Manchmal müssen wir uns zurücklehnen, um das große Bild zu sehen. Denn wir sind jeden Tag so von medialen Bäumen umstellt, dass es Anstrengung kostet, auf einen Hügel zu klettern und den ganzen Wald zu betrachten.
Damit Sie hier im Artikel nicht den Überblick verlieren, will ich dieses Mal gleich mit der Botschaft ins Haus fallen, die ich Ihnen heute mitgeben möchte. Sie lautet: Vielleicht lassen Sie den Markt nun mal mit sich alleine, vielleicht nehmen Sie Gewinne mit, steigern temporär Ihren Cash-Anteil und machen sich einen schönen Sommer - so er denn endlich kommt.
Ich könnte auch sagen, man sollte aufhören können, wenn es am schönsten ist - eine wesentliche Fähigkeit, die an den Finanzmärkten Erfolg von Misserfolg unterscheidet. Man muss gar kein Raketenwissenschaftler sein und muss nicht genau die Hochs und Tiefs der täglichen Börsenzyklen treffen. Und man muss auch nicht exakt die großen Gewinneraktien im Depot haben. Es reicht in den 70 Prozent der Zeit, in der die Märkte typischerweise steigen, einfach dabei zu sein und mit zu schwimmen. Letztlich hebt die Flut fast alle Boote.
Man muss auch nicht bei jeder kleinen Korrektur sofort panisch werden. Denn es gibt in einem normalen Börsenjahr maximal drei, normal nur ein oder zwei Phasen, in denen ernste Korrekturen anstehen.
Alles was man schaffen muss, um die Märkte zu schlagen, ist in diesen Phasen auszusteigen und den Markt von der Seite zu betrachten. Und so die schönen Gewinne zu bewahren, die man sich in den Monaten vorher so mühsam erarbeitet hat.
So eine Phase könnte dem Markt nun bevorstehen, was ein guter Anlass ist, gelassen auf die Suche nach der Sonne zu gehen, statt weiter in Bildschirme mit Zahlen und Charts zu starren.
10 Tipps für Börseneinsteiger
Bevor ein potentieller Anleger zum ersten Mal Aktien kauft, sollte er sich Gedanken darüber machen, welches Ziel er mit der Geldanlage verfolgt und für welchen Anlegertyp er sich hält. Wenn mit den Aktien später die Altersvorsorge aufgestockt oder das Studium der Kinder finanziert werden soll, muss an der Börse eine andere Taktik angewendet werden, als wenn es um kurzfristige Gewinne geht. Die grundlegende Frage ist: Sind Sie auf den Betrag angewiesen und investieren deshalb lieber mit möglichst geringem Risiko oder können Sie eventuelle Verluste verschmerzen und renditestärkere aber auch riskantere Papiere kaufen?
Wer die Frage nach der eigenen Risikoneigung mit "no risk, no fun!" beantwortet, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er zwar sehr viel gewinnen, aber auch sehr viel verlieren kann. Für den Anfang schadet es nicht, auf eine langfristige Strategie zu setzen und die Entwicklungen an den Märkten zu beobachten. Kleine Zockereien für den Nervenkitzel sind dann im Verlustfall besser zu verschmerzen. Nach dem Geckoschen Leitsatz "Greed is good" sollten Börsenneulinge nicht handeln.
Was eine Aktie ist und wie sie funktioniert, dürfte jedem klar sein. Wer sein Depot auch mit Anleihen und Zertifikaten füllen möchte, sollte nur in Produkte investieren, die er auch versteht. Wer nur auf die Renditeversprechen hört und Produkte kauft, deren Vor- und Nachteile, beziehungsweise Funktionsweisen er nicht begreift, fällt über kurz oder lang auf die Nase.
Bevor Sie ein Depot eröffnen, vergleichen Sie die Gebühren der Banken. Je höher die Gebühren sind, desto geringer fällt die Rendite nachher aus. Direktbanken haben im Regelfall günstige Konditionen und bieten kostenlose Depots an.
Anleger sollten ihr Geld - und damit auch ihr Risiko - zumindest am Anfang möglichst breit streuen. Verteilen Sie Ihr Geld auf verschiedene Märkte wie Rohstoffe und Energie, sowie auf Aktien, Fonds und Anleihen.
Wer seinem Portfolio Fonds oder Zertifikaten beimischt, sollte auch innerhalb dieser Anlageklassen auf eine gute Mischung achten. Fondsanbieter und deren Produkte lassen sich online schnell vergleichen. Wer nicht nur in ein oder zwei Gesellschaften investiert, ist auf der sicheren Seite.
Besonders wichtig ist, dass Sie sich Zeit nehmen für Ihre Geldanlage und Ihr Depot regelmäßig überprüfen: Welche Anlageinstrumente haben sich wie entwickelt? Ist es Zeit, das Depot umzuschichten, oder läuft alles in meinem Sinne?
Bei der Überprüfung des Depots sollte man sich immer mal wieder fragen: Würde ich diese Aktie oder diesen Fonds heute noch kaufen? Lautet die Antwort ja, behalten Sie das Produkt. Sind Sie von der Qualität nicht mehr überzeugt, wird es Zeit zum Verkauf.
Entwickelt sich eine Aktie oder ein sonstiges Produkt nicht so, wie geplant, sollten Sie nicht zögern, es zu verkaufen. Sogenannte Stopp-Loss-Orders, also Untergrenzen, bei denen verkauft werden soll, können hilfreich sein. Das bietet sich insbesondere dann an, wenn man den Kurs nicht permanent selbst im Auge behalten kann oder will.
Grundsätzlich gilt: Verlieren Sie nicht die Nerven. An der Börse gibt es Kursschwankungen, Aktienkurse können unerwartet einbrechen. Das sollte aber kein Grund sein, den Kopf zu verlieren. Panische und unüberlegte Deals kosten meist mehr Geld als die Abwärtstrends.
Nun könnte ich dies hier ausführlich herleiten. Könnte Ihnen Charts zeigen, Momentum analysieren, Distribution von "Big Money" zu den kleinen Anlegern aufzeigen und über die weitere Politik der Notenbanken und ihre Auswirkungen nachdenken. All das können Sie gerne in meinem Blog jeden Tag mit mir zusammen tun.
An dieser Stelle will ich aber nur eine einfache Logik sprechen lassen, eben den Wald statt vieler Bäume:
- Wir haben eine historisch seltene Phase von sechs Monaten unaufhörlichem Anstieg in den Indizes hinter uns.
- Wir notieren an oder über den alten historischen Höchstständen.
- Wir sehen aktuell in den Indizes erste Brüche, an der Wall Street werden gerade in diesen Tagen die großen Gewinneraktien der letzten Monate abverkauft.
- Die Bondmärkte in USA und Japan zeigen Anzeichen von Stress und steigende Renditen.
- Die FED beginnt über den Exit aus ihrer Politik zu diskutieren.
- Und in den Märkten hat sich die gefährliche Gelassenheit breitgemacht, dass es durch die Notenbanken ja sowieso weiter hoch gehen muss. "Buy the Dip" ist das Motto, dem bald jeder folgt.
Kein Markt geht wie ein Strich nach oben
Ich bin ja auch der Ansicht, dass die Politik der Notenbanken für weiter steigende Preise an den Aktienmärkten sorgen wird. Und ich halte auch weit höhere Stände im Dax zum Jahresende eher für wahrscheinlich. Nur eben nicht sofort, kein Markt geht wie ein Strich nach oben!
Sicher ist es möglich, dass die Märkte auch über den Sommer weiter steigen. Und wenn man jetzt auf die Seitenlinie tritt, hat man dann ein paar Prozent verpasst. Nur stellt sich doch die Frage: so what?
Dass die Märkte über den Sommer noch einmal zehn oder 20 Prozent obendrauf legen, ist zwar theoretisch möglich, aber nun eher unwahrscheinlich. Zu überdehnt ist die aktuelle Entwicklung und zu deutlich die Anzeichen von Distribution und nachlassendem Momentum. Umgedreht aber, falls die Märkte zu einer echten Korrektur ansetzen sollten, sind schnell mal zehn Prozent nach unten drin. In Summe sehe ich daher im Moment ein asymmetrisches Risiko zu Ungunsten der Anleger; die Fallhöhe über den Sommer ist größer als das, was man in dieser Zeit wahrscheinlich gewinnen kann.
Das muss kurzfristige Trader nicht interessieren, die verdienen an den Swings und an jeder Marktrichtung. Und langfristige Investoren schon gar nicht, denn die großen Trends sind in den meisten Segmenten intakt.
Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln
Gegen die größer werdenden Unwägbarkeiten sollte man sich zuallererst mit einer Strategie wappnen: Wer an kräftiges Wachstum in Deutschland glaubt, an einen anhaltenden Boom der Schwellenländer und hohen privaten Konsum, kann weiter am Aktienmarkt investieren. Wer skeptisch ist, sollte seine Bestände hingegen nicht aufstocken.
Eng verbunden mit der ersten Regel: Immer wieder kommt es vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man erwartet hat. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und nicht jeder Entwicklung hinterherzulaufen. Eine solche Reaktion zeugt nicht von einem geringen Vertrauen in die eigene Strategie. Es kostet meist auch Geld, weil die Masse schon vorher diese Richtung eingeschlagen und das Gros an Rendite eingefahren hat.
Groß oder klein, spekulativ oder konservativ, liquide oder illiquide, dividendenstark oder dividendenschwach, Substanz oder Wachstum: Bei Aktien ist die Auswahl riesig. Der richtige Mix aus spekulativen und konservativen Titeln hilft, Schwankungen zwischen guten und schlechten Zeiten auszugleichen. Nicht zu unterschätzen sind starke Dividendenzahler, die Jahr für Jahr den Grundstock für eine solide Rendite legen.
Keine Frage, die Börsen haben in den vergangenen zehn Jahren stärker geschwankt als in allen Dekaden zuvor. Das wird so bleiben, mit wachsendem Computerhandel sogar noch zunehmen. Wer sein Risiko minimieren will, baut Barrieren ein – sogenannte Stopps. Gerne werden Stopps bei 20 Prozent über und unterhalb des aktuellen Kurses gewählt. Dann wird automatisch verkauft, wenn diese Grenzen erreicht sind. Kommt eine Phase überraschend steigender Kurse mit anhaltendem Aufwärtstrend, lässt sich die Barriere leicht nach oben verschieben. Wichtig ist dann, auch die Barriere am unteren Ende nachzuziehen.
Wichtig in Phasen überraschender Kurssteigerungen oder -stürze ist es, das Verhalten der Masse zu beobachten. Ist es noch nachvollziehbar oder völlig irrational? Häufig ist es irrational. Dann hilft meist die zweite Regel: Widerstandskraft zeigen. Nach einigen Monaten kehrt die Rationalität von ganz allein zurück. Der Kurssturz aus dem vergangenen Jahr und die jüngste Entwicklung beweisen das gerade wieder.
Sind Aktien wie seit Jahresbeginn schon um 30, 40 oder gar 50 Prozent gestiegen, dann sind Anschlussgewinne in der Regel nur noch schwer zu erzielen. Phrasenverdächtig ist zwar die alte Weisheit: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand zugrunde gegangen.“ Richtig ist sie trotzdem.
Firmenchefs haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber normalen Aktionären. Sie wissen weit mehr als jeder Analyst oder Kommentator, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Insider nennt man sie deshalb. Sie melden ihre Orders innerhalb von fünf Handelstagen an die Börsenaufsicht Bafin. Das Handelsblatt veröffentlicht alle zwei Wochen das sogenannte Insider-Barometer, das aus der Summe aller Kauf- und Verkaufsorders Schlüsse für den weiteren Verlauf in Dax & Co. zieht. Jüngste Tendenz: Vorstände und Aufsichtsräte verkaufen mehr als sie kaufen. Vorsicht also!
Terroranschläge und Naturkatastrophen kommen unerwartet. Politische Konflikte wie aktuell zwischen Israel und dem Iran schwelen meist länger. Entscheidende Wahlen wie jüngst in Russland und in diesem Jahr noch in Frankreich und den USA sind vorhersehbar und haben immer Einfluss auf die Börse. Dabei gilt generell: Wahljahre sind gute Börsenjahre.
Mit Optionsscheinen oder Bonus-Zertifikaten lässt sich zwar aus einem Aufwärtstrend ein noch größerer Profit schlagen. Dies sind jedoch in der Regel Wetten ohne realen Hintergrund. Aktien sind reale Werte.
Vor allem Aktien einzelner Branchen unterliegen immer wieder gewissen Moden. Doch die wechseln wie im realen Leben, und manchmal geht das schneller, als man denkt. Das bekommt gerade die einst angesehene Solarenergie-Branche bitter zu spüren.
Die meisten unter uns werden aber Anleger mit mittelfristigem Horizont sein, die Aktien im Zeitraum Wochen, Monate bis maximal ein bis zwei Jahre halten. Ich weiß, viele wollen gerne Investoren sein, die meisten verkaufen aber dann doch emotional ein paar Monate später in der nächsten Korrektur. Anspruch und Wirklichkeit sind eben nicht notwendigerweise deckungsgleich. Und diese Anleger mit mittelfristigem Horizont sind für ihren Erfolg darauf angewiesen, den ein oder zwei großen Korrekturen im Börsenjahr aus dem Weg zu gehen. Hört sich zwar sehr einfach an, ist aber recht schwierig, wenn die Stimmung im Markt gut ist.
Warum sollen wir uns also nicht den Sommer für eine Pause aussuchen? Kurz genug ist er ja sowieso in Deutschland. Vergessen wir also mal die Prognosen der selbsternannten Gurus, die uns etwas von DAX 9000 oder 10.000 erzählen. Die können durchaus Recht haben, ich halte das für gut möglich, aber dafür ist im Herbst noch Zeit. Ob dieser Sommer aber ohne eine schmerzhafte Korrektur vorbei geht, ist zumindest sehr fragwürdig.
Man muss einfach aufhören können, wenn es sich am Schönsten anfühlt.
Nun gehe ich die Sonne suchen, die sich in diesem verregneten und kalten Deutschland so lange versteckt hat. Suchen Sie mit! Die Börse ist auch im Spätsommer noch da - das kann ich Ihnen ausnahmsweise hier garantieren.
Michael Schulte alias Mr. Market schreibt für WirtschaftsWoche Online in unregelmäßiger Reihenfolge über Marktmechanismen. Seinen ersten Text finden Sie hier.
Wer mehr von ihm lesen will, kann dies in seinem Blog Mr-Market.de tun.