Ölpreis-Crash US-Ölpreis für Mai unter Null – auch Juni-Kontrakt schwankt

Der Ausnahmezustand am Ölmarkt zeigt einerseits, wie stark Angebot und Nachfrage derzeit auseinanderklaffen. Quelle: imago images

Der Ölpreis war schon vor Corona niedrig, nun gab es pro Barrel US-Öl erstmals noch Geld dazu. Die Turbulenzen wirken sich auch auf den Markt für europäisches Öl aus – Russland dagegen bleibt entspannt.

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Die Coronakrise hat einen historischen Crash am Ölmarkt herbeigeführt. Zum Wochenbeginn geriet erstmals ein Terminkontrakt für US-Rohöl ins Minus – das bedeutet, dass Käufer bei Abnahme sogar Geld erhalten. Eine globale Ölschwemme, ein drohender Lagermangel und die Furcht vor einer tiefen Rezession sorgten für den historischen Preisverfall. Für US-Produzenten und Präsident Donald Trump – der sich jüngst noch für eine preisstützende Intervention am Ölmarkt feierte – kommt der Crash höchst ungelegen.

Denn das hatte es seit Beginn des Futures-Handels im Jahr 1983 noch nie gegeben: Der Preis des auslaufenden Terminkontrakts für US-Rohöl der Referenzsorte West Texas Intermediate (WTI), der eine physische Lieferung im Mai vorsieht, stürzte am Montag auf minus 37,63 Dollar pro Barrel (159 Liter) ab. Zum Vergleich: Am Freitag hatte der Schlusskurs noch bei plus 18,27 Dollar gelegen. Wer einen Swimmingpool habe, der noch nicht für den Sommer gefüllt sei, könne nun eine Verwendung dafür finden, kommentierte der US-Finanzsender CNBC die bizarre Lage. Am Dienstagmorgen zeichnete sich am US-Ölmarkt zuerst eine Beruhigung ab, als der Preis der Sorte WTI zur Auslieferung im Juni in den frühen Handelsstunden um knapp vier Prozent auf 21,18 Dollar anzog und damit nah an das Vortagesniveau kam. Die Entspannung währte aber nur kurz, der Juni-Kontrakt fiel zwischenzeitlich auf 11,59 Dollar und lag damit über 45 Prozent unter dem Vortageswert. Zuletzt lag der Preis mit 15,45 Dollar immer noch über 27 Prozent im Minus. Der Schreck über den bodenlosen Absturz dürfte noch eine Weile anhalten.

Das ließ am Dienstag auch den Markt für europäisches Öl beben. Die Nordseesorte Brent sank zwischenzeitlich auf nur noch 18,10 Dollar. Ein Absturz von über 23 Prozent, am Montag kostete das Barrel noch deutlich über 23 Dollar. Der Preis erholte sich zwar zuletzt auf 20,68 Dollar, liegt damit aber immer noch gut 20 Prozent im Minus.

Deutlich entspannter reagierte der russische Kreml. Regierungssprecher Dmitri Peskow betonte, Experten seien sich einig, „dass dies kein Grund für eine übermäßig negative Einschätzung der aktuellen Lage ist“. Er verwies auf die aktuelle Dynamik, die zu den extremen Preisschwankungen geführt habe.

Der Ausnahmezustand am Ölmarkt zeigt, wie stark Angebot und Nachfrage derzeit auseinanderklaffen. Die Corona-Pandemie legt die ohnehin schon in billigem Öl schwimmende US-Wirtschaft lahm – der Bedarf an dem Rohstoff sinkt dadurch kräftig. Andererseits handelt es sich auch um ein spezielles Phänomen, bedingt durch den am Dienstag verfallenden Terminkontrakt auf US-Öl. Bei solchen Verträgen verpflichtet sich der Verkäufer, eine Menge Öl zu einem festen Preis und Termin zu liefern. Doch Verwendung für den Rohstoff haben viele am Finanzmarkt gar nicht, sie spekulieren nur auf Preisschwankungen – und mussten zum Kontraktende diesmal teuer dafür bezahlen.

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Selbst abgebrühte Finanzprofis zeigten sich angesichts der extremen Marktsituation am Montag perplex. „Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag erlebe, an dem Öl so niedrig handelt“, erklärte Neil Wilson vom Finanzdienstleister Markets.com. Die derzeitige Nachfrageschwäche habe zu einer „permanenten Abneigung“ geführt, kurzfristig Öl zu halten, meinte Analyst Edward Moya vom Broker Oanda. Das Hauptproblem ist, dass die Öllager in den USA überzulaufen drohen. Investoren wollen unbedingt vermeiden, auf fehlenden Lagerplatz zu stoßen.

Eugen Weinberg, Chef-Rohstoffanalyst der Commerzbank, hat dies vorhergesehen. Anfang April warnte er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche: „In einigen Gebieten der USA sind die Preise mittlerweile sogar streckenweise negativ, weil die Lagerkapazitäten erschöpft sind, die Quellen aber nicht stillgelegt werden können“, sagte Weinberg. „Wer den Produzenten Öl abnimmt, bekommt noch Geld obendrauf. Mit diesem Horrorszenario für den Ölmarkt müssen wir uns ernsthaft auseinandersetzen.“ Seine weitere Prognose: „Die Unternehmen aus den USA und Kanada werden die ersten sein, die umkippen.“

Die Situation ist bereits prekär: Seit Ende Februar sind die Lagerbestände im wichtigen Auslieferungsort Cushing um fast 50 Prozent gestiegen. Laut Experte Moya reflektiert der Preiskollaps, dass Händler sich nun weiter in die Zukunft orientieren müssen. Das zeigt sich auch am nachfolgenden WTI-Kontrakt, der eine Lieferung im Juni vorsieht. Dieser rutschte am Montag zwar auch stark ab, schloss aber mit 20,43 Dollar wesentlich höher als der Mai-Kontrakt. Die Nordseesorte Brent wird bislang noch deutlich höher gehandelt.

Der Ölmarkt hält Anleger nicht erst seit Wochenbeginn in Atem. Die Preise sind schon länger auf Talfahrt, obwohl sich große Erdölproduzenten wie Russland und Saudi-Arabien unlängst auf deutliche Förderkürzungen geeinigt hatten. Dass die Länder ihren Preiskrieg beendeten und ein Abkommen erreicht wurde, hatte sich vor allem US-Präsident Trump auf die Fahne geschrieben. Vor gut einer Woche twitterte er noch vom „großen Öl-Deal“, der „Hunderttausende Energie-Jobs in den Vereinigten Staaten retten“ werde. Doch den Preisverfall konnte das von Trump gefeierte Abkommen nicht aufhalten.

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Angesichts der befürchteten Corona-Rezession hatten Experten von Anfang an Zweifel, ob die Förderkürzungen ausreichen, um Angebot und Nachfrage am Ölmarkt in Einklang zu bringen. Für die USA ist die Lage besonders kritisch. War die weltgrößte Volkswirtschaft traditionell eigentlich stets an billigem Öl interessiert, so ist sie seit dem Fracking-Boom mittlerweile stark auf die eigene Förderindustrie angewiesen. Nachdem die Fördermenge im Zuge der Corona-Pandemie zuletzt ohnehin schon gesunken war, stürzte die letzte Preisattacke aus Russland und Saudi-Arabien die Branche schon Ende März vollends in die Krise. „Wir erleben gerade so etwas wie den perfekten Sturm schlechter Nachrichten“, sagte Fracking-Erfinder Nick Steinsberger vor drei Wochen im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Seine Prognose: Vorübergehend könnten bis zu 50 Prozent der Förderanlagen stillgelegt werden.

Besonders Präsident Trump ist damit unter Druck – die amerikanische Energieindustrie steht nunmehr mit dem Rücken zur Wand und zahlreiche Jobs auf dem Spiel. Das könnte Trumps erhoffte Wiederwahl in Gefahr bringen. Auf Hilfe aus Washington kann die Ölindustrie indes kurzfristig auf den Fall nicht hoffen. Im mehr als zwei Billionen Dollar teuren Rettungspaket für die amerikanische Wirtschaft, das im März verabschiedet wurde, finden sich keine speziellen Hilfsmaßnahmen für die Öl- und Gasbranche.

Nur in einer Hinsicht will Trump aus der Not jetzt eine Tugend machen, indem die US-Regierung die Situation nutzt, um ihre strategischen Reserven aufzufüllen. Es sei geplant, bis zu 75 Millionen Fässer Rohöl zu kaufen, sagte der US-Präsident am Montagabend im Weißen Haus. Er werde den Kongress um die nötigen Mittel bitten, damit sich die Regierung den „Niedrigpreis-Rekord“ am Ölmarkt zunutze machen könne. „Es ist eine tolle Zeit, Öl zu kaufen“, sagte Trump. Er zeigte sich zuversichtlich, dass der Ölpreis schon bald wieder bei etwa 25 bis 28 Dollar pro Barrel stehen werde.

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