Konjunktur Der neue Osteuropa-Boom

Jahrelang bereiteten die Länder Osteuropas den meisten Ökonomen, Unternehmern und Anlegern mehr Frust als Freude. Das könnte sich bald ändern, zeigt die jüngste Prognose der europäischen Förderbank.

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Die Regierung in Bukarest vollbringt ein kleines Konjunkturwunder. Quelle: dpa

Wien Osteuropa ist zurück auf der Landkarte der Aktienanleger. Das zeigt ein Blick auf den österreichischen Leitindex ATX. In ihm notieren viele Unternehmen, die hauptsächlich Geschäfte in Ländern dieser Region betreiben. Mit rund 3.400 Punkten nimmt der Index der Wiener Börse wieder Kurs auf das Niveau vor der Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2007.

Die zuversichtliche Stimmung der Börsianer wird genährt von einer Prognose der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Das in London ansässige Institut  prognostizierte am Dienstag für die Region ein Wirtschaftswachstum von sehr guten 3,3 Prozent. Damit hebt die Bank ihre Prognose um fast einen Prozentpunkt an. Im vergangenen Jahr lag die durchschnittliche Wachstumsrate noch bei 1,9 Prozent.

„Die breite Erholung ist eine sehr willkommene Entwicklung. Sie schafft ein Zeitfenster, die Reformen fortzuführen und damit noch stärkere Wachstumsraten über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu sichern“, sagte Sergei Guriev, Chefökonom der EBRD. Die 1991 gegründete Förderbank EBRD finanziert in Osteuropa Projekte und stößt Wirtschaftsreformen an.

Andere Banken sind ähnlich euphorisch. „Wir verzeichnen einen breiten Aufschwung“, sagte Gunter Deuber, Osteuropa-Ökonom der Raiffeisen Bank International in Wien, dem Handelsblatt am Dienstag. „Wir sehen in Zentral- und Osteuropa sogar an die vier Prozent Wachstum oder sogar leicht darüber in diesem und im nächsten Jahr.“ Die RBI ist neben Österreich in 14 osteuropäischen Ländern aktiv.

Auch die Aussichten für das kommende Jahr sind günstig. Die EBRD geht in ihrer Prognose von einem Wachstum von rund drei Prozent für 2018 aus. Einige Länder stechen besonders heraus, darunter sind Rumänien, Polen, Slowenien, Türkei und Georgien mit Wachstumsraten von vier und mehr Prozent in diesem Jahr. Überdurchschnittliche Wachstumschancen macht die Osteuropa-Bank insbesondere für Osteuropa, den Balkan und das Baltikum aus – mit wenigen Ausnahmen wie Mazedonien und Griechenland.

Aber sie warnt auch, die nach wie vor bestehenden Risiken im Osten zu übersehen. Dazu gehöre etwa der wachsende Populismus in Ländern mit einer weiter entwickelten Wirtschaft, der sich nicht zuletzt gegen die Globalisierung richtet. Hinzu kommen geopolitische Spannung und Sicherheitsrisiken. Der noch immer nicht beendete Bürgerkrieg im Osten der Ukraine ist dafür ein Beispiel.

Laut EBRD gab es im ersten Halbjahr Wachstum in fast allen 37 Ländern der Region. Die einzigen beiden Ausnahmen seien das politisch labile Mazedonien und Aserbaidschan. Russland, das Schwergewicht in Osteuropa, hat ebenfalls de Weg aus der Rezession gefunden. In diesem Jahr erwarten die Ökonomen der Osteuropa-Bank dort ein Wachstum von 1,8 Prozent und im nächsten von 1,7 Prozent. Insbesondere der Anstieg der Ölpreise hilft dem Reich von Wladimir Putin.

Der Ölpreis bewegt sich mit Preisen von deutlich über 60 Dollar für das Barrel (159 Liter) auf einem Preisniveau wie vor über zwei Jahren nicht mehr. Experten sind allerdings skeptisch, wie nachhaltig die für Russland so günstige Preisentwicklung ist. „Allein die Fortsetzung der Angebotskürzungen seitens der Opec dürfte nicht ausreichen, den Ölmarkt längerfristig von den Überschüssen zu bereinigen“, konstatieren die Rohstoffexperten der Commerzbank.


Zwei EU-Länder setzen sich an die Spitze

Obwohl der Öl- und Gaskonzern Mol das größte Unternehmen in Ungarn ist, sind die Einflüsse auf die Volkswirtschaft im Land gering. Das vom rechtspopulistischen Premier Viktor Orbán regierte EU-Land boomt weiter. In den ersten sechs Monaten wuchs laut EBRD die Volkswirtschaft um 3,6 Prozent. Die robuste Konjunktur wird sich fortsetzen. Die starke Autoindustrie – allen voran mit deutschen Investoren wie Audi und Daimler – , der höhere Mindestlohn und niedrigere Sozialversicherungsbeiträge stärken den Konsum, das Rückgrat des ungarischen Aufschwungs.

Für  dieses Jahr prognostiziert die Osteuropa-Bank ein Wirtschaftswachstum von 4,1 Prozent. Für Orbán und seine Partei Fidesz kommt der Aufschwung wie gerufen. Denn nächstes Jahr wählen die Ungarn eine neue Regierung. Experten warnen jedoch mittelfristig vor einem zu hohen Haushaltsdefizit. „Angesichts der konjunkturellen Lage ist ein Budgetdefizit von annähernd drei Prozent zu viel“, sagte RBI-Analyst Deuber. Zudem betreibe die Notenbank in Budapest eine sehr lockere Geldpolitik.

Der Star innerhalb Osteuropas ist allerdings Rumänien mit einem Wachstum von 5,8 Prozent in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Die Regierung in Bukarest hat mit der gesenkten Mehrwertsteuer, einer Anhebung der Gehälter und einer prozyklischen Steuerpolitik ein kleines Konjunkturwunder in dem Karpatenland vollbracht. Der private Konsum treibt die Wirtschaft an. Die Nachteile liegen auf der Hand: Das Haushaltsdefizit steigt. Osteuropa-Ökonom Deuber erwartet im kommenden Jahr ein Haushaltsdefizit von vier Prozent und Leistungsbilanzdefizit von ebenfalls vier Prozent. „Wir erwarten eine weitere Verschlechterung“, warnt Osteuropa-Volkswirt Deuber. „In Rumänien gibt es einen Trend, den wir in diesem Umfang in anderen Ländern in Südosteuropa nicht sehen“. Die Osteuropa-Bank EBRD ist dennoch zuversichtlich und erwartet für dieses Jahr eine Wachstumsrate von 5,3  Prozent und im nächsten Jahr von 4,2 Prozent.

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