Für Anwalt Gieschen entscheidend: "Das Rating war vorläufig, es wurde später zurückgezogen." Die Siag-Insolvenz beschäftigt nun auch die Staatsanwaltschaft Koblenz. Unterlagen zufolge, die der WirtschaftsWoche vorliegen, ermittelten die Koblenzer zumindest den März über wegen Insolvenzverschleppung gegen Ex-Finanzvorstand Roland Schüttpelz (2050 Js 14358/12). Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass gegen "die Verantwortlichen der Siag" ermittelt werde. Namen nannte sie aus "ermittlungstaktischen Gründen" nicht. So will Schüttpelz noch nichts davon gehört haben. Da er am 15. Dezember 2011 als Vorstand abberufen worden sei, "dürfte eine Insolvenz, die drei Monate später eintrat, kaum von mir verschleppt worden sein", sagte er der WirtschaftsWoche. Von wem auch immer, zu spät war Siag nach Ansicht von Insolvenzverwalter Seidl auf jeden Fall: "Spätestens ab Januar 2012 war Siag zahlungsunfähig", sagt er.
Neun von 100 Unternehmen gehen innerhalb von fünf Jahren pleite
Trotz schon bekannter Insolvenzen schütten Investoren Minibond-Emittenten teilweise mit Geld zu. Die im März an den Markt gekommene 30-Millionen-Euro-Anleihe der Hemdenmarke Seidensticker etwa war gleich siebenfach überzeichnet, die Hälfte des Anleihevolumens des mit BB+ benoteten Unternehmens ging an Privatanleger. Rein statistisch gesehen, gehen 9 von 100 Unternehmen mit diesem Rating binnen fünf Jahren pleite. Das muss bei Seidensticker nicht der Fall sein. Einige Kennzahlen sind ordentlich, eher schwach dagegen ist die Eigenkapitalquote, die dieses Jahr bei geschätzten nur gut 16 Prozent liegen soll. "Der Mittelstands-Anleihemarkt hat noch viele Kinderkrankheiten, weitere Anleihen können jederzeit ausfallen", sagt Allan Valentiner, Manager des Johannes Führ Mittelstands-Rentenfonds.
Wer hätte etwa gedacht, dass bei einem der neuen Papiere zwar Katjes draufsteht – im Wesentlichen aber der französische Zuckerwarenproduzent Lamy Lutti dahinter steckt? "Anleger vertrauen Markennamen blind, das ist falsch. Nach meiner Schätzung wird Katjes International nächstes Jahr nach Zinsen und Steuern rote Zahlen schreiben", sagt Analyst Matthias Engelmayer von Independent Research. Nicht Katjes Deutschland hat den Bond emittiert, sondern die Auslandstochter International. Deren Eigenkapitalquote liegt bei läppischen drei Prozent, die Nettoschulden sind fast 13 Mal so hoch wie das Eigenkapital. Das toppt nur der FC Schalke 04: Der Fußballklub hat ein negatives Eigenkapital.
Alle zahlen, keiner haftet
Während für Fans des Schuldners der Herzen offenbar andere Qualitäten zählen, ist es für nüchterne Anleger wichtig, wer im Notfall haftet – die Mutter von Katjes für ihre Auslandstochter und deren Anleihe jedenfalls nicht. Ähnlich trickst Underberg: Emittentin ist die semper idem Underberg, Mutter war zur Zeit der Emission die Underberg KG. Zwischen den Gesellschaften besteht laut Prospekt zwar ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag – Gewinne müssen abgeführt, Verluste müssen ausgeglichen werden.
Emil Underberg jedoch, Spross der Gründerfamilie, ließ sich eigens für die Emission aus der persönlichen Haftung befreien: Laut Prospekt sollte die damalige KG in eine GmbH & Co. KG umgewandelt werden. So steht Underberg im Ernstfall nicht mehr als persönlich haftender Gesellschafter gerade. Der Kräuterlikörhersteller sei "auf einem gesättigten Markt mit Verdrängungswettbewerb unterwegs", so Engelmayer. Und wenn schon Emil Underberg nicht mehr mit seinem Vermögen haften will, wieso sollten Anleger investieren?