Künstliche Intelligenz Wie massenhafte Daten die Rendite steigern können

Pablo Hess und Michael Günther sind Entwickler und Portfoliomanager von Tungsten Capital mit Sitz in Frankfurt am Main Quelle: PR

Russlandkrise, Inflation, mögliche Zinserhöhungen – in unruhigen Börsenzeiten ist die richtige Depot-Zusammensetzung kein Kinderspiel. Künstliche Intelligenz soll dabei helfen. Was die Datenalgorithmen schon können.

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Pablo Hess und Michael Günther sind Entwickler und Portfoliomanager von Tungsten Capital mit Sitz in Frankfurt am Main. Beide forschen seit rund 20 Jahren an Datenanalyse-Technologien. Im Jahr 2013 haben sie mit dem TRYCON-Fonds eine der ersten vollständig auf KI (künstliche Intelligenz) basierenden Anlagestrategien in Deutschland emittiert.

Innerhalb weniger Wochen haben sich die Rahmenbedingungen in der Geldanlage für Privatanleger und institutionelle Investoren gleichermaßen geändert. Zunächst sorgt die Zinswende, insbesondere seitens der US-Notenbank Fed, für Nervosität. Nicht nur, dass Rentenpapiere für viele Marktteilnehmer als Renditebringer weiterhin ausscheiden, auch die Anlagegattung Aktie ist mit einem Fragezeichen versehen. Nun sorgt auch noch der Konflikt in der Ukraine für enorme Kursverluste an den Börsen. Gerade den Dax hat es besonders hart getroffen.

Es rollt eine Verkaufswelle, nicht nur Aktien- und Anleihemärkte, auch Krypto- und Rohstoffmärkte reagieren auf die Unruhen. Hinzu kommt, dass viele Assetklassen stark vom Verlauf beziehungsweise dem Erfolg der Aktienmärkte abhängig sind. Nicht nur Aktienstrategien untereinander, auch Anlageklassen wie gelistete Immobilien oder Private Equity weisen teilweise eine Korrelation von 0,8 oder mehr gegenüber europäischen und weltweiten Aktienindizes auf.

In der Praxis werden Anleger künftig also noch genauer hinschauen, welche Bausteine sie als Ertragsquellen oder zur Streuung ins Portfolio holen – zum Beispiel Sachwerte wie Rohstoffe oder Edelmetalle, spezifische Themen- und Branchenfonds oder sogar private Beteiligungen.

Die Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) ist dabei für viele ein Hoffnungsträger. Die Leistungsfähigkeit von KI wird bei der Analyse großer Datenmengen bereits in zahlreichen Branchen erfolgreich genutzt. Auch in der Auswertung von Börsendaten kann KI eine neue Perspektive auf das Marktgeschehen liefern und andersartige Ergebnisse weitgehend unabhängig von der Aktienmarktentwicklung ermöglichen.

Viel Rauschen, kaum Signal

Asset Manager, die Algorithmen zur Generierung von Investmententscheidungen einsetzen, gibt es in Deutschland jedoch bislang höchstens ein Dutzend. Der Grund: Nicht die Aggregierung, jedoch die Interpretation von Variablen ist aufgrund der Komplexität und der ständigen Bewegung der Finanzmärkte sehr anspruchsvoll. Man nennt dies auch „Signal-to-Noise-Verhältnis“: viel Rauschen, aber wenig Signal.
Welche Zahlenmengen ausgewertet werden, kann von Anbieter zu Anbieter sehr unterschiedlich sein. Einige setzen auf strukturierte Börsendaten, andere nutzen etwa verfügbare Informationen aus dem Social Web. Verschiedene Modelle verfolgen unterschiedliche Ansätze. Deshalb ist es pauschal schwer zu beantworten, wie sich KI-Algorithmen im direkten Vergleich gegenüber traditionellen Strategien schlagen.

Künstliche Intelligenz gilt als die Wunderwaffe am Finanzmarkt von morgen. Um nachhaltig besser zu sein als menschliche Investoren, müssen die Algorithmen aber noch einiges lernen. Profitrader Raul Glavan erklärt, was.
von Tina Zeinlinger

Wir steuern unseren Mischfonds seit acht Jahren auf Basis eines KI-Systems, das täglich mit einer siebenstelligen Zahl an Finanz-, Umsatz- sowie Preisdaten gespeist wird. Diese Daten untersucht die KI sowohl nach linearen als auch nichtlinearen Zusammenhängen und Wechselwirkungen. Aus der Analyse historischer Kursmuster – dazu zählen beispielsweise Preistrends, relative Wertentwicklungen, die Geschwindigkeit von Kursänderungen oder auch Entwicklungen an den Zins- und Währungsmärkten – leitet sie Prognosen zur Wahrscheinlichkeit bestimmter Marktbewegungen in der näheren Zukunft ab.

Anspruch ist es, dass der Fonds für Anleger täglich handelbar ist und über die KI sowohl steigende als auch fallende Kurse verwerten kann. Gemein ist den meisten auf KI basierenden Fondsstrategien am Markt, dass sie sich einen entscheidenden Vorteil zu Nutze machen: Die KI analysiert emotionsfrei. Das heißt, die Entwickler fungieren als Controller und setzen der maschinellen Intelligenz einen Rahmen, überlassen dieser aber - ohne menschliche Befangenheit - die Interpretation des Marktgeschehens. Es geht also darum, die KI so zu programmieren, dass sie - ohne Voreingenommenheit - Eintrittswahrscheinlichkeiten auswertet, Richtungswechsel an den Märkten (schneller) antizipiert und so Chancen für Anleger erschließt beziehungsweise diese vor maximalen Wertverlusten bewahrt.

Dazu drei Beispiele aus der Investmentpraxis: Getrieben durch die Erwartung höherer Finanzierungskosten hat der 2000 Unternehmen umfassende Nebenwerte-Index Russell 2000 seit November 2021 in der Spitze fast 20 Prozent verloren. Während trendfolgende Modelle zunächst auf eine Fortsetzung der Hausse setzten, konnte die KI den Richtungswechsel früh antizipieren. Über Short-Positionen konnte die Anlagestrategie so bis Ende Januar 2022 von der anhaltenden Abwärtsbewegung profitieren.

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Ein weiteres gutes Beispiel sind Rentenpapiere. Auch hier konnte die KI über Short-Positionen zum Beispiel den mit sinkenden Kursen einhergehenden Anstieg der Rendite zehnjähriger britischer Staatsanleihen nutzen, die über zwölf Monate von 0,32 auf 1,30 Prozent angesprungen ist. Etwas verfrüht dagegen hat sich die KI in der ersten Januarhälfte 2022 auf einen Anstieg des US-Dollar zum Euro positioniert und dabei zunächst Verluste erlitten. Als der US-Dollar sein Monatstief zum Euro erreichte, erhöhte die KI die Gewichtung, um von der dann folgenden Preissteigerung des Greenback von 2,8 Prozent schlussendlich zu profitieren.

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Aus den skizzierten Eigenschaften der KI lässt sich keine Garantie für Überrenditen gegenüber traditionellen Handelsansätzen ableiten. Worin bestehen dann der Wertbeitrag und die konkrete Anwendbarkeit für private und institutionelle Anleger? Was die KI vor allem bietet ist ein neues, flexibles Werkzeug, mit dem sich eine tiefere Durchdringung von Daten erreichen lässt.

Auf der Basis unserer eigenen Forschungs- und Fondsarbeit können wir, basierend auf mittlerweile über 40.000 Börsentransaktionen, sagen, dass es mittels KI gelungen ist, die Wechselbeziehung zu den klassischen Anlageklassen Aktien und Renten auf nahezu null (<0,2) zu reduzieren. Entsprechend sind wir von dem Zusatznutzen, den KI als Evolution quantitativer Modelle schafft, überzeugt. Selbstlernende KI-Systeme vermögen die aktuellen Zinsherausforderungen zu adressieren und aufgrund ihrer Marktunabhängigkeit einen Mehrwert zu schaffen.

Der Portfoliomanager des 1,4 Billionen US-Dollar schweren größten Staatsfonds der Welt, Nicolai Tangen, hat in seinem Ausblick für 2022 darauf hingewiesen, dass der nachlassende Rückenwind für Aktien und die Auswirkungen der Inflation zu den größten Herausforderungen für Anleger in diesem Jahr gehören dürften. Professionelle Investoren und Privatanleger werden aufgrund der aktuellen Marktlage und zur Verwirklichung ihrer Anlageziele zunehmend Innovationen anfragen, die die Korrelation mit anderen Anlagen verringern und damit das Depot breiter aufstellen. KI kann hier einen Beitrag leisten, denn sie kann mehr, als nur Rationalisierung, Automatisierung und Effizienzsteigerung.

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