Ist diesmal wirklich alles anders? Die Angst vor dem Börsencrash

Der 19. Oktober 1987 ging als Black Monday in die Börsengeschichte ein. Händler an der Wall Street mussten auf den Monitoren mit ansehen, wie der Dow Jones allein an diesem Tag 508 Zähler verlor. Quelle: Getty Images

Stark steigende Aktienkurse rufen Crashsorgen hervor. Der Rückblick auf die heftigsten historischen Börsenstürze, ihre Auslöser und die Zeit davor zeigt: Es gibt einige Parallelen.

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Die Coronapandemie findet bislang kein Ende. Aber die Börsenkurse klettern nichtsdestotrotz immer wieder auf Rekordstände. Wie passt das zusammen?

Gar nicht, meinen vorsichtig gestimmte Anlegerinnen und Anleger. Sie glauben nicht mehr daran, dass die weltweiten Notenbanken mit immer mehr neuem Geld als dauerhafter Kurstreiber ausreichen. Tatsächlich signalisieren schon einige Indikatoren einen drohenden Crash, wie unsere große Analyse zeigt.

Dabei könnte etwa eine unerwartet hohe Inflation die Notenbanken zu einer Zinswende zwingen. Der Aktienmarkt könne dann „vor die Wand fahren“, sagt Ivan Mlinaric, Geschäftsführer des Vermögensverwalters Quant.Capital Management in Düsseldorf. Aber auch die Dynamik des Kursanstiegs, nach dem Coronacrash im Frühjahr 2020, und ein starker Anstieg der Wertpapierkredite von US-Privatanlegern beispielsweise mahnen zur Vorsicht. Woran ließen sich frühere Crashs erkennen? Der Rückblick auf einige historische Börsenstürze, ihre Auslöser und die Zeit davor zeigt: Es gibt durchaus Parallelen zu heute, aber auch Unterschiede.

1929: Die Weltwirtschaftskrise

Der große Börsencrash von 1929 hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Anleger eingebrannt, auch wenn er lange vor ihrer Geburt stattfand. Von Oktober 1929 bis ins Jahr 1932 fiel etwa der Dow Jones um rund 90 Prozent. Dabei ging der Börsensturz einem Konjunktureinbruch voraus. Viele sehen ihn sogar als einen Auslöser davon, auch wenn weltweite Handelskonflikte die Konjunktur schon vorher eingetrübt hatten. Ein wichtiger Faktor, der zum Crash beitrug, war die Geldversorgung. Die US-Notenbank Fed war erst 1913 gegründet worden. Sie hatte noch keine große Erfahrung im Krisenmanagement und agierte in der Krise nicht besonders glücklich. In den Börsenboomjahren der 20er-Jahre behielten die Notenbanker eine lockere Geldpolitik bei. Sie versuchten kaum den extremen Optimismus an den Börsen zu zügeln. Auch im Crash blieb die Fed in der Rückschau zu passiv. Anstatt Banken schnell mit Kapital zu stützen, ließ sie diese fallen. Das hat sich in der Wirtschaftshistorie immer wieder als Fehler erwiesen, denn so trocknet dann auch die Geldversorgung von Unternehmen aus. Die Konjunktur bricht ein, das für die Wirtschaft so wichtige Vertrauen ist nachhaltig beschädigt.

Das Ausmaß des Börsensturzes hatte auch mit viel Spekulation auf Pump zu tun. Viele Aktienkäufer zahlten nur einen Bruchteil ihres Investments selbst. Kreditgetriebene Spekulation macht Börsenanstiege instabiler, weil ein Kursrutsch schnell zur Lawine aus Zwangsverkäufen werden kann. Geld für Nachkäufe fehlt. Eine Erkenntnis des großen Crashs von damals: Ein starker, zwischenzeitlicher Kursanstieg muss noch keine Wende sein. So erholte sich der US-Leitindex Dow Jones damals zwischenzeitlich schnell um 40 Prozent, bevor er dann weiter einbrach.

1987: Der schwarze Montag

Im Oktober 1987 sind es Ängste vor Zinsanhebungen, die einen Crash auslösen. Seit Beginn der Hausse 1982/83 sind die durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) von weniger als 10 auf über 20 gestiegen, die Dividendenrendite hat sich auf nur noch etwas mehr als zwei Prozent halbiert. Jeder spürt, dass etwas Düsteres auf die Märkte zurollt. Am Wochenende droht der amerikanische Finanzminister James Baker in der „New York Times“, den Dollar sinken zu lassen, sollten sich die Deutschen im Streit um die Richtung der Zinsen nicht einsichtig zeigen. Verstärkend wirken sich technische Faktoren aus, wie der zunehmende Programmhandel durch Computer. Automatische Verkaufsorders und Zwangsverkäufe bei kreditfinanzierten Käufen steigern die Abwärtsdynamik.

Heuten liegt das KGV im S&P 500 sogar bei 27 und die Dividendenrendite bei nur 1,5 Prozent. Die Angst vor Zinsanhebungen, letztlich die Geld- und Währungspolitik, hatte 1987 die Märkte in den Crash geführt. Heute ist davon noch keine Spur, aber die Angst vor Inflation könnte auch Zinsängste beflügeln.

Gleichzeitig zeigt der 87er Crash: Auf einen starken Kurseinbruch kann sehr wohl eine lange Börsenrally folgen. So wird das Tief im Dow Jones von Oktober 1987 in der Folge nicht mehr unterschritten. Vielmehr folgt bis zur Jahrtausendwende ein extremer Kursanstieg, nur unterbrochen von kurzen Schwächephasen.

1998: LTCM- und Schwellenländerkrise

Für einen größeren Schwächeanfall sorgte 1998 der Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM). Den vom kanadischen Ökonomen Myron Scholes, der 1997 den Wirtschaftsnobelpreis für sein Modell zur Bewertung von Derivaten gewann, mitgegründeten Fonds brachten ausgerechnet Fehlspekulationen mit Derivaten an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. LTCM hatte auf Kredit auf den Rückgang anomaler Preisdifferenzen an den Finanzmärkten spekuliert. Der Rückgang kam dann aber nicht so wie angenommen. Weil der Zusammenbruch des Finanzsystems zu befürchten war, senkte die US-Notenbank unter ihrem damaligen Vorsitzenden Alan Greenspan daraufhin die Leitzinsen und schnürte am 23. September 1998 ein bis dato beispielloses Rettungspaket. Das rasche Überwinden der Schwellenländerkrise, die geordnete Abwicklung des Hedgefonds LTCM und vor allem der damals grassierende Internethype haben die Märkte weiter nach oben getrieben und eine riesige Spekulationsblase ausgelöst. Die platzte aber erst gut zwei Jahre später.

2001: Die New-Economy-Blase

Der lange Börsenaufschwung endet mit dem Platzen der New Economy Blase, grob von 2001 bis ins Jahr 2003 hinein. Der US-Index Dow Jones sackt von über 11.000 Punkten zwischenzeitlich in Richtung 7000 Punkte ab. Noch stärker zog es Tech- und Internetwerte in die Tiefe. Vor dem Crash hatte sich erneut eine Spekulationsblase aufgebaut. Zu erkennen war die etwa an den aufgenommenen Wertpapierkrediten, die in den USA von Februar 1999 binnen eines Jahres um 75 Prozent gestiegen waren. In der Folge, bis 2003, halbiert sich der Stand der Kredite wieder.

In den USA veröffentlicht die Finanzaufsicht Finra einmal pro Monat, rückwirkend für den vorvergangenen Monat, die Höhe der ausstehenden Wertpapierkredite an den US-Börsen. Zu sehen ist dort außerdem, wie stark Aktiendepots schon beliehen sind und wie viel Kasse Investoren halten. Dabei gilt: Je weniger ausgeprägt die Spekulationsfreude ist, desto besser für die weitere Börsenchancen. Auch bei anderen Stimmungsindikatoren lassen schlechte Werte eher auf eine fortgesetzte Hausse schließen. Zu den gängigen Indikatoren zählt etwa der Anteil positiv gestimmter Börsenbriefe, die in Umfragen erhobene Anlegerstimmung oder das Verhältnis von Wetten auf Kursstürzen zu Wetten auf Kurssteigerungen (Put/Call-Ratio). Aktuell signalisieren so gut wie alle solcher Stimmungsindikatoren überbordenden Optimismus.

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2008: Die Finanzkrise

Die Finanzkrise startet in den USA. Dort verflüchtigt sich der Wert komplex strukturierter und verbriefter Finanzprodukte, besichert mit minderwertigen US-Immobilien. Die Verluste zehren am Kapital der Banken. Zunehmend misstrauen Banken sich, bekommen von anderen Banken und Geldmarktfonds kein Geld mehr geliehen. Lehman Brothers wird zum Kulminationspunkt: Die Investmentbank gerät in einen Kapitalengpass. Auch die US-Regierung will ihr nicht aushelfen, am 15. September 2008 folgte die Pleite. Ähnlich wie 1929 trocknet nun die Geldversorgung insgesamt aus, auch in der Realwirtschaft bekommen Unternehmen nur noch zu extrem hohen Zinsen Geld. Anleger ziehen Einlagen bei Banken ab, aus Sorge um ihr Geld. Der US-Aktienindex S&P 500 stürzt bis November 2008 um 40 Prozent. Erst ab 2009 drehen die Börsen wieder.

Von Geldknappheit ist derzeit nichts zu spüren, die massiven Notenbankspritzen zeigen hier ihre Wirkung. Doch reicht das allein auf Dauer aus?

Dieser Artikel erschien in erster Version im Februar 2021 bei der WirtschaftsWoche.

Mehr zum Thema: Investoren vertrauen darauf, dass billiges Geld der Notenbanken weiter die Kurse treibt. Doch viele Indikatoren zeigen: Der Aktienmarkt ist überhitzt, die Crash-Gefahr steigt.

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