Der Wahlsieg des pro-europäischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron in Frankreich sorgt weltweit für Erleichterung, das Auseinanderbrechen Europas und der Euro-Zone bleibt allen Pro-Europäern vorerst erspart. Aber Euphorie will an der Börse nicht aufkommen. Dabei hatten einige Beobachter vor Börsenbeginn den deutschen Aktienindex Dax schon auf 13.000 Punkte springen sehen, zumindest aber bei einem neuen Rekordhoch um die 12.800 Punkte.
Der mit Spannung erwartete Wahlausgang in Frankreich hat den Dax am Montag zunächst auch in Rekordhöhen geschickt. Unterstützung kam zudem von starken Industrie-Daten aus Deutschland. Zum Börsenstart sprang der deutsche Leitindex auf 12.762 Punkte hoch – ein Plus von 0,3 Prozent gegenüber dem Schlusskurs vom Freitag. Doch der Höhenflug der ersten Handelsminuten endete jäh. Schnell gab der Dax seine Gewinne wieder ab und zeigte sich mit 12.719 Zählern fast unverändert. Im weiteren Handelsverlauf rutschte er sogar leicht ins Minus.
Der MDax erreichte bei zeitweise deutlich über 25.200 Punkten ebenfalls eine neue Bestmarke, sank aber am Vormittag auf 25.125 Zähler. Der TecDax verlor rund einen Drittel Prozentpunkt auf 2122 Punkte. Für den Leitindex der Eurozone, den EuroStoxx 50, ging es nach einem freundlichen Start sogar um 0,45 Prozent abwärts.
Frankreich: Was bedeutet Macrons Sieg für uns?
Auch an der Börse in Paris war wenig Feierlaune spürbar. Der französische Aktienindex CAC40 legte zeitweise um 0,2 Prozent auf 5442 Punkte zu und notierte damit so hoch wie zuletzt im Januar 2008, allerdings rutschte er dann ins Minus. Selbst der Euro, dem Experten einen deutlichen Sprung nach oben zugetraut hatten, notierte mit 1,0980 Dollar unter dem zeitweise im frühen Handel in Asien erreichten Sechs-Monats-Hoch von 1,1024 Dollar.
Asien-Märkte machten Hoffnung
Ein stärkeres Plus an den Aktienmärkten war vor allem wegen des starken Kursanstiegs in Asien zum Wochenauftakt erwartet worden. In Japan war der Nikkei-Index bis zum Handelsschluss am Montag um acht Uhr mitteleuropäischer Zeit um 2,4 Prozent gestiegen. Die Tokioter Börse war in der vergangenen Woche allerdings feiertagsbedingt mehrere Tage geschlossen und hatte Nachholbedarf. In Shanghai lag der Composite-Index indes niedriger.
Auch in New York hatten die Börsen am Freitag nach Handelsschluss in Europa zugelegt: Der Dow-Jones- und der S&P500-Index schlossen 0,3 und 0,4 Prozent höher, der Nasdaq-Composite gewann 0,4 Prozent. Allerdings hatte es zum Wochenende auch gute Nachrichten von der Wall Street und dem US-Arbeitsmarkt gegeben.
Dax hatte Macrons Sieg schon eingepreist
Dass Aktienmarkt und Euro derart zurückhaltend auf den Wahlausgang in Frankreich reagierten, hat gute Gründe. Zum einen war der Dax in der Vorwoche schon von Rekord zu Rekord geeilt und hatte den Sieg Macrons schon zu einem großen Teil vorweggenommen. Dessen Wahlsieg war also in Kursen bereits eingepreist Investoren nutzen die Gelegenheit, Gewinn mitzunehmen.
Seit Macrons Sieg in der ersten Wahlrunde vor zwei Wochen hatte der Dax knapp sechs Prozent zugelegt. In den zehn Handelstagen nach der ersten Wahlrunde hatte sich auch der Euro im Vergleich zum Dollar um etwa zweieinhalb Cent oder etwas mehr als zwei Prozent verteuert. "Nach diesem Höhenflug ist der Dax jedoch überkauft und reif für eine Korrektur", sagte Analyst Christian Henke von IG Markets.
Der zweite Grund für die Kaufzurückhaltung dürfte in der Ernüchterung darüber begründet sein, dass der Rechtspopulismus des Front National nach wie vor offenbar in großen Teilen der Bevölkerung salonfähig ist. Dass auf Marine Le Pen immer noch ein Drittel der Stimmen entfielen, schürt weiter Sorgen um die Zukunft der Europäischen Union.
Dementsprechend dürften schnelle Höhenflüge an der Börse zunächst ausbleiben. Vielmehr agieren die Anleger weiter vorsichtig und warten auf günstige Gelegenheiten.
„Vive la France, es lebe Europa und seine Aktien“
Dennoch sehen Börsenprofis auch Grund zum Optimismus. Kurz nach Beginn des Börsenhandels in Frankfurt teilte die Deutsche Asset Management (DAM), die Vermögensverwaltungstochter der Deutschen Bank, ihre aktualisierte Einschätzung für Europa bekannt. Die Analyse mit dem Titel „Vive la France, es lebe Europa und seine Aktien“ kommt zu dem Ergebnis, dass das bislang größte Einzelrisiko Europas im laufenden Jahr abgewendet sei und die populistischen Strömungen vorerst ihren Höhepunkt überschritten hätten. Die DAM nimmt das zum Anlass, europäische Aktien auf „Übergewichten“ hochzustufen.
Für europäische Aktien spreche demnach auch, dass die Unternehmensgewinne 2017 wieder steigen sollten und Gewinndynamik und Bewertung europäischer Aktien insbesondere im Vergleich mit dem US-Aktienmarkt überzeugen würden. Britta Weidenbach, Leiterin europäische Aktien bei der DAM, glaubt, dass dieses Jahr einen Wendepunkt in Europa markiert. „Das Gewinnwachstum ist nach sechs schwachen Jahren zurückgekehrt – wir rechnen mit einem zweistelligen Ergebnisplus im Jahresvergleich“, heißt es in der DAM-Mitteilung.
Die laufende Bilanzsaison gibt Weidenbach recht. Bislang hat rund die Hälfte der europäischen Großkonzerne Zahlen vorgelegt. Bislang übertrafen rund 80 Prozent von ihnen beim Umsatz die Markterwartungen. Unter den Industrie-Unternehmen liegt die Quote sogar bei über 95 Prozent. Experten rechnen für das erste Quartal mit einem Gewinnplus von durchschnittlich knapp 14 Prozent. Damit bewegen sich heimische Konzerne auf Augenhöhe mit der US-Konkurrenz.
Da die politischen Unwägbarkeiten vor allem ausländische Investoren davon abgehalten haben dürften, ihre Gelder verstärkt nach Europa umzuschichten, dürften diese nun nach dem Wahlsieg des Pro-Europäers Macron wieder aktiver werden.
Italien jetzt größtes Risiko für Europas Aktienmarkt
Die größten Einzelrisiken für den europäischen Aktienmarkt gehen nach DAM-Darstellung nun von Italien aus. Dort würden politische Unzufriedenheit und ein fragiler Bankensektor auf ein siechendes Wirtschaftswachstum stoßen, gegen Ende des Jahres sei mit Neuwahlen zu rechnen. Belastend wirke zudem weiter der Brexit, zumindest was die Wirtschaft in Großbritannien und der restlichen EU angeht.
Weniger optimistisch gibt man sich bei Franklin Templeton Investments. Portfoliomanager Philippe Brugère-Trélat gibt zu bedenken, dass Macron politisch noch sehr unerfahren und seine politische Bewegung „En marche“ erst ein Jahr alt sei. Die brennendste Frage sei daher, „ob Macron in der Lage sein wird, sich eine politische Mehrheit zu verschaffen, um die Umsetzung seines Reformprogramms zu unterstützen.“
Entscheidend dafür sei der Ausgang der Parlamentswahlen in Frankreich, die am 11. und 18. Juni dieses Jahres stattfinden. Davon würde unter anderem die dringend benötigte Reform des Arbeitsmarktes abhängen. Ähnlich argumentierte die Börsenexperten von Postbank und dem Vermögensverwalter Feri.
Ob Europas Aktien mittel- bis langfristig von Macrons Wahlsieg profitieren können, wird sich demnach erst in den kommenden Monaten zeigen. Auch Carsten Mumm von der Privatbank Donner & Reuschel bremst die Erwartungen. „Die aktuelle Handelswoche wird zeigen, wie viel Anlagebedarf bei den Investoren noch da ist oder ob die Aktienrallye mit dem Sieg Macrons erst einmal vorbei ist“, sagt Mumm. Der Dax habe im Jahresverlauf um mehr als zehn und der Euro Stoxx 50 sogar um mehr als elf Prozent zugelegt. „Jetzt noch die Aktienquote in Europa zu erhöhen, fällt sicherlich schwer“, konstatiert Mumm.
Immerhin: Der Wahlsieg Macrons dürfte das Rekordniveau in Dax & Co. zumindest gefestigt haben, ein deutlicher Rückfall unter die bisherigen Höchststände ist nicht absehbar. Mit Blick auf die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank dürften die Chancen auf weitere Kursgewinne somit ganz gut stehen.
Mit Material von Reuters und dpa