Leerverkäufer Hindenburg Research Wer ist der Adani-Jäger?

Multi-Milliardär Gautam Adani fürchtet um sein Vermögen. Quelle: AP

Die indische Adani-Gruppe verliert nach dem Angriff des Shortsellers Hindenburg Research weiter massiv an Wert. Wer ist der Leerverkäufer, der einen der reichsten Männer der Welt attackiert?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Nathan Anderson wusste scheinbar genau, welch fetten Brocken er da ins Rollen bringen würde. „Bald werden wir einen Report über den vermutlich größten Betrug der Wirtschaftsgeschichte veröffentlichen“, teilt Hindenburg Research am vergangenen Dienstag per Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Am nächsten Tag wusste die Welt dann, wen Anderson mit seiner Ankündigung meinte. Ziel ist die indische Adani-Gruppe, das Konglomerat des Multi-Milliardärs Gautam Adani. Bilanzbetrug, Marktmanipulation und Überschuldung, so lauten nur einige der Vorwürfe, die Anderson und seine US-Researchfirma Hindenburg gegen den indischen Mischkonzern erheben.

Die Vorwürfe von Anderson haben ihr Ziel nicht verfehlt. Sein Bericht hat Adani, laut Forbes eigentlich einer der reichsten Männer der Welt, Milliarden gekostet. Schon jetzt haben sich Verluste von 84 Milliarden Dollar angehäuft. Auf der Liste der reichsten Menschen der Erde rutschte der Inder von Platz 3 auf Rang 15 nach unten.

Zwar konnte Adani die Kursverluste am Dienstag etwas stoppen, indem er Aktien im Wert von 2,5 Milliarden Dollar platzierte. Schon am Mittwoch ging der Ausverkauf an der Börse allerdings weiter.

Das ist nur eines von zahlreichen Indizien dafür, dass Anderson mit seinen Vorwürfen womöglich nicht komplett falsch liegt. Dafür spricht zum Beispiel auch, dass die Schweizer Großbank Credit Suisse laut Bloomberg Anleihen der Adani-Gruppe nicht mehr als Sicherheiten für Kredite akzeptiert. Derweil versucht Adani selbst mit allen Mitteln, Anderson und sein Team zu diskreditieren, spricht von Lügen und „unbegründeten Vorwürfen“.
Während Adani hinter Andersons Attacke einen Angriff gegen Indien wittert, spricht einiges dafür, dass der Leerverkäufer mit vielen seiner Vorwürfe richtig liegen könnte – zum Beispiel seine erfolgreiche Bilanz früherer Attacken.

Nathan Anderson, der sich selbst in E-Mails lieber kurz als Nate bezeichnet, ist ein sogenannter Shortseller. Das sind Investoren, die Aktien leer verkaufen – ohne sie vorher zu besitzen. Dafür leihen sie sich die Papiere vorher gegen eine Gebühr und verkaufen sie weiter. Die Hoffnung der Spekulanten: Fällt der Kurs der Aktie danach, können Leerverkäufer die Papiere zu einem niedrigeren Kurs zurückkaufen. Die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufskurs abzüglich der Leihgebühr ist dann ihr Gewinn.

Anderson gehört zu den aktivistischen Leerverkäufern. Sie spekulieren nicht nur mit den geliehenen Aktien wie normale Hedgefonds, sondern attackieren auch die Unternehmen, bei denen sie auf Kursverluste wetten. Oft geschieht das wie jetzt bei Adani, in dem die Shorties seitenlange Reports mit Vorwürfen veröffentlichen. So versuchen aktivistische Leerverkäufer, selbst die Aktienkurse der jeweiligen Unternehmen zu drücken.

Das bisher wohl prominenteste Beispiel für solche Attacken lieferte der Leerverkäufer Fraser Perring. Er war der Erste, der unter dem Pseudonym Zatarra die Praktiken bei Wirecard anprangerte – und damit am Ende recht behalten sollte.

Deshalb werden Shortseller auch die Aasgeier der Börse genannt. Sie decken Betrug auf und dämpfen allzu überzogene Bewertungen wieder ein.
Lesen Sie auch: Shortseller - Die Offensive der Kurszerstörer

Kein Wunder, dass Unternehmen solche Angriffe sehr fürchten. Oft werfen sie den Shortsellern illegales Handeln vor und versuchen, rechtlich gegen die Angreifer vorzugehen. Auch Adani soll bereits rechtliche Schritte gegen Hindenburg Research prüfen.

Erfolgreich ist das meistens nicht. Sofern die Shortseller per Disclaimer in ihren Reports offenlegen, dass sie Aktien des jeweiligen Unternehmens selbst im Portfolio haben und ein Kurssturz entsprechend in ihrem eigenen Interesse ist, ist den Leerverkäufern in der Regel schwer beizukommen – es sei denn, es handelt sich um vorsätzliche Falschaussagen.

Auch Anderson hat sich auf diese Weise abgesichert. Überhaupt sehen sich Shortseller wie er weniger als Aggressoren oder Aktivisten, sondern schlicht als Investoren, die eben ihre Meinungsfreiheit ausüben. „Wir sind ein Researchunternehmen, welches schon immer den Fokus darauf gelegt hat, mutmaßlichen Betrug aufzuklären“, sagt Anderson. Außerdem sei er eben Investor. Sofern sich eine Kaufgelegenheit auftue, nutze er die aus.

Oft handelt es sich bei Shortsellern um kleine Teams, welche in monatelanger Recherchearbeit die vernichtenden Reports zusammenstellen. Anderson gibt an, mit seinem Team rund zwei Jahre zum Firmengeflecht der Adani-Gruppe recherchiert zu haben.

Er selbst hat Hindenburg Research Ende 2018 in New York gegründet. Vorher leitete der Finanzanalyst ClaritySpring, ein Unternehmen, welches er ebenfalls mitgegründet hat. Das Fintech ist eine Plattform, die Daten von Hedgefonds bündelt und so einen effizienten Markt schaffen will.

Dass er mit seinen Reports Erfolg haben kann, hat Anderson schon mehrfach bewiesen. Sein wohl größter Coup war bisher das Wasserstoff-Lkw-Startup Nikola. Mittels eines Videos belegte Hindenburg, dass der damalige Nikola-Chef Trevor Milton einen Wasserstoff-Truck einfach bergab rollen ließ, obwohl er behauptete, der Antrieb würde längst funktionieren. Die Aktie des Startups verlor daraufhin zwei Drittel ihres Werts und Milton seinen Job. Mittlerweile wurde Milton von einem US-Gericht wegen mehrfachen Betrugs schuldig gesprochen, ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft. Mittlerweile erholt sich Nikola langsam von der Misere, mit dem ehemaligen Opel-Chef Michael Lohscheller hat ein Deutscher Miltons Nachfolge angetreten.

Auch in die Kryptowelt hat sich Anderson mit Hindenburg vorgewagt. Er will herausfinden, was tatsächlich hinter der umstrittenen Kryptowährung Tether und dem zugehörigen Unternehmensgeflecht steckt. Sein Vorgehen ist in dem Fall durchaus bemerkenswert. Anderson veröffentlichte im Oktober 2021 einen Aufruf und lobte eine Belohnung für Informanten aus, die ihn mit besonders relevanten Informationen zu Tether versorgen. Bis zu einer Million Dollar will Hindenburg dafür zahlen. Schon in den ersten Tagen nach Veröffentlichung gingen laut Anderson zahlreiche sinnvolle Hinweise ein.

von Saskia Littmann, Heike Schwerdtfeger


Noch allerdings ist kein Report des Unternehmens über Tether erschienen. Zuletzt hieß es, Hindenburg sei weiterhin dabei, Hinweise zu sammeln. Vermutlich dürfte auch die Arbeit zu Adani das kleine Hindenburg-Team zu sehr beschäftigt haben. Ausruhen sollten sich die Verantwortlichen hinter Tether deshalb aber nicht. Anderson hat ja gerade erst wieder bewiesen, was für einen Kursrutsch er mit seiner Arbeit auslösen kann.

Lesen Sie auch: Anschuldigungen des Leerverkäufers Hindenburg Research erschüttern das Imperium des indischen Milliardärs Gautam Adani. Auch die Anleihen der Konzerntöchter sind stark unter Druck - nicht zum ersten Mal.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%