
Als Anfang 2013 die ersten Zeitungs- und Magazintitel den Dax bei 10.000 Punkten heraufbeschworen, wurde sie noch belächelt. Im Gegenteil, derart euphorische Börsentitel gelten bei erfahrenen Börsianern eigentlich als Kontrapunkt.
Denn dieser sogenannte Titelindikator deutet darauf hin, dass es Zeit wird, antizyklisch gegenzusteuern, also auszusteigen oder zumindest einen Gang runterzuschalten an der Börse.
Schlechtes Image
Geprägt wurde das schlechte Image des Titelindikators vor allem von einem Titelblatt der "Bild"-Zeitung, die kurz vor dem Zusammenbruch des Neuen Marktes im Jahr 2000 den Lesern versprach, die New Economy werde alle reich machen. Wie dieses Versprechen ausging, ist den meisten Anlegern noch in schmerzhafter Erinnerung.
Diesmal könnten die 10.000-Punkte-Orakler allerdings recht behalten – wenn auch mit knapp anderthalb Jahren Verzögerung. Womöglich müssen in den Redaktionen bald neue Dax-Wunder-Höhen erdacht werden.
Denn der Leitindex nähert sich stetig der Fünfstelligkeit. Zum ersten Mal in seiner Geschichte. Anlegern drängen sich jetzt einige Fragen auf.
Wie lange hält die Rekordjagd an? Ist es schon Zeit für den Ausstieg oder kann ich sogar noch kaufen? Profitieren einige Papiere besonders von der Hausse?
Wichtige Marke
Ohne Zweifel sind die 10.000 Punkte eine psychologisch wichtige Marke. Dennoch ist fraglich, ob sie zu einer neuen Börseneuphorie führen wird. Denn kurzfristige Euphorie ist nicht automatisch gleichzusetzen mit langfristiger Fantasie.
Kurzfristig – das heißt in diesem Fall bis Mitte nächster Woche – sieht zunächst alles rosig aus. Denn Kurstreiber Nummer eins ist erneut die Europäische Zentralbank (EZB).
Seitdem EZB-Chef Mario Draghi nach der Sitzung des Zentralbankrats Anfang Mai erklärte, die Notenbank fühle sich wohl damit, im Juni zu handeln, fiebern Anleger Draghis nächstem Streich entgegen. Sobald die Druckmaschinen der Notenbank kurz vor Andruck sind, quittieren die Kurse die Aussicht auf mehr billiges Geld mit Zuwächsen.
Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln
Gegen die größer werdenden Unwägbarkeiten sollte man sich zuallererst mit einer Strategie wappnen: Wer an kräftiges Wachstum in Deutschland glaubt, an einen anhaltenden Boom der Schwellenländer und hohen privaten Konsum, kann weiter am Aktienmarkt investieren. Wer skeptisch ist, sollte seine Bestände hingegen nicht aufstocken.
Eng verbunden mit der ersten Regel: Immer wieder kommt es vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man erwartet hat. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und nicht jeder Entwicklung hinterherzulaufen. Eine solche Reaktion zeugt nicht von einem geringen Vertrauen in die eigene Strategie. Es kostet meist auch Geld, weil die Masse schon vorher diese Richtung eingeschlagen und das Gros an Rendite eingefahren hat.
Groß oder klein, spekulativ oder konservativ, liquide oder illiquide, dividendenstark oder dividendenschwach, Substanz oder Wachstum: Bei Aktien ist die Auswahl riesig. Der richtige Mix aus spekulativen und konservativen Titeln hilft, Schwankungen zwischen guten und schlechten Zeiten auszugleichen. Nicht zu unterschätzen sind starke Dividendenzahler, die Jahr für Jahr den Grundstock für eine solide Rendite legen.
Keine Frage, die Börsen haben in den vergangenen zehn Jahren stärker geschwankt als in allen Dekaden zuvor. Das wird so bleiben, mit wachsendem Computerhandel sogar noch zunehmen. Wer sein Risiko minimieren will, baut Barrieren ein – sogenannte Stopps. Gerne werden Stopps bei 20 Prozent über und unterhalb des aktuellen Kurses gewählt. Dann wird automatisch verkauft, wenn diese Grenzen erreicht sind. Kommt eine Phase überraschend steigender Kurse mit anhaltendem Aufwärtstrend, lässt sich die Barriere leicht nach oben verschieben. Wichtig ist dann, auch die Barriere am unteren Ende nachzuziehen.
Wichtig in Phasen überraschender Kurssteigerungen oder -stürze ist es, das Verhalten der Masse zu beobachten. Ist es noch nachvollziehbar oder völlig irrational? Häufig ist es irrational. Dann hilft meist die zweite Regel: Widerstandskraft zeigen. Nach einigen Monaten kehrt die Rationalität von ganz allein zurück. Der Kurssturz aus dem vergangenen Jahr und die jüngste Entwicklung beweisen das gerade wieder.
Sind Aktien wie seit Jahresbeginn schon um 30, 40 oder gar 50 Prozent gestiegen, dann sind Anschlussgewinne in der Regel nur noch schwer zu erzielen. Phrasenverdächtig ist zwar die alte Weisheit: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand zugrunde gegangen.“ Richtig ist sie trotzdem.
Firmenchefs haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber normalen Aktionären. Sie wissen weit mehr als jeder Analyst oder Kommentator, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Insider nennt man sie deshalb. Sie melden ihre Orders innerhalb von fünf Handelstagen an die Börsenaufsicht Bafin. Das Handelsblatt veröffentlicht alle zwei Wochen das sogenannte Insider-Barometer, das aus der Summe aller Kauf- und Verkaufsorders Schlüsse für den weiteren Verlauf in Dax & Co. zieht. Jüngste Tendenz: Vorstände und Aufsichtsräte verkaufen mehr als sie kaufen. Vorsicht also!
Terroranschläge und Naturkatastrophen kommen unerwartet. Politische Konflikte wie aktuell zwischen Israel und dem Iran schwelen meist länger. Entscheidende Wahlen wie jüngst in Russland und in diesem Jahr noch in Frankreich und den USA sind vorhersehbar und haben immer Einfluss auf die Börse. Dabei gilt generell: Wahljahre sind gute Börsenjahre.
Mit Optionsscheinen oder Bonus-Zertifikaten lässt sich zwar aus einem Aufwärtstrend ein noch größerer Profit schlagen. Dies sind jedoch in der Regel Wetten ohne realen Hintergrund. Aktien sind reale Werte.
Vor allem Aktien einzelner Branchen unterliegen immer wieder gewissen Moden. Doch die wechseln wie im realen Leben, und manchmal geht das schneller, als man denkt. Das bekommt gerade die einst angesehene Solarenergie-Branche bitter zu spüren.
Mittlerweile gilt es fast als ausgemacht, dass die EZB auf ihrer nächsten Ratssitzung am kommenden Donnerstag die Leitzinsen der Euro-Zone erneut senken wird, voraussichtlich auf nur noch 0,15 Prozent. Ebenfalls eingeführt werden dürfte ein negativer Einlagezins. Banken müssen dann eine Strafgebühr zahlen, wenn sie ihr Geld über Nacht bei der EZB parken.
„Die lockere Geldpolitik ist immer noch der wichtigste Kurstreiber“, erklärt Bernd Krampen, Analyst der NordLB. Mit der Europawahl und den Wahlen in der Ukraine hätten sich zwei potenzielle Bremsfaktoren in Luft aufgelöst.
In der vergangenen Woche waren die Börsen daher mit angezogener Handbremse unterwegs, nach Wahlschluss ging es dagegen ungebremst weiter. „Die Märkte nehmen die Entscheidung der EZB vorweg“, sagt Krampen.
Ein Risiko: Mario Draghi hat zwar schon mehrfach bewiesen, dass er die Sprache der Märkte spricht. Investoren vertrauen dem Italiener, preisen die Entscheidung bereits vorab in ihre Entscheidungen ein. „Sollten diese positiven Erwartungen allerdings enttäuscht werden, wäre das Anlass zur Sorge“, warnt Krampen.