Riedls Dax-Radar
Alles zu in Lissabon (März 2020): Der Lockdown von März/April könnte sich wiederholen, wenn die Infektionsraten weiter steigen. Das käme einer erneuten Vollbremsung der Wirtschaft gleich. Quelle: rtr

Angst vor einer Vollbremsung der Wirtschaft

Es gibt derzeit mehr Signale, die für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends sprechen. Dennoch besteht das Risiko, dass die Kurserholung im Dax durch einen scharfen Lockdown wieder abgewürgt wird. 

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Mit Rückschlägen von mehreren hundert Punkten binnen weniger Stunden reagiert der deutsche Aktienmarkt auf die Gefahr eines erneuten Lockdowns. Dahinter steht nicht nur die Angst vor einer echten, zweiten Welle der Coronapandemie; darin steckt auch die Furcht, dass rigide Einschränkungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens die konjunkturelle Erholung der vergangenen Monate wieder abwürgen könnten. Stockungen beim Brexit und die Unsicherheit über den Ausgang der US-Präsidentenwahl kommen dazu. Der jüngste Rückgang des indikativen ZEW-Index fiel wesentlich heftiger aus als erwartet. 

Im Dax hinterlässt die jüngste Ernüchterung deutliche Spuren. Aktien der Allianz sind nun schon mehrmals in Richtung 160 Euro abgerutscht. Versicherer sind Corona-Verlierer, weil sie massiv durch Ausfälle betroffen sind – von Großveranstaltungen über Reisen bis hin zum industriellen Betrieb. Schon in der ersten Coronaphase von Februar bis März waren die Kursverluste der Allianz überdurchschnittlich hoch. Dass die Aktie nun seit Ende September sich nicht mehr über die wichtige Marke von 170 Euro gerettet hat, ist ein Warnsignal. Ebenfalls angeschlagen ist die Aktie der Münchener Rückversicherung, allerdings hat der Kurs das hier wichtige Niveau um 200 Euro bisher verteidigt. 

Seit Ende Juni steht Fresenius unter Druck. Vor allem die Krankenhaussparte (Helios) und Gesundheitsprojekte (Vamed) leiden unter der Viruskrise. Nach der jüngsten Kursschwäche ist ein weiterer Rückfall unter 35 Euro möglich. Allerdings sollten dann schrittweise die Käufer wieder kommen. Das Kerngeschäft der Dialyse-Tochter FMC ist wachstumsstark und rentabel; und bei den Kliniken und Projekten könnte es spätestens von Frühjahr 2021 an einen Nachholeffekt geben. 

Weiter nach unten ging es zuletzt mit der aktuell schwächsten Aktie im Dax, mit Bayer. Dass selbst eine positive Meldung über Erfolge in der Entwicklung von Krebsmedikamenten an den Märkten verpufft, ist kein gutes Zeichen. Der Ausblick für 2020 bleibt diffus und düster, die Angst vor weiteren Folgelasten aus der Monsanto-Übernahme ziehen den Kurs wie Blei nach unten. Kurzfristige Reaktionen nach dem Ausverkauf sind möglich, ein Grund für eine Investition sind sie bis auf weiteres nicht. Mittelfristig ist ein Absacken der Aktie in den Bereich 40 bis 35 Euro nicht ausgeschlossen. 

Boom bei Infineon, Siemens mit Stärke, Vorschuss für Delivery Hero

Neben den derzeit auffällig schwachen Aktien gibt es im Dax nach wie vor Überflieger. WirtschaftsWoche-Favorit Infineon wird vom weltweiten Chip-Boom beflügelt. Zwar besteht die Gefahr, dass durch den angepeilten Zusammenschluss von Nvidia und ARM in Teilen ein Konkurrent entsteht, gleichzeitig wird dabei aber auch die relativ günstige Bewertung von Infineon offensichtlich. Dass die Aktie die Kursspitzen der Jahre 2017 und 2018 mittlerweile übertroffen hat, ist ein positives Signal. Womöglich gibt es zwischen 26 und 23 Euro noch einmal eine Chance zum Nachfassen. Unter langfristigem Blickwinkel ist der Chiphersteller derzeit die stärkste Aktie im Dax. 



Zu den guten Aussichten von Infineon passt die Performance des Philadelphia Semiconductor Index, der wichtigste Indikator der Halbleiterbranche. Der hat im Corona-Schock zwar ebenfalls deutlich Boden verloren, das aber nach wenigen Wochen wieder ausgebügelt. Für die Chipbranche war und ist Corona nur eine Episode, die mittlerweile abgehakt ist. Mehr noch: Corona führte letztlich dazu, dass die großen Trends Internet, Cloud und Kommunikation nicht nur bestätigt, sondern verstärkt wurden.

Noch kein Top-Performer, aber mit zunehmend besseren Aussichten kommt Siemens voran. Die neue Struktur des Konzerns und die Konzentration auf die aussichtsreichen Geschäftsfelder Digitalisierung, erneuerbare Energien, Medizintechnik und Infrastruktur wird von Investoren honoriert, der Wechsel an der Konzernspitze ist offensichtlich kein Problem. Dass Siemens im Corona-Geschäftsjahr 2019/20 aller Voraussicht nach keinen großen Gewinneinbruch hinnehmen musste, bestätigt die neue Strategie. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Siemens bald wieder 100 Milliarden Euro und mehr an der Börse wert wäre - knapp zehn Prozent fehlen bis dahin noch. 

USA, China und Rohstoffmärkte machen Hoffnung

Ungebrochen im Aufwind ist Neuling Delivery Hero. Auch wenn die Aktie analytisch überbewertet ist, hält das viele Investoren offensichtlich nicht vom Kauf ab. Dahinter steht die Hoffnung, dass es in der Internetbranche in den ersten Jahren vor allem auf machtvolles Wachstum und Marktanteile um jeden Preis geht und nicht um Nettoerträge am Ende der Gewinn- und Verlustrechnung. Wer davon überzeugt ist, kann seine Kursgewinne durchaus laufen lassen. Schwächesignale zeigt die Aktie derzeit keine. 

Positive Vorgaben aus USA, China und von den Rohstoffmärkten

Unter dem jüngsten Eindruck von Corona hat der Dax das Niveau um 13.000 Punkte erst einmal aufgegeben. Dennoch ist der Showdown um den mittelfristigen Trend damit noch nicht verloren. Eine wichtige Stabilisierung geht derzeit von den großen internationalen Aktienmärkten aus. So hat der amerikanische Dow Jones deutlich oberhalb der 200-Tage-Linie gedreht und kletterte danach fast bis auf 29.000 Punkte. Ebenfalls positiv ist die Entwicklung des Technologieindex Nasdaq, der 20 Prozent über seinem 200er-Durchschnitt verläuft. Das gibt Raum für kurzfristige Korrekturen und kennzeichnet gleichzeitig langfristig einen stabilen Markt. 

Positive Signale kommen aus China. Weil das Land innerhalb der Weltwirtschaft in den vergangenen Jahren massiv an Gewicht gewonnen hat, ist aus dem chinesischen Aktienmarkt ein wertvoller Indikator für die Entwicklung auch der westlichen Industrieländer geworden. 

Das zeigte sich schon bei den Corona-Rückschlägen im Februar und März. Während die westlichen Börsen ins Bodenlose stürzten, hielten sich die Verluste an den chinesischen Aktienmärkten in Grenzen. Darin spiegelte sich die Tatsache wider, dass China zu diesem Zeitpunkt in der Entwicklung der Pandemie schon wesentlich weiter war als die westlichen Länder. Die relative Stabilität und die schnelle Erholung der chinesischen Aktien war so gesehen in Hinweis darauf, dass auch die westlichen Börsen wieder auf die Beine kommen sollten - was dann auch der Fall war. 

Aktuell steckt der wichtigste China-Index, der Shanghai Composite, zwischen 3200 und 3500 Punkten in einer klassischen Konsolidierung innerhalb einer Aufwärtsentwicklung, die ihren Beginn Anfang 2019 nahm. Der chinesische Aktienmarkt deutet damit darauf hin, dass die Weltwirtschaft sich mitten in einer substanziellen Erholung befindet und – trotz Corona – Schritt für Schritt an Dynamik gewinnt. 

Bestätigt wird diese Dynamik von den Rohstoffmärkten, bei denen besonders China in vielen Fällen als Abnehmer und Produzent führend ist: So hat der Preis für Aluminium (trotz Corona-Krise der Luftfahrt und der Flugzeughersteller, die reichlich Alu einsetzen) ein neues, mittelfristiges Hoch markiert. Kupfer steckt, ähnlich wie chinesische Aktien, noch in einer Konsolidierung. Die aber sollte dazu führen, dass letztlich der große Abwärtstrend der vergangenen zehn Jahre bald nachhaltig gebrochen wird. Ein Anstieg über die Marke von 7000 Dollar je Tonne wäre dafür ein sichtbares Signal. Derzeit pendeln die Kupferpreise um 6700 Dollar. 

Die vielversprechende Konstellation am Kupfermarkt ist nicht nur ein positiver Indikator für die allgemeine Konjunktur. In ihm spiegeln sich die großen Trends Internet, Cloud, 5G und Elektromobilität wider, von denen die physische Nachfrage nach Kupfer auf Jahre hinaus beflügelt wird. 


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Fazit für den Dax: Das größte Risiko für deutsche Aktien wäre ein abermaliger, scharfer Lockdown wegen Corona. Dass die Wirtschaft derzeit wieder an Dynamik verliert, ist allein noch kein Grund für einen heftigen Kursrückgang, sondern natürlich Folge der zunächst schnellen Erholung bis in den Sommer hinein. Gefährlich wird es erst, wenn es durch einen abrupten Lockdown wieder zu einer Vollbremsung der Wirtschaft kommen sollte. Ein solches Szenario haben die Börsen bisher noch nicht auf der Rechnung. 

Positive Signale von den weltweiten Aktien- und Rohstoffmärkten, die Stabilität der großen Technologietrends und die robuste Verfassung führender Dax-Aktien sprechen eher dafür, dass es hierzulande keinen zweiten Corona-Crash gibt. Für die kommende Woche wäre es gut, wenn der Dax mindestens das Niveau um 12.500 Punkte verteidigt. 

Mehr zum Thema: Fondsmanager Hendrik Leber spricht im Expertentalk über Impfstoffhoffnung Biontech, Technologie-Aktien und seinen Inflationsschutz mit Bitcoin statt Gold.

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