Max Otte „Wie die DDR im Endstadium“

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"Es droht nicht der eine große Crash"

Das klingt aber, als müssten wir zumindest mit einem neuen, großen Crash rechnen.

Ich kenne und schätze Ihren Kolumnisten Daniel Stelter sehr. Er spricht von einer Eiszeit, die die Märkte erwartet. Diese These finde ich richtig. Wir werden wahrscheinlich nicht den nächsten Crash kriegen, sondern ein Einfrieren zunehmend zwangsadministrierter Märkte erleben. Das sehen wir auch schon: Immer mehr Teile im System können nur noch mit Gewalt bewegt werden. Es droht nicht der eine große Crash, sondern eine Vielzahl kleiner, kontrollierter Explosionen, wie aktuell im italienischen Bankensektor. Die Situation hat sich nicht groß geändert: Es gibt zu viele Geldforderungen auf der Welt, zu viele Schulden, zu viel Liquidität – und die muss zurückgeführt werden. Die Besitzer von Geldvermögen sind noch immer die Gekniffenen. Und das sind auch die Deutschen: die haben noch immer über 80 Prozent ihres Vermögens in reinen Geldforderungen wie Bankkonten, Sparprodukten oder Lebensversicherungen. 

Auch vom Brexit droht keine Crash-Gefahr, wenn er 2017 kommt?

Der Brexit könnte ein Glücksfall für Europa werden. Die Briten spielten in der EU schon immer eine spezielle Rolle und wollten Sonderprivilegien. Es ist doch paradox, dass das europäische Finanzzentrum in London sitzt, und es dort keinen Euro gibt. Würde der Brexit umgesetzt, könnte England nicht mehr am europäischen Bankenmarkt teilzunehmen. Dann wären die Londoner Banken raus. Das würde Frankfurt, Wien und Paris extrem stärken. Und Frankfurt sollte das europäische Finanzzentrum sein. Das bisschen Export, das uns durch das gesunkene Pfund entgeht, wäre nicht so tragisch. Das politische Signal, das von einem Brexit ausginge, finde ich aber richtig: Liebe unbequeme Mitgliedstaaten, wir sprechen mit euch, aber wenn ihr den Bogen überspannt, dann fliegt ihr auch mal raus. Das wäre eine Stärkung der restlichen EU. Ob der Brexit allerdings kommt, ist keinesfalls klar. Wahrscheinlich finden die politischen Eliten wieder eine Möglichkeit, einen "Brexit light" umzusetzen. Denn eigentlich will bei den Politikern ja kaum einer den Brexit. 

Die Top 10-Werte im MDax

Droht nicht der Euro daran zu zerbrechen?

Insgesamt ist die Gemeinschaft vielen Stresstests ausgesetzt. Schon 1998 habe ich in einem Vortrag an der Boston University gesagt, dass der Euro falsch konstruiert ist, und in spätestens zehn Jahren große Probleme haben wird die das System in eine Legitimationskrise treiben werden. Nun gut, es hat zwölf Jahre gedauert. Was ich auch nicht gesehen habe, ist, mit welch brachialer Vehemenz und mit welchen staatssozialistischen, zwangswirtschaftlichen, nahezu totalitären Maßnahmen die Notenbanken und die Wirtschaftspolitik das System am Leben erhalten: Bargeldverdrängung, Kauf von Unternehmensanleihen, Rettungsschirme, die dem EU-Vertrag widersprechen und all die anderen unmarktwirtschaftlichen Maßnahmen. 

Die Börsenreaktionen auf all die Krisenmomente waren ja - wenn überhaupt - nur von kurzer Dauer, dann ging es unbeirrt aufwärts. Sind die Anleger zu optimistisch? 

Für Privatanleger muss die Konsequenz aus der fehlgeleiteten Notenbankpolitik heißen: Raus aus dem Geldvermögen, egal ob Anleihen, Festgeld oder Lebensversicherungen, und rein in reale Vermögenswerte, also Sachwerte wie Aktien, Immobilien und Edelmetalle. Aktien sind insgesamt noch weit von einer Überbewertung entfernt. Selbst bei den gefragten Qualitätstiteln ist keine Blase erkennbar. Solche Titel haben KGVs zwischen 20 und 25. Im Jahr 1998 notierte Coca Cola zu einem KGV von 46. Das war teuer. Heute gibt es im Gegenteil viele Titel, die sehr billig sind. Lufthansa etwa mit einem KGV von fünf, aber auch einige europäische Banken, Rohstoffe und Gold. Öl hat sich erholt, ist aber auch noch nicht teuer. Im Gegenzug dazu sind US-Aktien nicht mehr billig, einige Einzeltitel sogar überteuert. Wenn wir schon selektive Blasen sehen, dann bei Qualitätsimmobilien und zum Beispiel bei Private Equity. 

Unter welcher Überschrift würden Sie 2016 als Fondsmanager zusammenfassen?

„Die Rückkehr der Zykliker“. Etliche meiner Investmentthesen von 2013 und 2014 sind jetzt endlich gereift, das hat Zeit gebraucht. Das erste Halbjahr 2016 war sehr, sehr schlecht, aber langsam nehmen die Börsen Fahrt auf. Aber wir haben auch Fehler gemacht. Wir haben die Zykliker zu früh gehabt, und ab Mitte 2014 liefen Qualitätstitel und amerikanische Werte. Von Sommer 2014 bis Ende 2015 liefen unsere Fonds unterdurchschnittlich. Dann haben wir auf mehr Qualität umgestellt und die Zykliker reduziert – und wurden nochmal aus der Kurve getragen, als sich die Zykliker Anfang 2016 ganz gut erholt haben. Das hat mich darin bestärkt, wie wichtig es ist, seinem Stil treu zu bleiben. Auch wenn es zwischendurch Kritik hagelt. Fast jeder Investor hat mal "Anfechtungen". Die muss man abwehren. Jetzt läuft es wieder besser, die Gewinne kommen allmählich. Seit Juli haben der Max Otte Vermögensbildungsfonds und der PI Global Value Fonds um jeweils gut 15 Prozent zugelegt. 

Bleiben Sie den Zyklikern jetzt treu?

Ja. Jetzt ist die Stunde der Industriewerte und der potenziellen Inflationsgewinner. Die Basis bilden in den Fonds immer noch Qualitätstitel, aber die Zykliker sind das Salz in der Suppe. Wir gehen vielleicht noch etwas mehr und selektiv in Zykliker und Rohstoffe, allerdings mit scharfen Risikolimits. Die These, die wir vor zwei Jahren hatten, aber leider nicht komplett durchgehalten haben, bewahrheitet sich gerade. Die Industriewerte und Banken entwickeln sich. Salzgitter etwa mit plus 80 Prozent vom Tief. 

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