Die Sommerpause an der Börse ist bisher ausgefallen. Zwar sind die Kurse wie in dieser Jahreszeit üblich sehr schwankungsanfällig, aber nicht aufgrund nachrichtenarmer Zeiten, im Gegenteil. Der andauernde Schuldenstreit mit Griechenland hat auch die Börsen nicht kalt gelassen, zeitweise reagierten Anleger auf jede Aussage, die Europas Staats- und Regierungschefs verlauten ließen.
Auch wenn im Griechen-Streit nun eine sogenannte Einigung gefunden wurde, dürfte der Sommersturm namens Hellas die Börsen noch eine gewisse Zeit durchrütteln. Allerdings wird er sich auch ähnlich wie ein Sturm recht zeitig wieder verziehen und die Börsen den anderen Einflüssen überlassen. Denn das nachhaltige Bild an den Märkten dürfte künftig eher von anderen Ereignissen geprägt werden.
Zur Erinnerung: Bevor die Diskussion rund um Griechenland alle anderen Nachrichten zu Nebenschauplätzen verdammte, waren es vor allem die Notenbanken, die die Märkte vor sich her trieben. Insbesondere in Europa sorgte die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrem Anleihekaufprogramm für Rekordstände im Akkord. Der Dax kletterte im ersten Halbjahr zwischenzeitlich sogar auf ein neues Rekordhoch von über 12.300 Punkten. Das billige Geld der Notenbank ließ die Anleihezinsen weiter sinken und machte Aktien zunehmend alternativlos. Im April war die Rekordjagd dann allerdings vorbei und der Dax gab einen Teil seiner Gewinne aus dem Frühjahr wieder ab.
Für Anleger stellt sich die Frage, ob Europas Börsen nach dem Hellas-Sturm wieder nahtlos an die Rally-Stimmung anknüpfen können. Die Frage ist mehr als berechtigt, denn im Zuge der Griechenland-Diskussion wird häufig vergessen, dass es derzeit andere Ereignisse gibt, welche die Märkte viel langfristiger beschäftigen dürften als Griechenland. Ein Überblick über die wichtigsten Einflussfaktoren:
US-Notenbank Fed
Das wichtigste Ereignis für die Märkte in den kommenden Monaten dürfte die bevorstehende Zinserhöhung der US-Notenbank Fed sein. Immerhin werden erstmals nach rund zehn Jahren die Zinsen wieder angehoben. Einige Analysten witzeln bereits, vielen Händlern seien ein solches Marktumfeld überhaupt nicht vertraut, weil sie noch nicht so lange im Geschäft seien.
Weiterhin rechnen viele Beobachter damit, dass die Fed bei ihrem Treffen im September erstmalig an der Zinsschraube dreht. Zumindest in diesem Jahr wird eine Zinswende immer wahrscheinlicher. "Ich erwarte, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt im weiteren Jahresverlauf angemessen sein wird, den ersten Schritt zu gehen, um die Federal Funds Rate zu erhöhen, und somit eine geldpolitische Normalisierung einzuleiten", sagte Fed-Chefin Janet Yellen am Freitag bei einer Rede. Sie war aber zuletzt regelmäßig darum bemüht, den Märkten ihre Angst vor der Wende zu nehmen. Aus ihrer Sicht ist nicht der Zeitpunkt der Zinserhöhung entscheidend. Vielmehr gehe es darum, die Kosten des Geldes zurückhaltend und behutsam zu erhöhen. Es ist also nicht mit einem steilen Anstieg des Zinses zu rechnen. Gut möglich sind auch zwei sehr geringe Erhöhungen im September und Dezember.
Die Erwartungen der Märkte an die Zinswende sind gemischt. "In den USA ist es die Absicht der US-Notenbank, in den kommenden Monaten die Zinswende einzuläuten, die für Nervosität sorgt und die Stimmung belastet", erklärt David Kohl, Chefvolkswirt der Bank Julius Bär in Deutschland. Er gehe aber nicht davon aus, dass diese Unsicherheit die guten volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen nachhaltig beeinflussten könnten.
Voraussetzung bleibt stabile US-Konjunktur
Dennoch dürfte sich das Marktumfeld durch die Zinswende verändern. „Im Zuge der kommenden Zinserhöhung durch die US-Notenbank werden die Kurse deutlich volatiler“, sagt Jonathan H. Xiong, Leiter Fixed Income Alternatives bei Goldman Sachs Asset Management (GSAM). Xiong rechnet damit, dass die Märkte über einen Zeitraum von rund sieben bis zwölf Monaten deutlich stärker schwanken werden als zuvor. „Es wird vor allem die Märkte treffen, die am meisten von der expansiven Geldpolitik der Zentralbanken profitiert haben, also auch den Aktienmarkt“, sagt Xiong.
US-Wirtschaft
Voraussetzung für die Zinswende dürfte eine stabile US-Konjunktur sein. Insbesondere die Entwicklungen am Arbeitsmarkt und die Inflationsrate stehen unter der Beobachtung der Fed. Olivier Blanchard, Chefökonom beim Internationalen Währungsfonds (IWF), bezeichnete die Erholung der US-Konjunktur vor kurzem als "sehr stark". Der Einbruch zu Jahresanfang sei lediglich ein "Unfall" gewesen. Auch Julius Bär-Ökonom Kohl geht davon aus, dass die US-Konjunktur "robust bleibt". Uneinig sind sich Beobachter lediglich hinsichtlich der Investitionen. Ökonomen vom Bankhaus Lampe sind skeptisch, ob die Investitionen in der Industrie ausreichen, um einen breiten Aufschwung zu tragen. Tatsächlich sind die Auftragseingänge sicherlich ein Bereich, den Anleger beachten sollten. Allerdings haben sich die entsprechenden Indikatoren zuletzt leicht erholt. Der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe stieg im Mai leicht um 0,7 auf 53,5 Punkte. Die Auftragseingänge für langlebige Güter sind zwar im Mai leicht gesunken, allerdings bedingt durch eine Schwäche beim Flugzeugbauer Boing. Rechnet man die Flugzeuge aus den Auftragseingängen raus, stiegen die Orders um 0,4 Prozent.
Euro/Dollar
Lange Zeit galt der schwächelnde Euro neben dem niedrigen Ölpreis als eines der unterschwelligen Konjunkturprogramme für die Länder der Euro-Zone, insbesondere für so exportabhängige Volkswirtschaften wie Deutschland. Im Zuge der Verhandlungen um den Schuldenstreit in Griechenland ist das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung nicht gerade gestiegen, Europa hat aus der Sicht vieler Beobachter mehr Risse davon getragen, als vielen lieb sein dürfte. Dennoch hat sich der Eurokurs gegenüber dem Dollar seit einiger Zeit stabilisiert und bewegt sich eher seitwärts. "Wir rechnen damit, dass diese Entwicklung in ihrer Dynamik allmählich nachlässt", sagt Ökonom Kohl im Hinblick auf den günstigen Effekt des Wechselkurses auf die Konjunktur des Euroraums.
Auch die Konjunkturstütze Ölpreis dürfte laut Kohl zunehmend an Kraft verlieren. Zwar begünstigt eine Leitzinserhöhung der Fed erneut einen steigenden Dollar, allerdings dürfte vieles von dieser Entwicklung von den Märkten bereits vorweg genommen worden sein.
Das sind die Gewinner und Verlierer der Währungsschwäche
Die Geldflut der Europäischen Zentralbank (EZB) hat den Euro auf Talfahrt geschickt. Nach Einschätzung von Analysten könnte ein Euro schon bald weniger als ein US-Dollar kosten - erstmals seit mehr als zwölf Jahren. Ein schwacher Euro hilft Firmen aus der Eurozone, die Waren außerhalb des Währungsraums verkaufen wollen. Denn ihre Autos oder Maschinen werden auf den Weltmärkten günstiger - etwa in wichtigen Märkten wie Asien oder Amerika. Die Nachfrage nach Produkten „Made in Germany“ oder anderen Euro-Staaten dürfte anziehen. Schon 2014 verkaufte Deutschland so viele Waren ins Ausland wie nie zuvor. Allerdings: Immerhin 37 Prozent der deutschen Exporte gehen in die Eurozone. Dort spielt der Wechselkurs keine Rolle.
Mehr Exporte = mehr Produktion = mehr Arbeitsplätze. Ganz so einfach geht es in der Praxis nicht, aber der EZB-Kurs mit Nullzins und Geldschwemme zielt auch in diese Richtung. Allein über den Preis werden Unternehmen aus dem Euroraum dank des niedrigen Eurokurses wettbewerbsfähiger. Somit stehen die Chancen gut, dass sie mehr verkaufen und ihre Fabriken besser ausgelastet sind. Das könnte mittelfristig auch neue Arbeitsplätze schaffen. All das bringt die heimische Wirtschaft voran.
„Das Milliarden-Geschenk“ titelte das „Handelsblatt“ am 22. Januar, als die EZB ihr gigantisches Anleihenkaufprogramm beschloss. Die lockere Geldpolitik der Notenbank könnte exportstarken deutschen Konzernen nach Berechnungen der Commerzbank im laufenden Jahr zwölf Milliarden Euro zusätzlich an Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) in die Kassen spülen - allein weil der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verliert. Vom Euroverfall profitieren demnach vor allem jene Firmen, die Rechnungen und Löhne in Euro bezahlen, aber in Dollar abrechnen.
Wer Waren oder Rohstoffe aus dem Ausland bezieht, muss sich auf höhere Kosten einstellen. Denn wichtige Rohstoffe wie etwa Öl werden international in Dollar gehandelt. Wenn der Euro im Vergleich zum Dollar an Wert verliert, werden solche Importe für Abnehmer im Euroraum tendenziell teurer. Deshalb sei ein schwacher Euro für die Exportnation Deutschland auch nur auf den ersten Blick erfreulich, kommentiert der Außenhandelsverband BGA: „Ohne die niedrigen Rohstoffpreise würde der schwache Euro tiefe Spuren in unserer Importrechnung hinterlassen und somit auch die Verkaufspreise im Export erhöhen.“ In Deutschland wäre der Preisrückgang bei Benzin und Heizöl in den vergangenen Monaten noch deutlicher ausgefallen, wenn der Eurokurs nicht so stark nachgegeben hätte.
Urlaube in der Schweiz oder in die USA werden teurer, wenn der Euro gegenüber anderen wichtigen Währungen an Wert verliert. Ende Januar rechnete der Bundesverband deutscher Banken (BdB) vor: Die Kaufkraft eines Euro in der Schweiz betrage nur noch etwa 55 Cent. Das heißt: Waren und Dienstleistungen waren dort zu diesem Zeitpunkt im Schnitt fast doppelt so teuer wie in Deutschland. Auch für Reisen in andere Nicht-Euroländer wie Großbritannien oder die Türkei müssen Verbraucher aus Euroländern tiefer in die Tasche greifen. Auf der anderen Seite wird für Amerikaner oder Chinesen ein Trip nach Berlin, Athen oder an die Côte d'Azur attraktiver.
Für den Ausbau ihrer Geschäfte außerhalb des Euroraums müssen Unternehmen aus dem Euroraum tendenziell mehr Geld in die Hand nehmen. Wer etwa eine Fabrik in China oder in den USA errichten will und dies in der jeweiligen Landeswährung bezahlt, legt in Euro gerechnet künftig drauf.
Während die US-Notenbank Fed ihre Geldschleusen absehbar wieder schließen will, fährt die EZB einen genau entgegengesetzten Kurs. Das erhöht die Gefahr, dass es zu einem „Währungskrieg“ kommt. Mit ihren milliardenschweren Anleihenkäufen habe die EZB „eine Tür geöffnet, hinter der die Gefahr eines Abwertungswettlaufes lauert“, kritisierte BGA-Präsident Anton F. Börner. Die Erfahrung zeigt, dass es in solchen Fällen nur Verlierer gibt.
Aktienmärkte
Auch wenn die Inflationserwartungen und die Zinsen langsam steigen dürften, dürften Aktien im Vergleich zu Anleihen noch lange das Maß des Investments bleiben. Insbesondere in Deutschland und im Euro-Raum stützt die EZB weiterhin mit ihren Anleihekäufen den Markt. Experten gehen davon aus, dass dieser Effekt noch für eine lange Zeit anhalten wird. Eventuelle durch die Zinswende in den USA ausgelöste Volatilitäten werden so zumindest teilweise ausgleichen. Zudem sind die Bewertungen im Dax bisher längst nicht so hoch wie beispielsweise in den USA. "Bei der regionalen Auswahl sind besonders europäische Aktien interessant", sagt Kohl. Allerdings werden Anleger auch im Dax mit mehr Schwankungen leben müssen.
Entsprechend gut durchdacht sollten die Investments sein. Aktien von Unternehmen mit einem soliden und möglichst wenig zyklischen Geschäftsmodell dürfen jederzeit ins Depot. Experten raten weiterhin zu Dividendenaristokraten, also Titeln mit kontinuierlich steigenden Ausschüttungen, da deren Dividende oft höher ist als die Rendite so mancher Anleihe.
Kurseinbruch an Chinas Börsen
In den USA allerdings mehren sich die Warnsignale. Nicht nur, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bereits deutlich zugelegt hat und Aktien damit zunehmend teuer werden. Auch die steigende Zahl an Fusionen und Übernahmen deutet auf einen heißer laufenden Markt hin. Den gewünschten dämpfenden Effekt könnte die bevorstehende Zinswende haben.
Allerdings ist die Stimmung längst noch nicht so aufgeheizt wie vor anderen Krisen. Eine aktuelle Umfrage unter US-Privatanlegern zeigt, dass der Anteil derjenigen, die sehr optimistisch für die Märkte sind, mittlerweile bei 27,9 Prozent liegt. Zum Vergleich: Vor dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang 2000 lag der Anteil der Optimisten bei drei Vierteln aller Befragten. Dieser hohe Wert gilt seitdem als Kontraindikator, kurz darauf kam der Einbruch und viele stiegen aus dem Markt aus. Aktuell ist dagegen der Anteil der neutralen Anleger sehr groß, ein Hinweis auf bevorstehende Kurssprünge. Diese können sich in beide Richtungen entwickeln, je nach dem in welches Lager die Neutralen sich verziehen.
China
Schon vor einigen Wochen warnten Experten, angesichts des aktuellen Fokus auf Griechenland dürften die Finanzmärkte die wachsende Problematik in China nicht unterschätzen. Tatsächlich könnte die platzende Blase an den Märkten in China einen deutlich weitreichenderen Einfluss haben als die Zahlungsunfähigkeit eines vergleichbar kleinen Staates wie Griechenland.
Nach einer monatelangen Rally sind die Kurse an Chinas Börsen zuletzt kräftig eingebrochen, Anleger verzeichneten massive Verluste. Problematisch ist, dass es vorrangig Privatanleger sind, die an den Börsen spekuliert haben. Sie waren von Immobilien auf Aktien ausgewichen, als sich bei den Preisen für Wohneigentum eine Blase abzeichnete. Je höher die Kurse stiegen, desto mehr spekulierten die unerfahrenen Privatanleger, zuletzt oft mit geliehenem Geld - welches sie nun verloren haben.
Das Problem: Viele Anleger stehen nun vor einem Schuldenberg, das dürfte sich auch auf die Binnennachfrage durchschlagen. Schon jetzt melden Autobauer eine schrumpfende Nachfrage. Verkaufsräume von Mercedes-Benz hätten in den vergangenen Wochen 20 bis 30 Prozent weniger Kunden zu verzeichnen gehabt, erklärte ein Manager gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Autohändler versuchten nun, den Effekt durch Preisnachlässe zu minimieren.
Das drohende Szenario ist allerdings klar: Nicht nur Chinas Binnennachfrage dürfte leiden, auch Unternehmen, die ins Reich der Mitte exportieren, fürchten Umsatzeinbrüche. Insbesondere die deutschen Autobauer wie VW oder BMW haben einen hohen Marktanteil in China, ihre Papiere dürften stark unter einem Wachstumseinbruch leiden. Harald Hendrikse, Analyst bei Morgan Stanley, erwartete zuletzt, dass die Margen aus dem China-Geschäft bei VW noch nachlassen könnten.
Allerdings gibt es auch Stimmen, die vor einer übertriebenen Panik warnen. Jeanne Asseraf-Bitton, Anlagestrategin beim Vermögensverwalter Lyxor Asset Management, meint, angesichts des niedrigen Anteils von Aktien am Vermögen der Chinesen von nur 15 Prozent sei der negative Vermögenseffekt begrenzt. "Langfristig sollte die Entwicklung nicht zuletzt aufgrund weiterer Maßnahmen der Marktliberalisierung weiterhin konstruktiv verlaufen", sagt Asseraf-Bitton.