
WirtschaftsWoche: Herr Fels, „Nach der Krise ist vor der Krise“ schrieben Sie vor kurzem. Droht uns tatsächlich eine neue Finanzkrise?
Joachim Fels: Als große Krise würde ich es nicht bezeichnen. Aber wir leben in einer Weltwirtschaft der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Viele Regionen schwächeln, auch die Geldpolitik läuft in entgegen gesetzte Richtungen. Das sorgt für hohe Schwankungen an den Märkten. Außerdem stößt die Geldpolitik zunehmend an ihre Grenzen.
Meinen Sie damit die Europäische Zentralbank (EZB)?
Nein, das gilt für alle großen Notenbanken. Auch die chinesische, die Schwierigkeiten hat, ihre Kapitalabflüsse zu stemmen.
Die EZB vorm Bundesverfassungsgericht
Im Kern geht es um das historische Versprechen von EZB-Präsident Draghi aus dem Sommer 2012. Als die Eurozone vor der Zerreißprobe stand, erklärte der Italiener: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten.“ Wenig später beschloss die Notenbank, unter bestimmten Bedingungen notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen. Dieses Kaufprogramm mit dem Namen „Outright Monetary Transactions“ (OMT) beschäftigt die Juristen bis heute.
Nein. Kritiker werfen der Notenbank dennoch vor, sie habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Über Anleihenkäufe finanziere die EZB letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den jeweiligen Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit. Zudem lähme es die Reformbereitschaft, wenn sich Regierungen darauf verließen, dass es notfalls die EZB richten werde.
Das höchste deutsche Gericht kam Anfang 2014 zu dem Schluss, die EZB habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Laut EU-Vertrag dürfe sie keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben. Zudem verstoße der OMT-Beschluss gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten. Zur Klärung von EU-Recht gab Karlsruhe das Thema aber an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Der EuGH entschied: Grundsätzlich darf die EZB zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen. Das OMT-Programm aus dem Sommer 2012 sei rechtmäßig: „Das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten.“ Die Schritte der Notenbank müssten jedoch verhältnismäßig und gut begründet sein und dürften keine wirtschaftspolitische Maßnahme sein. Insgesamt wurde der Gerichtshof seinem Ruf gerecht, eher großzügig zu sein, wenn es um Kompetenzen von EU-Institutionen geht. Bisher hatten die Luxemburger Richter keine Einwände gegen Rettungsbemühungen in der Euro-Schuldenkrise.
Nein, denn der EuGH entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Auf Basis des EuGH-Urteils haben die deutschen Richter nun zu bewerten, ob die Anleihenkäufe verfassungsgemäß sind. 2014 hatten sie mitgeteilt, ob der OMT-Beschluss der EZB mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei, könne letztlich erst geklärt werden, wenn der EuGH die vorgelegten Fragen beantwortet habe. Ein Urteil wird frühestens in einigen Monaten erwartet.
Volkswirte fordern, das Bundesverfassungsgericht solle sein Urteil zumindest dazu nutzen, deutsche Vorbehalte festzuschreiben. „Wir sind dafür, dass das Bundesverfassungsgericht ein Signal nach Luxemburg und Frankfurt sendet, dass man nicht einfach machen kann, was man will“, betont der Wirtschaftsweise Lars Feld. Durch eine Begründung, die von der Pro-EZB-Entscheidung des EuGH abweicht, könnte sich Deutschlands höchstes Gericht auf nationaler Ebene die Kontrolle über künftige EZB-Maßnahmen zur Euro-Rettung vorbehalten. Beobachter halten eine solche Kompromiss-Linie für durchaus wahrscheinlich. Dass Karlsruhe das EuGH-Urteil komplett verwirft, wird nicht erwartet.
Direkt nichts. Denn es geht nicht um die Anleihenkäufe, die seit dem 9. März 2015 laufen („Quantitative Lockerung“ oder englisch „Quantitative Easing/QE“). Doch weil auch gegen dieses aktuelle Programm bereits eine Verfassungsbeschwerde vorliegt, wird die Karlsruher Entscheidung mit Spannung erwartet. Beim QE-Programm investiert die EZB monatlich 60 Milliarden Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere - und das bis mindestens März 2017. Wichtiger Unterschied zum OMT-Programm: Das Geld fließt nicht nur in Papiere von Krisenstaaten, sondern in Anleihen aus dem gesamten Euroraum. Das frische Zentralbankgeld soll über Geschäftsbanken als Kredit bei Unternehmen und Verbrauchern ankommen. Das könnte Investitionen und Konsum anschieben und soll so auch die Inflation anheizen.
Und die US-Notenbank Fed hat kaum Spielraum. Schon die Aussicht auf höhere Zinsen kann der Weltwirtschaft schaden.
Es sieht so aus, als würden die US-Währungshüter den Zins langsamer anheben als gedacht. Ist das ein gutes Zeichen?
Das stimmt, ich rechne mit nur zwei Zinsschritten in diesem Jahr, maximal drei. Die für März geplante Erhöhung dürfte vom Tisch sein. Die Märkte könnte das beruhigen, aber die Sorgen der Notenbanker um die US-Wirtschaft sind leider nicht ganz unbegründet.
Aber die Wirtschaft wächst doch und die Arbeitslosigkeit ist extrem niedrig?
Aber das Tempo ist raus. Außerdem kommt die Inflation nicht ins laufen. Deswegen muss die Fed vorsichtig sein.
Die Inflation in der Euro-Zone will auch nicht loslegen. Erhöht die EZB bei ihrer Sitzung am 10. März noch einmal die Schlagkraft ihrer Geldpolitik?
Der Einlagezins dürfte weiter gesenkt werden, vermutlich um zehn Basispunkte. Größere Schritte würden Banken zu stark unter Druck setzen. Deshalb könnte die EZB auch einen gestaffelten Einlagezins einführen. Dann wären große Teile der Einlagen mit einem niedrigen Strafzins belegt, der höchste Strafzins könnte beispielsweise nur für Überschussreserven der Banken gelten, die durch zusätzliche Anleihekäufe der EZB entstehen.
Was bringt das?
Der Druck auf die Banken sinkt und damit das Risiko, dass die Institute den Negativzins an die Kunden weiterreichen.
Gleichzeitig könnte die EZB noch mehr Anleihen kaufen, obwohl wir weiterhin auf Effekte des bisherigen Kaufprogramms warten.
Die Frage ist, was gewesen wäre, wenn die EZB nicht gehandelt hätte. Dann könnte die Lage noch schwieriger sein. Ein großer Erfolg ist, dass die Kerninflation nicht weiter gefallen ist.

Nun muss die Zentralbank die Inflationserwartungen anschieben…
…die allerdings durch den niedrigen Ölpreis gedrückt werden.
Interessanterweise korrelieren ausgerechnet der heutige Ölpreis und die langfristigen Inflationserwartungen sehr stark, da beide Faktoren die Erwartungen der Anleger über künftiges Wachstum reflektieren. Deshalb müssen sinkende Inflationserwartungen die EZB in Alarmbereitschaft versetzen.
Die EZB rechtfertigt sich ja immer mit ihrem Mandat. Brauchen wir ein niedrigeres Inflationsziel?
Ein niedrigeres? Es gibt sogar Ökonomen, die höhere Inflationsziele fordern.
Aber die Zentralbank erreicht doch noch nicht mal ihr jetziges Ziel von zwei Prozent Inflation.
Das würde natürlich nur mit einer extrem expansiven Geldpolitik klappen, ähnlich wie Japan es 2013 gemacht hat. Deshalb halte ich das auf absehbare Zeit auch für unwahrscheinlich. Trotzdem gibt es gute Gründe für einen höheren Zielwert.