Italien-Referendum Anschnallen an den Märkten

Die Investoren zittern vor dem Ausgang der Abstimmung über Italiens Verfassung am Sonntag. Eins ist sicher: Am Montag danach wird es an den Märkten turbulent zugehen. Was Strategen konkret erwarten.

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Scheitert das Referendum, scheitert Italiens Premier. Quelle: dpa

Frankfurt/Düsseldorf Wer am Montagmorgen versuchen will, einen Fondsmanager für Aktien oder Anleihen anzurufen, wird es schwer haben. „Da herrscht Hochbetrieb, viele Investoren werden sich neu positionieren“, heißt es bei einer großen Fondsgesellschaft. Der Grund: Das am Sonntag anstehende Referendum der Italiener über eine Verfassungsreform gilt als Schicksalswahl für Italien – und für die gesamte Euro-Zone. „In Italien werden die Weichen für die Zukunft der EU gestellt“, meint dazu Uwe Burkert, Chefvolkswirt bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Konkret geht es bei der Volksabstimmung zwar „nur“ darum, die politischen Entscheidungsprozesse in Italien zu vereinfachen. Dazu soll die zweite Kammer des italienischen Parlaments – der Senat – verkleinert und das politische Mitspracherecht der Regionen eingeschränkt werden. Doch Italiens Premier Matteo Renzi hat sein politisches Schicksal an das Abstimmungsergebnis geknüpft. Stimmen die Italiener mit großer Mehrheit für Nein, wird Renzi voraussichtlich zurücktreten. Damit würde nach dem Votum der Briten für einen Austritt aus der EU und nach dem Wahlsieg von Donald Trump zum Präsidenten der USA ein neues Kapitel in der jüngsten Anti-Etablishment-Bewegung geschrieben.

Kein Wunder, dass die Investoren nervös sind – und nicht erst seit gestern. Italiens Aktien-Leitindex FTSE MIB 40 hat in diesem Jahr mit über 20 Prozent so deutlich verloren wie keine andere Börse in Europa. Auch italienische Staatsanleihen stehen unter Druck. Die Kurse sind so stark gefallen, dass in den vergangenen Wochen die Rendite der zehnjährigen italienischen Staatsanleihe um rund einen vollen Prozentpunkt auf mehr als zwei Prozent gestiegen ist. Der Renditeabstand zur zehnjährigen deutschen Bundesanleihe stieg in der Spitze auf fast zwei volle Prozentpunkte. So hoch war der Risikoaufschlag zuletzt im Frühjahr 2014.

Anders als beim Brexit-Votum und der Trump-Wahl sind die Märkte zwar diesmal besser auf eine potenzielle politische Krise vorbereitet. Dennoch wäre wohl zunächst mit einer „Flucht aus dem Risiko“ an den Märkten zu rechnen, heißt es bei der LBBW. Das gilt umso mehr, da in den vergangenen Tagen die Risikoprämien der Anleihen schon wieder etwas gesunken ist. Auch Italiens Aktien machten wieder ein klein wenig Boden gut.

Mit Blick auf die Finanzmärkte ist die Ausgangslage gleichwohl anders als vor dem Brexit-Votum und der US-Wahl. „Damals war das positive, sprich eine potenzielle politische Krise abwendende Szenario die Ausgangslage“, schreibt die LBBW: „Jetzt dürften die Anleger eher auf einen negativen Ausgang, also eine Ablehnung des Verfassungsreferendums eingestellt sein.“ Dennoch wäre auch bei einem Votum der Italiener gegen die Reform zunächst mit dem „Risk-Off“-Szenario zu rechnen, das heißt Anleger fliehen aus Aktien und italienischen Anleihen und kaufen stattdessen zum Beispiel deutsche Bundesanleihen.

Hetal Mehta, Volkswirt beim britischen Vermögensverwalter Legal & General Investment ist entsprechend vorsichtig: „Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Aussichten bleiben wir mit Blick auf europäische Aktien vorsichtig“ betont er. Sorgen macht ihm dabei nicht nur die politische Situation. Auch die „schwachen Bankensysteme innerhalb Europas“ stimmen ihn skeptisch.


„Im Worst-Case-Szenario verlieren Italiens Bankaktien 15 Prozent “

Ganz konkret haben die Strategen des Fondshauses Lyxor Asset Management drei Szenarien für den Tag nach dem Referendum entwickelt: Bei einer Ablehnung der Reform mit knapper Mehrheit dürften italienische Aktien fünf Prozent verlieren, die von italienischen Banken sogar sieben Prozent. Der Euro Stoxx 50 Index als Leitindex für die Aktienmärkte im Euro-Raum würde drei Prozent nachgeben und die Risikoprämie zehnjähriger italienischer Anleihen zu Bundesanleihen dürfte auf bis zu 2,5 Prozentpunkte steigen.

Wenn die Italiener im schlimmsten Fall mit überwältigender Mehrheit Renzi abstrafen, wären die Verluste an den Aktienmärkten jeweils etwa doppelt so hoch, fürchtet Lyxor Asset Management. Ein Minus von zehn Prozent am breiten italienischen Aktienmarkt, ein Einbruch von 15 Prozent bei italienischen Bankaktien und ein Verlust von sieben Prozent beim Euro Stoxx 50 wären dann möglich. Die Risikoaufschläge der Bonds würden auf bis zu drei Prozentpunkte in die Höhe schnellen.

Bei einem Ja zur Reform und zu Renzi könnten sich Anleger dagegen laut Lyxor auf eine zehnprozentige Rally im FTSE-MIB 40 und auf ein Plus von sogar 15 Prozent bei italienischen Bankaktien einstellen. Die Risikoprämie am Bondmarkt würde sich auf einen Prozentpunkt halbieren. Sollten hartgesottene Zocker deshalb nun in italienische Aktien einsteigen? Schließlich hat sich nach dem Brexit-Votum dem Trump-Erfolg bei der US-Wahl gezeigt: Auf den ersten Blick negative Wahlergebnisse lassen kurz oder lang die Kurse steigen. Dennoch: „Erst nach dem Wahlentscheid, also frühestens am 5. Dezember agieren“, rät Holger Struck, freier Charttechniker. Für ihn gäbe es erste Kaufsignale, wenn der FTSE MIB 40 über 17.170 Punkten notiert. „Alles weit weg, aber anders ist der Markt momentan nicht zu greifen“, gibt der technische Analyst zu. Derzeit liegt das italienische Börsenbarometer bei 16.917 Zählern.

Umgekehrt sollten auch skeptische Anleger weder jetzt noch am Montag hektisch italienische Aktien und Anleihen im großen Stil verkaufen. Ein Scheitern der Verfassungsreform würde zwar die Stimmung an den Märkten drücken, meint Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz: „Wir erwarten weder eine unmittelbare politische Krise noch ein Wiederaufflammen der Euro-Krise.“ Ein Grund dafür ist, dass die Europäische Zentralbank wohl bereitstehe, um im Krisenfall ihr gezielt auf Krisenländer ausgerichtetes Anleihekaufprogramm OMT zu aktivieren um die Auswirkungen und etwaige Ansteckungsgefahren zu begrenzen.

Mittelfristig könnten die Folgen allerdings gravierend sein, warnt auch Heise: „Im Blickpunkt stünden dann wieder die enttäuschenden Wachstumsraten, die hohe Staatsverschuldung und der kränkelnde Bankensektor.“ Eine schwache Übergangsregierung nach einem Renzi-Rücktritt würde weitere 18 Monate ohne Fortschritte bei den „dringend erforderlichen Reformen“. Das Problem: Wenn die drittgrößte Volkswirtschaft in der Euro-Zone nicht in der Lage sei, Wachstum zu erzeugen und mittelfristige Reformen durchzusetzen, werde „irgendwann die Euro-Mitgliedschaft Italiens in Frage gestellt“.

Falls dieses Szenario zutrifft, würde dies wohl tatsächlich das Ende der Euro-Zone bedeuten. Aber das ist noch keine Frage, die am Montag entschieden wird.

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