Rechtsstaat Musk sollte Tesla nochmal an die Börse bringen – in Deutschland

Tesla-Chef Elon Musk Quelle: dpa

Der Leerverkäufer Carson Block, der in Deutschland durch seine Attacke auf den Werbevermarkter Ströer bekannt wurde, wundert sich über das Verhalten der Finanzaufsicht BaFin in der Affäre um den Zahlungsdienstleister Wirecard. Indem Aufsicht und Justiz statt gegen zweifelhafte Unternehmen lieber gegen Journalisten und Leerverkäufer ermittelten, machten sie Deutschland zu einem sicheren Ort für Wirtschaftskriminelle – in einer Liga mit China und Russland. Ein Gastbeitrag von Carson C. Block.

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Mir kam dieser Tage eine Idee für Tesla-Gründer Elon Musk: Anstatt Tesla von der Börse zu nehmen, sollte er das Unternehmen einfach in Deutschland listen. Vermutlich ist ihm gar nicht bewusst, dass er in Deutschland so etwas wie eine regulatorische Carte Blanche bekommen und ohne Angst vor Strafverfolgung twittern könnte – vollkommen egal, wie irreführend seine Aussagen sein mögen. Besser noch: auf fallende Kurse setzende Leerverkäufer („Short Seller“) und kritische Pressevertreter würden sogar höchstwahrscheinlich selbst zum Gegenstand von Ermittlungsverfahren, sobald sie sich öffentlich zu seinem Unternehmen oder Musks Vorgehensweise äußerten.

Sie mögen das für übertrieben halten, aber heutzutage scheinen deutsche Regulatoren sich nicht sonderlich für Unternehmensbetrug zu interessieren. Tatsächlich verhalten sie sich eher wie Russland oder China, indem sie versuchen, jeden zur Strecke zu bringen, der es wagt, ein deutsches Unternehmen zu kritisieren.

In den USA haben die Aufseher Tesla zumindest mit einem Bußgeld über 40 Millionen Dollar belegt und angeordnet, dass Musks Tweets geprüft werden müssen, bevor er sie veröffentlicht. Es scheint, als ignoriere er die Behörde, aber die gibt nicht nach. In Deutschland dagegen könnte Musk vermutlich jeden Tag „Finanzierung gesichert“ twittern – und käme damit davon.

Zur Person

Aktuell machen deutsche Behörden Journalisten, Leerverkäufer und Analysten zum Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen, weil sie mutmaßlichen Betrug und Geldwäsche bei einem der (nach Marktkapitalisierung) größten Unternehmen des Landes öffentlich gemacht haben. Dieses Unternehmen, der Zahlungsdienstleister Wirecard, hat über die Jahre Milliarden an Börsenwert gewonnen. Als Betreiber eines globalen Zahlungsdienstleistungs-Geschäfts sollte das Unternehmen dafür Sorge tragen, dass es illegale Zahlungsströme von Kriminellen und Terroristen aus seinem Netzwerk, das einen Zugang zum globalen Bankensystem bietet, heraushält.

Seit nunmehr fast einem Jahrzehnt ist Wirecard Gegenstand von Vorwürfen (die sie stets bestritten haben) durch Investoren, die eine Short-Position halten, sowie durch Journalisten. Diese Vorwürfe beziehen sich auf Betrug und Geldwäsche. In einer Serie von Artikeln, die Ende Januar begann, hat die „Financial Times“ Wirecard mehrere Fälle von Betrug vorgeworfen. Die Recherchen der Zeitung gingen so weit, dass sie Dokumente aus einer internen Untersuchung offenlegte, die potenziell betrügerische Aktivitäten einschließlich gefälschter und rückdatierter Verträge aufzeigte. Wirecard wurde in der Vergangenheit bereits vier Mal öffentlich kritisiert, zweimal davon durch investigative Finanzjournalisten. Einige dieser Kritiker haben in der Vergangenheit bei der Aufdeckung von Betrugsfällen große Erfolge erzielt, was zu diversen Delistings und behördlichen Untersuchungen führte.

Deutsche haben den Ruf, regeltreue Menschen zu sein – fast bis zur Selbstaufgabe. Denjenigen, die nicht mit US-Präsident Donald Trump sympathisieren, präsentiert sich Deutschland als eine Bastion der liberalen Demokratie und des Rechtsstaats. Man sollte daher mit Blick auf all die Kritik an Wirecard annehmen, dass die deutschen Behörden rasch Ermittlungen gegen das Unternehmen aufnehmen würden. Passiert ist jedoch das Gegenteil.

Seit die besagten Artikel veröffentlicht wurden, haben deutsche Strafverfolger ausdrücklich erklärt, dass sie keine Ermittlungen gegen Wirecard aufnehmen werden. In Anlehnung an die alte Weisheit, dass die Realität bisweilen unwirklicher als die Fiktion ist, ermitteln sie stattdessen gegen den „Financial Times“-Reporter Dan McCrum. Und sie gingen sogar noch weiter und kramten ein altes Werkzeug aus der Finanzkrise hervor, indem sie Leerverkäufe auf Wirecard untersagten. Die Begründung der Regulatoren war eine „massive Unsicherheit an den Finanzmärkten“. Mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem der Leerverkauf einer einzelnen Aktie durch Behörden untersagt wurde, bloß weil es einen Strom negativer Nachrichten gab.

Die deutsche Antwort – und darauf würde sich Elon Musk wahrscheinlich zur Feier des Tages einen Joint anzünden – ist vollkommen konsistent mit der Art und Weise, wie Kritik an börsennotierten Unternehmen in den vergangenen Jahren in Deutschland gehandhabt wurde. Im Jahr 2016 habe ich selbst einen kritischen Report über den deutschen Werbevermarkter Ströer veröffentlicht. Trotz unseres Track Records von sechs Delistings und zahlreichen Zahlungen von Unternehmen, die wir untersucht haben, an Investoren und Behörden, haben deutsche Behörden eine strafrechtliche Ermittlung gegen mich eingeleitet. Meines Wissens ist bisher gegen jeden Leerverkäufer und mindestens zwei ausländische Journalisten, die einen kritischen, investigativen Bericht zu einem börsennotierten deutschen Unternehmen veröffentlicht haben, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Gleichzeitig gibt es kaum Anzeichen korrespondierender Ermittlungen gegen die Unternehmen selbst. Dabei haben diejenigen, gegen die stattdessen ermittelt wird, gemeinsam einen beachtliche Erfolgsbilanz aufzuweisen, wenn es um die Aufdeckung von Betrug und Täuschungen geht.

Während die USA sicherlich ihre eigenen Probleme haben, scheint Deutschland darauf bedacht, Kritik an unternehmerischem Fehlverhalten zu unterdrücken. Dies geschieht in einem Maße, das jeden Investor dazu bringen sollte, die Integrität der deutschen Märkte insgesamt und die mit hier getätigten Investitionen verbundenen Risiken zu hinterfragen. Jedes Land hat in einem gewissen Umfang mit unternehmerischem Fehlverhalten und Betrug zu kämpfen. Indem man jedoch den ausländischen Kritikern die Schuld dafür gibt, anstatt den „faulen Äpfeln“, macht sich Deutschland selbst zu einem sicheren Hafen für Wirtschaftskriminelle. Die anderen namhaften Mitglieder auf dieser Liste heißen China und Russland, was einem vermeintlichen Vertreter der liberalen Demokratie und Toleranz zu denken geben sollte.

Die aktuelle Situation bei Wirecard ist nahezu unglaublich, jedenfalls, ehe man über die Unternehmenskorruption in Deutschland in den vergangenen Jahren nachdenkt. Der Betrug bei Volkswagen war so ungeheuerlich und breit gestreut, dass diverse Manager ins Gefängnis gehen. Ganz zu schweigen von den Milliarden an Strafzahlungen.

Die Deutsche Bank hat so viele Strafzahlungen leisten müssen und steht bei so vielen ausländischen Behörden unter Beobachtung, dass man sich allmählich die Frage nach der Überlebensfähigkeit von Deutschlands größtem Geldhaus stellt. Ein Professor nannte die Deutsche Bank kürzlich: „Das größte kriminelle Unternehmen Deutschlands, was etwas heißen will, denn sie muss sich mit Volkswagen messen.“

Es ist schwer zu verstehen, warum ein Land mit einer so starken Wirtschaft sein seit der Nachkriegszeit bestehendes Momentum aufs Spiel setzen sollte, indem man alles tut, um Kritik abzuwürgen. Leerverkäufer als Sündenböcke hinzustellen, ist dabei nicht neu, aber strafrechtliche Ermittlungen gegen investigative Journalisten gehen sogar weit über die Positionen derer hinaus, die Medien als „Feinde des Volkes“ bezeichnen. Den Leerverkauf einer einzelnen Aktie zu untersagen, riecht nach Verzweiflung. Wie der „Economist“ vor Kurzem schrieb, unterminiert der Leerverkauf der Aktien eines Unternehmens, das falscher Buchführung bezichtigt wird, nicht die Märkte – „es zeigt vielmehr, dass sie funktionieren.“

Die Überbringer von Nachrichten, die unternehmerisches Fehlverhalten aufdecken, sollten begrüßt werden und keinen Maulkorb erhalten. Deutschland wird letztlich eines Tages seinen Bernie Madoff oder Lehman-Brothers-Moment haben, ehe es beginnt, Kritik ernst zu nehmen. Bis dahin sollten Investoren Vorsicht walten lassen.

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