch ihre Kunden. „Die Situation in unserem Haus ist besser als von außen dargestellt“, so Wöhrmann.

Die Deutsche mache Fortschritte auf ihrem Weg, eine „bessere und einfachere Bank“ zu werden. „Seien Sie versichert, wir erfüllen aktuell alle Kapitalanforderungen“, ergänzt Wöhrmann. Nun warten Aktionäre wie Kunden darauf, welche Lösung die Bank im Streit mit dem US-Justizministerium findet.

Geldanlage völlig neu denken

Nach Lösungen - nämlich für ihre Geldanlage - suchen auch die Kunden der Deutschen Bank und ihrer Tochter, der Berliner Bank, die an diesem Abend ans Salzufer gekommen sind. Die Geldpolitik im Euro-Raum bleibt extrem locker, die US-Notenbank hat weitere Zinsschritte erst einmal aufgeschoben, die Aktienmärkte schwanken seit Monaten mehr oder weniger stark hin und her, zehnjährige Bundesanleihen bringen mittlerweile negative Renditen. Kein Wunder, dass sich viele Anleger in diesem Umfeld fragen, wie sie ihr Vermögen sichern oder vielleicht sogar eine angemessene Rendite erzielen können.


Risiko immer im Auge behalten

Antworten liefern an diesem Abend Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, Oliver Plein, Leiter Produktspezialisten Aktien bei der Deutsche Asset Management, der Vermögensverwaltungssparte der Deutschen Bank, und Handelsblatt-Chefredakteur Sven Afhüppe. „Anleger müssen Geldanlage völlig neu denken“, stellt Börsenexperte und Moderator Markus Koch klar. Was das konkret heißt, übersetzt Stephan: „In Zeiten von Nullzinsen ist auch eine Rendite von zwei bis drei Prozent nicht schlecht, vor allem bei einer extrem niedrigen Inflation.“

Spareinlagen fallen als Einkommensquellen aber weitgehend aus. „Rendite bringen Aktien, am besten Dividendenpapiere, aber auch Unternehmensanleihen“, so Plein. Reichte im Jahr 2004 eine Aktienquote von 15 Prozent plus 85 Prozent Anleihen, um eine Rendite von vier Prozent zu erzielen, muss es gut zehn Jahre später eine Mischung von 50 zu 50 sein - und das bei deutlich höheren Schwankungen.

Während die Volatilität 2004 bei zwei Prozent lag, sind es bei der genannten Mischung elf Prozent. „Entweder Anleger akzeptieren die erhöhten Schwankungen und etwas mehr Risiko, oder sie müssen ihre Renditeerwartung herunterfahren“, sagt Plein. "Die Renditen im Anleihesegment sind massiv zurückgegangen."

Doch nicht nur die Politik der Notenbanken mit Null- und sogar Negativzinsen als Folge für die Sparer bestimmen das Kapitalmarktgeschehen. Immer mehr sind es geopolitische Krisen, die einzelne Anlageklassen stark schwanken lassen. „Anleger müssen das Risiko ihrer Investments immer im Auge behalten“, sagt Plein. Zu Jahresbeginn waren es die Zweifel am chinesischen Wirtschaftswachstum und an den Folgen für die Weltwirtschaft, die die Märkte massiv einbrechen ließen. Im Sommer folgte das für die Börse überraschende „Ja“ der Briten zum Ausstieg aus der Europäischen Union, das zu heftigen Kursturbulenzen führte.

„Die Märkte haben sich zwar schnell wieder entspannt, aber das war nur die Ruhe vor dem Sturm“, sagt Afhüppe. Die neue britische Premierministerin Theresa May habe auf dem jüngsten Parteitag der Konservativen klargemacht, dass sie zu einem „harten Brexit“ bereit sei. Das britische Pfund stürzte daraufhin auf seinen tiefsten Stand seit 1985.

„Die Gefahr weiterer Verwerfungen an den Märkten wird unterschätzt“, so Afhüppe. Vor allem wenn es Großbritannien gelingen sollte, geschickt zu verhandeln und schnell zu neuer Stärke zu finden, könnte das britische Beispiel Schule machen.


Der nächste US-Zinsschritt

„Die Außenpolitik bestimmt die Wirtschaftspolitik wesentlich“, sagt Afhüppe. Das habe auch der jüngste Ausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF) gezeigt. Der IWF traut der globalen Konjunktur weiter keine großen Sprünge zu. Die Weltwirtschaft dürfte in diesem Jahr etwas an Fahrt verlieren und um 3,1 Prozent zulegen, heißt es im neuesten „World Economic Outlook“.

Im nächsten Jahr werde es mit 3,4 Prozent etwas stärker bergauf gehen. Mittelfristig dürfte das Wachstum der Industriestaaten weiter enttäuschend ausfallen, so die Experten. Bei Schwellen- und Entwicklungsländern werde die Konjunktur eher anziehen. Für die USA zeigte sich der IWF skeptischer als noch im Juli. Für die weltgrößte Volkswirtschaft senkte der Fonds seine Wachstumsprognose für 2016 auf 1,6 von 2,2 Prozent und für 2017 auf 2,2 von 2,5 Prozent.

Kein Wunder, dass auch Börsianer gebannt nach Amerika schauen, wo am 8. November die Präsidentschaftswahlen anstehen. An der Börse könnte der Wahlausgang einige Schwankungen auslösen. „Wenn der Republikaner Donald Trump gewinnen sollte, werden die Märkte sich ganz schön erschrecken, aber wahrscheinlich auch relativ bald wieder erholen“, sagt Stephan. Aber auch auf die Weltwirtschaft könnte der Wahlausgang enorme Auswirkungen haben.

Nicht nur Trump propagiert eine Abschottung der USA und will sie aus den Handelsströmen der Welt heraushalten, auch die Demokratin Hillary Clinton hat sich ähnlich geäußert. „Trump ist in seinen Forderungen allerdings sehr viel extremer“, sagt Afhüppe. „Wird er zum Präsidenten gewählt, dann erleben wir erstmals seit 30 oder 40 Jahren der fortschreitenden Globalisierung jemanden, der das Rad der Geschichte zumindest bremsen, vielleicht sogar zum Stillstand bringen könnte.“

Dass Janet Yellen, Präsidentin der US-Notenbank Fed, sich in diesem Umfeld nicht traue, die Zinsen zu erhöhen, zeige die Fragilität der Finanzmärkte. „Der nächste Zinsschritt in den USA kommt wahrscheinlich erst im Dezember“, sagt Stephan. Von der Europäischen Zentralbank (EZB) erwartet er, dass sie ihr Anleihekaufprogramm, das eigentlich im März auslaufen würde, verlängert. Diese Geldpolitik würde die Märkte stützen. „Aber die Notenbanken merken langsam, dass sie geldpolitisch so nicht weitermachen können“, so Stephan. „Es sind Strukturreformen notwendig, die Zinspolitik alleine reicht nicht mehr aus, um die Wirtschaft anzukurbeln.“


Alternativen zu Bundesanleihen

Die Notenbanken würden die Spielräume nutzen, die sie hätten, aber die seien begrenzt. Dass die Zinsen auf absehbare Zeit wieder signifikant steigen, damit rechnet auf dem Podium niemand. Auch die Finanzmärkte erwarten Umfragen zufolge, dass die Leitzinsen noch bis 2025 unter einem Prozent bleiben.

„Aber eigentlich geht es den Märkten mit dieser neuen Normalität doch gut“, sagte Marktstratege Stephan. Zweijährige Bundesanleihen würden zwar mittlerweile negative Rendite bringen, aber es gebe Alternativen. Amerikanische Unternehmens- anleihen mit guter Bonität beispielsweise rentieren mit drei Prozent, Bonds aus den aufstrebenden Schwellenländern fünf Prozent und in Landeswährung sogar sechs Prozent.

Wenig hält Stephan allerdings von den jüngst emittierten 50-jährigen Anleihen. Italien biete hier einen Zinskupon von 2,8 Prozent - wenig lohnenswert angesichts der langen Laufzeit. „Auch Aktien sind wahrscheinlich noch immer einigermaßen fair bewertet“, sagt er. „Fünf Prozent Rendite pro Jahr am Aktienmarkt sind möglich.“ Vorausgesetzt, es kommt nicht zu geopolitischen Turbulenzen und die Wirtschaftsprognose des IWF trifft zu.

Plein spricht sich vor allem für Aktien mit hohen Ausschüttungsquoten aus. „Dividenden sind eine sehr stabile Einkommensquelle und der wichtigste Renditebringer für die kommenden Jahre“, sagt er. „Die Märkte werden nicht Jahr für Jahr um zehn Prozent steigen können, vielleicht sind es fünf Prozent, aber unter Schwankungen.“ In einem solchen Umfeld sei die Dividende ein wichtiger Baustein der Anlagestrategie. Den Fokus sollten Anleger auf die Nachhaltigkeit der Ausschüttungen legen.

„Wir bevorzugen Dividendenrenditen von drei bis fünf Prozent“, so der Experte. „Es hat sich gezeigt, dass es hier relativ gute Chancen gibt, dass die Ausschüttung stabil bleibt.“ Vor Dividendenrenditen im zweistelligen Bereich warnt er, diese seien in der Regel nicht nachhaltig. Bei all den guten Argumenten für die Aktie darf aber auch eine Warnung nicht fehlen: „Verlustbegrenzung ist ein wichtiges Thema“, so Plein. „Wir werden immer wieder Schwankungen erleben, gerade deshalb sollte die gewählte Strategie bei Verlusten ‚abfedern‘.“

Die Anleger scheinen einen Großteil der guten Ratschläge bereits zu beherzigen: Auf die Ted-Frage, ob 2016 für sie ein gutes Anlagejahr ist, antworten 56 Prozent der gut 700 Gäste in der Mercedes-Welt mit „Ja“.


Anleger fragen, Experten antworten

1. Sehen wir in Deutschland Zeichen einer Immobilienblase?

Ulrich Stephan: Nein, ich sehe keine Anzeichen für eine Blase. Immobilien sind eine gute Anlagealternative. Natürlich muss man auf die Lage achten. Privat genutzte Immobilien halte ich allerdings für Liebhaberei. Bei vermieteten Häusern und Wohnungen müssen Käufer sehr spitz rechnen, aber wenn die Rechnung aufgeht, sind Immobilien eine vernünftige Sache.

Sven Afhüppe: Die Miet- und Kaufpreise stehen immer noch in einem gesunden Verhältnis. Die Immobilienpreise in Deutschland sind über viele Jahre hinweg relativ stabil geblieben. Vor diesem Hintergrund ist der jüngste Anstieg gut. Er ist ein ganz gesunder Nachholeffekt, aber eine Blase sehe ich noch nicht. Vielleicht in einzelnen Gegenden, aber nicht grundsätzlich.

Oliver Plein: Investoren dürfen nicht vergessen, dass es ‚Immobilie‘ heißt. Häuser und Wohnungen sind definitiv kein Ersatz für Geldmarktfonds oder Ähnliches. Grundsätzlich sind sie aber ein sinnvoller Baustein für die Geldanlage, vor allem im Hinblick auf die notwendige Streuung im Depot.

2. Was bedeuten geopolitische Risiken für die Kapital-märkte und die private Vermögensanlage?

Sven Afhüppe: Geopolitische Risiken bestimmen die Börsen ganz wesentlich. Die Gefahr weiterer Verwerfungen an den Märkten wird unterschätzt.

Oliver Plein: Die Verhandlungen über den Brexit, das Referendum in Italien, der ungewisse Wahlausgang in den USA, die Flüchtlingskrise - da kommen viele Faktoren zusammen, die für Unruhe sorgen könnten. Anleger sollten sich auf Aktien von Unternehmen konzentrieren, die weltweit Umsätze machen und stabile Geschäftsmodelle haben. Das verringert das titelspezifische Risiko.

Ulrich Stephan: Auch hierzulande stehen im kommenden Jahr Bundestagswahlen an, und 2018 folgen die Europawahlen. Da wird die Brexit-Diskussion sicher reinspielen.


Wie die Experten anlegen

3. Wie legen Sie persönlich Ihr Geld an?

Ulrich Stephan: Ich lege breit diversifiziert an. Bei der Altersvorsorge setze ich vor allem auf einfache Produkte. In meinem Portfolio sind Aktien und Unternehmensanleihen.

Sven Afhüppe: Ich setze auf einen ganz klassischen Mix aus Immobilien, Aktienfonds, Anleihen und Altersvorsorgeprodukten. Was übrig bleibt, stecke ich in die Ausbildung meiner Kinder.

Oliver Plein: Eine selbst genutzte Immobilie, Dividendenaktien und schwankungsarme Titel.

4. Welche neuen Anlagetrends bietet die Digitalisierung?

Ulrich Stephan: Die Digitalisierung ist ein Trend, der alle Branchen betrifft. Deutschland mag keine digitalen Technologieführer à la Google, Apple oder Facebook haben, aber wir haben SAP. Und wir haben viele Technologieführer in der Industrie oder dem Maschinenbau. Dort findet die Digitalisierung auch statt. Wer als Anleger auf das Thema setzen möchte, sollte breit investieren. Wir wissen nicht, was da auf uns zukommt, welche Technologien sich durchsetzen werden. Es wird natürlich Fehlschläge geben.

Oliver Plein: Es gibt nicht die digitale Branche. Denken Sie beispielsweise an die Autobauer. Da wird viel ausgelagert, beziehungsweise die Wertschöpfungskette ist enorm breit, und die deutschen Zulieferer sind Weltklasse. Sie entwickeln beispielsweise Fahrassistenzsysteme - auch eine Form der Digitalisierung.

Sven Afhüppe: Einige der größten Unternehmen auf diesem Feld kommen schon jetzt aus China. Den Service des Bezahlsystemanbieters Alibaba Pay nutzen schon heute mehr Menschen als alle anderen Bezahlsysteme auf der Welt. Die Chinesen sind sehr technikaffin und offen für Neuheiten.

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