Für viele Börsianer war es die Meldung der Woche, obwohl es nicht nach einer großen Sache klang: Warren Buffett hat seinen Anteil am Aktienkapital der Münchener Rück von zwölf auf 9,7 Prozent reduziert. Er fährt damit einen schönen Gewinn ein, denn sein Engagement geht auf die Zeit vor 2010 zurück. Die Aktie notierte damals im Zuge der Lehman-Krise deutlich tiefer. Von Dividendenausschüttungen hat er ebenfalls profitiert.
Die fundamentalen Gründe für den Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt liegen auf der Hand: Die Aussichten der Rückversicherungsbranche haben sich verdüstert, die Branche ist für die nächsten zehn Jahre nicht mehr gut aufgestellt und die Konkurrenz im Versicherungsgeschäft durch institutionelle Investoren wie Hedgefonds, Pensionskassen und spezialisierte Finanzprodukte wird im Umfeld des billigen Geldes zu Preisverfall und Verschiebungen führen. Wahrscheinlich alles richtig. Aber Buffett verkauft sehr selten große Beteiligungen. Sind die genannten Gründe also die ganze Erklärung für den eingeläuteten Abschied bei Münchener Rück?
Zur Person
Nach einer Industriekarriere ist Elsässer seit 1998 selbständiger Value Investor und gründete vor dreizehn Jahren den Value Fonds "ME Fonds - Special Values“ (www.aqualutum.de). Elsässer wuchs in London, Hongkong und Paris auf. Nach Banklehre und Wirtschaftsstudium in Köln arbeitete er in einer Wirtschaftsprüfungs-Sozietät, als Finanzdirektor bei Dow Chemical Deutschland, in Sydney für Benckiser und in Singapur für die Storck Gruppe. Darüber hinaus arbeitete er einige Jahre eng mit dem New Yorker Investor Guy Wyser-Pratte zusammen, mit dem er unter anderem 2001 gegen den Rüstungskonzern Rheinmetall zu Felde zog. Im Jahr 2012 gründete er mit dem Profifußballer Simon Rolfes das Sport-Management Unternehmen Rolfes & Elsässer - The Career Company.
Versuchen wir einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Ich habe Warren Buffett (85 Jahre) und seinen Geschäftspartner Charlie Munger (91 Jahre) erstmals 2003 in Omaha, Nebraska, erlebt und einige Jahre später an einem Dinner mit Warren Buffett in Neu-Isenburg teilgenommen. Ein Geschäftsfreund von mir fährt jährlich nach Omaha und ist ein intimer Kenner der Buffett-Szene. Buffett und Munger sind Langfristanleger par excellence, die sich weder von hohen Börsenkursen noch von einer schwierigen Lage einer Branche zum Verkauf von Beteiligungen verleiten lassen. So besitzen sie unter anderem Unternehmen aus der Schuhbranche und der Unterhemdenherstellung, sind an einer Fertighausfabrik und einer Pralinenmanufaktur beteiligt. In diesem Jahr haben sie mit der Firma Phillips 66 in Texas im großen Stil in die Öl- und Chemiebranche investiert. All diese Investments sind keine Selbstläufer, auch hier geht es um schwierige Aufgabenstellungen. Ist bei ihnen von Buffetts Ausstieg die Rede? Nein.
In der Rückversicherungsbranche gehören Buffett und sein kleines Team von 25 Mitarbeitern seit Jahren sicher zu den kompetentesten Spielern in dieser intellektuell herausfordernden Branche. Die Interessen, gebündelt in der Holding Berkshire Hathaway, gehen weit über das Engagement bei Münchener Rück hinaus. Auch hier ist von Verkaufsabsichten nichts zu hören.
Buffett ist gefragter Aktionär
Mit Kusshand würden viele Unternehmen Warren Buffett in den Kreis ihrer Teilhaber aufnehmen. Warum eigentlich?
Berkshire Hathaway investiert im Schnitt pro Woche etwa 500 Millionen Dollar in den Kapitalmärkten. Warren Buffett hat öffentlich bekundet, nie weniger als 20 Milliarden Dollar Cash zu halten, eher bewegt er sich Richtung 30 Milliarden Dollar. Das hat er den Aktionären versprochen. Die besten Unternehmer und Top-Manager der Welt pilgern nach Omaha, um ihn bei großen Transaktionen als Partner zu gewinnen. So hat er der Mars-Riegel-Familie geholfen, den Kaugummi-Weltmarktführer Wrigley aufzukaufen. Bei der Fusion von Heinz Ketchup mit Kraft Foods war er involviert. Vor vielen Jahren hat er einst maßgeblich dazu beigetragen, dass das Finanzhaus Solomon Brothers in New York an einer Schieflage nicht zu Grunde ging.
Vor allem aber ist auf Warren Buffett Verlass. Er ist ein sachorientierter Langfristinvestor. Er verfügt über unangreifbares Eigenkapital. Trotz seiner überragenden Erfolge hat er kein Ego-Problem. Er lässt seinen Beteiligungen unternehmerisch freie Hand. Seit über 55 Jahren hat er dies bewiesen. Das hat weltweiten Seltenheitswert.
In vertrauensvolles Top-Management wird investiert
Und nun zurück zum Fall Münchener Rück: Offensichtlich ist Buffett bewusst geworden, dass seine Beteiligung an Münchener Rück bei seinen weitergehenden Rückversicherungsinvestments für die nächsten Jahre keine zentrale Rolle einnehmen kann. Warren Buffet ist den Deutschen freundlich gesinnt, kein „Activist Shareholder“, der Krawall schlägt. Er ist ein Gentleman. Obendrein hat er weitere 9,7 Prozent an Aktien zu verkaufen, sofern er sich ganz verabschieden will. Also werden wir von ihm den eigentlichen Grund nicht zu hören bekommen.
Ich habe da eine Vermutung. Aus der Kombination Buffett und Münchener Rück hätte viel werden können. Dazu hätte es aber einer großen Übereinstimmung zwischen Top-Management und Buffett bedurft. Diese Symbiose ist jedoch offensichtlich - trotz des langen Zeitraums von 2010 bis heute - nicht gewachsen. Buffett investiert langfristig nur dort, wo er voll und ganz dem Top Management vertraut. Er setzt sich rückhaltlos für Kapitalallokation und Kapitaleffizienz ein.
Immer wieder drückt er seinen Anspruch an die Vorstandsriege in einfachen Worten aus, auch bei seinen Investitionen in Milliardenhöhe. Am Ende ist das ausschlaggebende Kriterium für das Langfrist-Investment: „We like the management“. So simpel, Punkt aus, fertig. Dahinter steht eine fundamentale Erkenntnis. Buffett weiß, dass die beste Bilanzanalyse und noch so große Aktienpakte nichts nützen, wenn das operative Management nicht auf gleicher Wellenlänge tickt.
Kulturunterschiede im Management
Wäre es also denkbar, dass der strenge, sparsame Kapitalansatz aus Omaha nicht zu der traditionellen Münchener Rück-Kultur gepasst hat? Es ist bekannt, dass es kosteneffizientere Unternehmen als die Münchener-Rück-Gruppe gibt. In einem solchem Szenario hätten wir es also mit einem (nicht ausgesprochenen) Konflikt zwischen Münchener Vorstandsinteressen und der nüchternen Kapitalorientierung von Warren Buffett zu tun. In Omaha wäre man demnach zum Ergebnis gekommen, dass der Kulturunterschied für weitergehende, integrative Lösungen nicht überbrückbar ist.
Aus Sicht der strengen Value-Investoren ein Warnsignal in Sachen Münchner Rück. Wie stellt sich nun die Lage dar?
1. Einer der renommiertesten und verträglichsten Investoren wendet sich ab.
2. Für ein stärkeres Engagement konnte er fünf Jahre lang nicht gewonnen werden. Schade.
3. Buffett hat scheinbar keinen Paketkäufer für seine Aktien gefunden.
4. Eventuell stehen die verbliebenen 9,7 Prozent an der Börse zum Verkauf. Keiner weiß es, möglich wäre es. Die nächste Meldepflicht von Buffett besteht erst bei Unterschreiten der Fünf-Prozent-Hürde. Ein Verkaufsüberhang wäre im Markt keine gute Konstellation.
In der Schlussfolgerung bei der Beurteilung der kleinen Meldung - „Buffett reduziert bei Münchener Rück“ - geht es also nicht um die Frage der Bonität der Münchener Rück einerseits und der Berkshire Hathaway andererseits. Der Geldanleger muss sich vielmehr zwischen zwei Modellansätzen der Unternehmensführung und der Kapitalallokation entscheiden.
Die Value-Investoren, die ich kenne, laufen seit vergangener Woche verstärkt mit Sorgenfalten herum, wenn sie auf das Thema „München“ angesprochen werden.