Banken nutzen das Programm vor allem dazu, ihre Bilanzen zum Ende eines jeden Quartals aufzuhübschen. Ende Juni etwa erhöhte sich das RRP-Volumen der Fed über Nacht um 200 Milliarden Dollar auf insgesamt 340 Milliarden Dollar. Doch schon am ersten Tag des neuen Quartals schrumpfte das Volumen um fast die gleiche Summe wieder zusammen – die Banken hatten die Staatsanleihen wieder an die Fed zurückgegeben.
Not macht erfinderisch
In ihren Bilanzen aber können die Banken den kurzfristig höheren Bestand an Staatsanleihen bis zum nächsten Stichtag ausweisen. Kritiker werfen der Fed vor, sie habe mit dem Reverse-Repo-Programm einen eintägigen Window-Dressing-Mechanismus eingeführt: Die Banken werden schön poliert ins Schaufenster gestellt, Investoren und Aufsichtsbehörden werden über den wahren Gesundheitszustand des US-Bankensystems getäuscht.
Gute Zahlen zum Quartalsende scheinen bitter nötig. Ob Zufall oder nicht: Finanzunfälle ereignen sich oft gegen Ende eines Quartals. Besonders gefährlich war in der Vergangenheit das dritte Quartal des jeweiligen Krisenjahres. Am 23. September 1998 wurde der Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) gerettet, am 17. September 2007 räumten Kunden bei Northern Rock in Großbritannien ihre Einlagen ab, und am 15. September 2008 ging Lehman Brothers unter.
Einen nennenswerten Beitrag, den bei den Banken herrschenden Mangel an Sicherheiten dauerhaft zu beseitigen, leiste das Reverse-Repo-Programm unter dem Strich nicht, urteilen Analysten von JP Morgan. Tatsächlich mehrten sich zuletzt gar Signale, die auf einen drohenden Liquiditätsengpass am Repo-Markt hindeuten. So hatten sich die 22 ausgesuchten Wall-Street-Adressen, die US-Staatsanleihen direkt bei der New Yorker Fed ersteigern dürfen und die den Staatsanleihehandel liquide halten sollen („Primary Dealer“), im Juli am Repo-Markt im Schnitt nur noch 2380 Milliarden Dollar geliehen. Damit wurde das Tief des Krisenjahres 2009 unterschritten. Anfang 2008, vor dem großen Crash, erreichte das entsprechende Volumen zeitweise mehr als 4300 Milliarden Dollar.
Angesichts dieser Zahlen überrascht es nicht, dass Banken oder Hedgefonds offenbar zunehmend Probleme haben, Sicherheiten für Repo-Kredite pünktlich bereitzustellen oder zurückzugeben. Gerade bei US-Staatsanleihen häufen sich seit Juni die Ausreißer nach oben mit wöchentlichen Ausfallvolumina jenseits von 100 Milliarden Dollar (siehe Grafik).
Zwischen Januar 2012 und Mai 2014 lag das wöchentliche Ausfallvolumen im Schnitt noch bei 46 Milliarden Dollar. Wer die Sicherheiten nicht fristgerecht bereitstellt oder zurückgibt, zahlt also lieber die bei verzögerter Lieferung fällige Vertragsstrafe von drei Prozent, als sich die Wertpapiere am Markt zu besorgen – ein Knappheitssignal.
Kettenreaktion droht
„Da könnte sich etwas Unheilvolles zusammenbrauen“, sagte Stanley Sun Ende Juni dem Börsendienst Bloomberg. Sun ist Zinsstratege bei Nomura Holdings in New York. Die US-Tochter der japanischen Investmentbank gehört zum Kreis der 22 Primary Dealer.
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, eine Art Bank der Zentralbanken, stuft Repo-Geschäfte nach wie vor als recht risikolos ein. „Dabei hatte gerade das exzessive Vertrauen in diese Form der Finanzierung das System zum Einsturz gebracht“, sagt Sheila Bair, die ehemalige Chefin der US-Einlagensicherung FDIC. Regulierer hatten sich vor 2008 nur um etablierte Banken gekümmert.
Das Schattenbankensystem aus Hedgefonds und Private-Equity-Fonds sowie den Zweckgesellschaften, die Banken außerhalb ihrer Bilanzen führten, blieb unreguliert. Über den Repo-Markt aber sind regulierte Banken mit Schattenbanken eng verzahnt. Zentrales Element dieser Verzahnung ist die Beleihungskette der Sicherheiten, eben die Tatsache, dass eine Anleihe auf dem Repo-Markt gleich mehrfach als Sicherheit für Kredite eingesetzt wird.
Schattenbanken finanzieren sich über den Repo-Markt kurzfristig, legen die Gelder aber meist auf längere Frist an. So müssen am Repo-Markt zur Refinanzierung dieser Positionen täglich Hunderte Milliarden Dollar an Verbindlichkeiten neu auf- und abgebaut werden. In den Bankbilanzen tauchen diese Summen so aber nicht auf. Weil Forderungen und Verbindlichkeiten dort in der Regel saldiert werden dürfen, lassen sich die tatsächlichen Kreditrisiken verschleiern – aber nur, solange die Beleihungskette nicht reißt. Schon der Ausfall einer Gegenpartei kann eine Kettenreaktion auslösen, wie 2008.