Dann, sagen Insider, verdiene Tradegate Geld. „Abends sind wir der Markt“, sagt Timm. 2013 erlöste seine Bank, die auch Makler an den Börsen Frankfurt und Berlin hat, netto gut 29 Millionen Euro im Handel. Kritiker werfen ihr vor, Anleger mit fragwürdigen Methoden abzukassieren. „Wir haben geprüft, ob wir Orders abends weiterleiten müssen“, sagt ein Banker. Er muss, und das „unverzüglich“, so will es die EU.
In Köln sitzt Volker Müller* vor sieben Bildschirmen. Der 43-Jährige handelt privat, aber in Vollzeit. Müller zeigt auf den Schirm unten in der Mitte. „Das ist mein wichtigster Monitor“, sagt er, über den Schirm handelt er, dort wird das Geld verdient – vorausgesetzt, Tradegate lässt ihn.
Der Blondschopf denkt nach. Es ist kurz nach 19 Uhr, Xetra hat zu, Müller will aber jetzt Osram-Aktien kaufen. Um Tradegate zu testen, tut er, was er sonst „niemals“ tun würde: Er gibt eine Order ohne Limit auf, bei der der Makler ihm Aktien zum nächstmöglichen Preis verkaufen darf. Müller will doppelt so viele Papiere kaufen, wie Tradegate zu dem Preis aktuell handeln würde. Wohl ist ihm nicht dabei, ein Profi würde dem Makler nie so einen Freibrief geben. Er macht eine Ausnahme und bekommt die ersten 300 Aktien tatsächlich zum von Tradegate vorab signalisierten Preis.
Elf Sekunden später erhält er die nächsten 300 – aber 0,85 Prozent teurer. Der Profi lehnt sich zurück und zieht die Augenbrauen hoch: „Ein guter Aufschlag“, sagt er ernüchtert. 91 Euro mehr hat ihn die zweite Ausführung gekostet. Wegen solcher Summen beschwert sich kein Anleger – bei Tradegate aber können sie sich läppern.
Kampf hinter den Kulissen
Tradegate hat den höheren Preis in derselben Sekunde angezeigt, in der die zweite Tranche des Auftrags ausgeführt wurde. Müller sitzt direkt vor dem Schirm, hatte aber keine Chance, den Auftrag zu löschen.
Die EU-Richtlinie verlangt, dass Makler die Preise publizieren, zu denen sie bereit sind, zu handeln. Händler veröffentlichen auch die Zahl der Aktien, die sie handeln würden. Anleger sollen wissen, welcher Preis sie erwartet. Wie lange der angezeigt werden muss, ehe gehandelt wird, sagt die EU nicht – vorgeschrieben sind lediglich „angemessene“ Bedingungen.
Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln
Gegen die größer werdenden Unwägbarkeiten sollte man sich zuallererst mit einer Strategie wappnen: Wer an kräftiges Wachstum in Deutschland glaubt, an einen anhaltenden Boom der Schwellenländer und hohen privaten Konsum, kann weiter am Aktienmarkt investieren. Wer skeptisch ist, sollte seine Bestände hingegen nicht aufstocken.
Eng verbunden mit der ersten Regel: Immer wieder kommt es vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man erwartet hat. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und nicht jeder Entwicklung hinterherzulaufen. Eine solche Reaktion zeugt nicht von einem geringen Vertrauen in die eigene Strategie. Es kostet meist auch Geld, weil die Masse schon vorher diese Richtung eingeschlagen und das Gros an Rendite eingefahren hat.
Groß oder klein, spekulativ oder konservativ, liquide oder illiquide, dividendenstark oder dividendenschwach, Substanz oder Wachstum: Bei Aktien ist die Auswahl riesig. Der richtige Mix aus spekulativen und konservativen Titeln hilft, Schwankungen zwischen guten und schlechten Zeiten auszugleichen. Nicht zu unterschätzen sind starke Dividendenzahler, die Jahr für Jahr den Grundstock für eine solide Rendite legen.
Keine Frage, die Börsen haben in den vergangenen zehn Jahren stärker geschwankt als in allen Dekaden zuvor. Das wird so bleiben, mit wachsendem Computerhandel sogar noch zunehmen. Wer sein Risiko minimieren will, baut Barrieren ein – sogenannte Stopps. Gerne werden Stopps bei 20 Prozent über und unterhalb des aktuellen Kurses gewählt. Dann wird automatisch verkauft, wenn diese Grenzen erreicht sind. Kommt eine Phase überraschend steigender Kurse mit anhaltendem Aufwärtstrend, lässt sich die Barriere leicht nach oben verschieben. Wichtig ist dann, auch die Barriere am unteren Ende nachzuziehen.
Wichtig in Phasen überraschender Kurssteigerungen oder -stürze ist es, das Verhalten der Masse zu beobachten. Ist es noch nachvollziehbar oder völlig irrational? Häufig ist es irrational. Dann hilft meist die zweite Regel: Widerstandskraft zeigen. Nach einigen Monaten kehrt die Rationalität von ganz allein zurück. Der Kurssturz aus dem vergangenen Jahr und die jüngste Entwicklung beweisen das gerade wieder.
Sind Aktien wie seit Jahresbeginn schon um 30, 40 oder gar 50 Prozent gestiegen, dann sind Anschlussgewinne in der Regel nur noch schwer zu erzielen. Phrasenverdächtig ist zwar die alte Weisheit: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand zugrunde gegangen.“ Richtig ist sie trotzdem.
Firmenchefs haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber normalen Aktionären. Sie wissen weit mehr als jeder Analyst oder Kommentator, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Insider nennt man sie deshalb. Sie melden ihre Orders innerhalb von fünf Handelstagen an die Börsenaufsicht Bafin. Das Handelsblatt veröffentlicht alle zwei Wochen das sogenannte Insider-Barometer, das aus der Summe aller Kauf- und Verkaufsorders Schlüsse für den weiteren Verlauf in Dax & Co. zieht. Jüngste Tendenz: Vorstände und Aufsichtsräte verkaufen mehr als sie kaufen. Vorsicht also!
Terroranschläge und Naturkatastrophen kommen unerwartet. Politische Konflikte wie aktuell zwischen Israel und dem Iran schwelen meist länger. Entscheidende Wahlen wie jüngst in Russland und in diesem Jahr noch in Frankreich und den USA sind vorhersehbar und haben immer Einfluss auf die Börse. Dabei gilt generell: Wahljahre sind gute Börsenjahre.
Mit Optionsscheinen oder Bonus-Zertifikaten lässt sich zwar aus einem Aufwärtstrend ein noch größerer Profit schlagen. Dies sind jedoch in der Regel Wetten ohne realen Hintergrund. Aktien sind reale Werte.
Vor allem Aktien einzelner Branchen unterliegen immer wieder gewissen Moden. Doch die wechseln wie im realen Leben, und manchmal geht das schneller, als man denkt. Das bekommt gerade die einst angesehene Solarenergie-Branche bitter zu spüren.
Was „angemessen“ ist, ist strittig. Aufsicht über den Börsenhandel ist Sache der Länder. Die Berliner Aufsicht toleriert das Handelsgebaren, das in anderen Ländern undenkbar scheint: Hessens Aufsicht etwa schreibt vor, dass ein Anleger ohne „elektronische Hilfsmittel“ in der Lage sein müsse, auf einen geänderten Preis zu reagieren. Es gibt zwar keine feste Frist, „fünf bis zehn Sekunden“ solle der Händler aber warten, bis er eine Order ausführe. „Der Kunde muss die Chance haben, eine Order zu löschen, wenn sich der Preis verschlechtert. Die angemessene Zeit dafür liegt bei rund 30 Sekunden“, sagt Norbert Betz, Chef der Börsen-Handelsüberwachung in München. Und auch an der klassischen Börse Berlin muss ein Makler, wenn er zum ungünstigeren Preis abschließen will, „ zunächst etwas warten, bis er die Order ausführt – schließlich soll der Kunde noch auf den veränderten Preis reagieren können“, sagt Chef Jörg Walter. Der Fall Osram wäre in Hessen, Bayern und anderswo also zum Fall für die Aufsicht geworden – nicht so in Berlin.