Privatisierung der Post Japan steht vor größtem Börsengang seit Jahrzehnten

Japans hoch verschuldeter Staat kann mit einem Geldsegen rechnen: Durch die Privatisierung der Post winken umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro. Doch Kritiker sehen den Börsengang skeptisch.

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Die Japan Post Holdings sowie ihre beiden Bank- und Versicherungstöchter werden am 4. November an der Tokioter Börse notiert. Quelle: REUTERS

Japan steht vor dem größten Börsengang seit rund drei Jahrzehnten. Die Japan Post Holdings sowie ihre beiden Bank- und Versicherungstöchter werden am 4. November an der Tokioter Börse notiert. Die Regierung wird rund 1,4 Billionen Yen (10,5 Mrd Euro) einnehmen. Damit ist es die größte Notierung in Japan seit den beiden Börsengängen des Telekomriesen Nippon Telegraph and Telephone (NTT) 1987 und des Mobilfunkkonzerns NTT Docomo 1998.

Einen Teil der Einnahmen will der Staat in den Wiederaufbau der 2011 von einem Tsunami verwüsteten Gebiete stecken. Zum anderen sollen mehr Bürger an die Börse gelockt werden, um die lahmende Wirtschaft anzukurbeln. Doch nach Ansicht von Kritikern hat die Regierung noch etwas anderes im Sinn: Angesichts einer Staatsverschuldung von rund 240 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes sei die Regierung dringend auf frisches Geld angewiesen. Mit anderen Worten: Die Nummer Drei der Weltwirtschaft stoße ihr Tafelsilber ab.

Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB

Der gleichzeitige Börsengang der Japan Post Holdings und ihrer Töchter Japan Post Bank und Japan Post Insurance Co ist die letzte Stufe in der vor zehn Jahren vom damaligen Regierungschef Junichiro Koizumi initiierten Privatisierung der Post. Für Koizumi war die japanische Post das Symbol für eine Klientelwirtschaft, die über Jahrzehnte von seiner - auch heute wieder - regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) aufgebaut worden war. Der Unternehmensriese ist mit mehr als 200.000 Beschäftigten in 24.000 Ämtern einer der größten Arbeitgeber im Land. Der Bankenarm der Post verfügt zudem über rund 178 Billionen Yen Einlagen, mehr als jedes andere Finanzinstitut.

Im Unterschied zu einer normalen Bank oder Lebensversicherung legte die Japan Post die ihr anvertrauten Anlagegelder jedoch überwiegend in Staatsschuldbriefen und Anleihen für öffentliche Unternehmen an. In Japan hatte man sich daher lange Zeit daran gewöhnt, die Postfinanzen als den „zweiten Staatshaushalt“ der Regierung zu betrachten. Mit der Privatisierung wollte Koizumi die Post denn auch der Kontrolle der Politiker entziehen und den Wettbewerb intensivieren. Doch gab es große Widerstände. Gegner fürchteten die Schließung vieler Postämter. Schließlich stellte die Post eine bedeutende Stimmenmobilisierungsmaschine für die LDP auf dem Lande dar. Gegner der Reform schloss Koizumi sogar aus der Partei aus.


Abe will Japan aus der Deflation holen

Doch das ist lange her. Inzwischen ist Koizumis Parteikollege Shinzo Abe an der Macht und will Japan aus der Deflation und Stagnation holen. „Drei Pfeile“ sollen es richten: Aggressives Gelddrucken, schuldenfinanzierte Konjunkturspritzen und Reformen. Hierzu kauft die Bank von Japan (BoJ) in nie dagewesenem Umfang Staatsanleihen auf. Laut Kritikern ist dies nichts anderes als eine Finanzierung der schon jetzt höchsten Staatsverschuldung unter allen großen Industrieländern der Welt mit Hilfe der Notenpresse.

Doch inzwischen habe die BoJ praktisch alle am Markt erhältlichen Staatsanleihen aufgekauft, erläutert Peter Babucke, Vize-Präsident im Clearing Department an der Tokioter Börse (TSE), der Deutschen Presse-Agentur. „Der Markt für Staatsanleihen ist schlichtweg leergekauft - zum überwältigenden Anteil durch die Offenmarkt-Operationen der BoJ.“. Dabei habe die BoJ - im Vergleich von japanischem und US-amerikanischem Bruttoinlandsprodukt - dreimal so viel Munition verschossen wie die US-Zentralbank Fed. Doch ohne große Wirkung.

Nicht nur ist die BoJ weiterhin von ihrem Inflationsziel von 2 Prozent entfernt. Es wird nun auch befürchtet, dass Japans Wirtschaft im dritten Quartal erneut in eine Rezession gerutscht ist - zum zweiten Mal in nur einem Jahr. Damit steht die BoJ nach den Worten von Richard Katz vom „Oriental Economist“ unter Druck, eine weitere, dritte „geldpolitische Bazooka“ abzufeuern.

"Die Bank von Japan steht mit dem Rücken zur Wand“, meint auch Finanzexperte Babucke. Da kommt die Privatisierung der Post wie gerufen. Schließlich hat die Postbank das Geld der Sparer überwiegend in Staatsanleihen gesteckt. Im Zuge des anstehenden Börsengangs dürfte das Portfolio laut Experten verschoben und ein Großteil der Staatsanleihen verkauft werden. Es sei zu erwarten, dass auch diese wieder von der BoJ aufgekauft werden, so Babucke. Damit könnte sie kurzfristig die Verschuldung des Staates weiter gegenfinanzieren.

Doch was, wenn auch das letzte Tafelsilber verjubelt ist? Geldpolitische Lockerung und schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme allein werden die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt jedenfalls nicht auf die Beine bringen. Will Abe mit seiner Wirtschaftspolitik Erfolg haben, wird er nach Auffassung von Ökonomen nicht umhin können, endlich seinen dritten „Pfeil“ abzufeuern: Strukturreformen.

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