Plattform für Privatanleger Die zweifelhafte Erfolgsgeschichte von Tradegate

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29 Millionen Euro erhandelt

Dann, sagen Insider, verdiene Tradegate Geld. „Abends sind wir der Markt“, sagt Timm. 2013 erlöste seine Bank, die auch Makler an den Börsen Frankfurt und Berlin hat, netto gut 29 Millionen Euro im Handel. Kritiker werfen ihr vor, Anleger mit fragwürdigen Methoden abzukassieren. „Wir haben geprüft, ob wir Orders abends weiterleiten müssen“, sagt ein Banker. Er muss, und das „unverzüglich“, so will es die EU.

In Köln sitzt Volker Müller* vor sieben Bildschirmen. Der 43-Jährige handelt privat, aber in Vollzeit. Müller zeigt auf den Schirm unten in der Mitte. „Das ist mein wichtigster Monitor“, sagt er, über den Schirm handelt er, dort wird das Geld verdient – vorausgesetzt, Tradegate lässt ihn.

Die Gewinner und Verlierer am Aktienmarkt
GewinnerBorussia Dortmund: 22 Prozent Der einzige börsennotierte Fußballklub Deutschlands ist nicht nur sportlich erfolgreich, sondern auch wirtschaftlich. Im Juni ist die Aktie in den SDax aufgerückt, nicht zuletzt, weil sich der Börsenwert in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt hat. Quelle: dpa
RWE: 23 ProzentDie Aktie des deutschen Energieversorgers ist wieder im kommen, von dem starken Abwärtstrend um 60 Prozent zwischen Anfang 2010 und September 2013 ist fast nichts mehr zu spüren. Warum? Das Investment ist durch eine günstige Bewertung und eine gute Dividendenrendite wieder attraktiv. Allerdings ist es unklar, ob das auf Dauer so bleiben wird. Quelle: dpa
Fielmann: 25 ProzentDas Unternehmen ist der Marktführer im Bereich "Augenoptik": 578 Niederlassungen gab es 2012 in Deutschland und einen Absatzmarktanteil von 51 Prozent. Auch in Zukunft sieht es nicht schlecht für den Brillenhersteller aus - es werden nämlich immer mehr Brillen und Kontaktlinsen gebraucht. Das Geschäftsmodell ist sicher, die Dividendenrendite stark - alles gute Zeichen für Fielmann. Lediglich die Online-Versandhändler könnte die gute Bilanz vermiesen. Quelle: dpa
Xing: 27 Prozent Das Unternehmen ist seit 2006 an der Börse und seit September 2011 im TecDax notiert - es gibt nicht viele soziale Medien, die am deutschen Aktienmarkt gehandelt werden. Das Netzwerk für berufliche Kontakte hat eine relativ gute Bewertung. Quelle: dpa
Hornbach: 28 ProzentEs wird vermutet, dass die Baumarktkette ihren Geschäftsblick für das laufende Jahr noch anheben wird. Denn das Unternehmen ist gut unterwegs: Alleine im ersten Quartal 2014 konnte der Umsatz um 16 Prozent auf eine Milliarde Euro gesteigert werden. Quelle: dpa
Sixt: 32 ProzentMieten ist attraktiver als kaufen - davon profitiert das Unternehmen. Außerdem gibt es zwei weitere Punkte, warum Sixt so erfolgreich ist: Das internationale Geschäft wird wichtiger und der Limousinenservice "my Driver" soll das Wachstum antreiben. Quelle: dpa
Kuka: 33 ProzentIndustrietaugliche Roboter bescheren dem Unternehmen einen Vorsprung gegenüber den Wettbewerber. Die hohe Bewertung wird auch durch Gerüchte um den Einstieg eines anderen Unternehmens angeheizt. Quelle: dpa

Der Blondschopf denkt nach. Es ist kurz nach 19 Uhr, Xetra hat zu, Müller will aber jetzt Osram-Aktien kaufen. Um Tradegate zu testen, tut er, was er sonst „niemals“ tun würde: Er gibt eine Order ohne Limit auf, bei der der Makler ihm Aktien zum nächstmöglichen Preis verkaufen darf. Müller will doppelt so viele Papiere kaufen, wie Tradegate zu dem Preis aktuell handeln würde. Wohl ist ihm nicht dabei, ein Profi würde dem Makler nie so einen Freibrief geben. Er macht eine Ausnahme und bekommt die ersten 300 Aktien tatsächlich zum von Tradegate vorab signalisierten Preis.

Elf Sekunden später erhält er die nächsten 300 – aber 0,85 Prozent teurer. Der Profi lehnt sich zurück und zieht die Augenbrauen hoch: „Ein guter Aufschlag“, sagt er ernüchtert. 91 Euro mehr hat ihn die zweite Ausführung gekostet. Wegen solcher Summen beschwert sich kein Anleger – bei Tradegate aber können sie sich läppern.

Kampf hinter den Kulissen

Tradegate hat den höheren Preis in derselben Sekunde angezeigt, in der die zweite Tranche des Auftrags ausgeführt wurde. Müller sitzt direkt vor dem Schirm, hatte aber keine Chance, den Auftrag zu löschen.

Die EU-Richtlinie verlangt, dass Makler die Preise publizieren, zu denen sie bereit sind, zu handeln. Händler veröffentlichen auch die Zahl der Aktien, die sie handeln würden. Anleger sollen wissen, welcher Preis sie erwartet. Wie lange der angezeigt werden muss, ehe gehandelt wird, sagt die EU nicht – vorgeschrieben sind lediglich „angemessene“ Bedingungen.

Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln

Was „angemessen“ ist, ist strittig. Aufsicht über den Börsenhandel ist Sache der Länder. Die Berliner Aufsicht toleriert das Handelsgebaren, das in anderen Ländern undenkbar scheint: Hessens Aufsicht etwa schreibt vor, dass ein Anleger ohne „elektronische Hilfsmittel“ in der Lage sein müsse, auf einen geänderten Preis zu reagieren. Es gibt zwar keine feste Frist, „fünf bis zehn Sekunden“ solle der Händler aber warten, bis er eine Order ausführe. „Der Kunde muss die Chance haben, eine Order zu löschen, wenn sich der Preis verschlechtert. Die angemessene Zeit dafür liegt bei rund 30 Sekunden“, sagt Norbert Betz, Chef der Börsen-Handelsüberwachung in München. Und auch an der klassischen Börse Berlin muss ein Makler, wenn er zum ungünstigeren Preis abschließen will, „ zunächst etwas warten, bis er die Order ausführt – schließlich soll der Kunde noch auf den veränderten Preis reagieren können“, sagt Chef Jörg Walter. Der Fall Osram wäre in Hessen, Bayern und anderswo also zum Fall für die Aufsicht geworden – nicht so in Berlin.

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