Riedls Dax-Radar
Techaktien-Crash, US-Zinsen und die Auswirkungen auf den Deutschen Aktien Index. Quelle: Illustration: Marcel Reyle

Bärenmarktrally in Sicht

Nach Verlusten von bis zu 23 Prozent seit Jahresanfang ist im Dax eine Kurserholung möglich. Die Entscheidung darüber fällt an den Zinsmärkten – und sie steht kurz bevor.  

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Die wichtigste Hoffnungsquelle, von der aktuell eine Erholung an den Börsen ausgehen kann, ist die Kurve, die wie keine andere die Märkte in diesem Jahr im Griff hat: Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen. Nach dem dramatischen Anstieg der Inflation und der Kehrtwende der US-Notenbank Fed kam es bei den zehnjährigen Renditen zum stärksten Anstieg seit Jahrzehnten: In einer ersten Phase ging es von Sommer bis Herbst vergangenen Jahres von 1,17 Prozent auf 1,70 Prozent nach oben. Von Dezember bis Februar folgte dann ein Anstieg von 1,35 Prozent auf über 2,00 Prozent. Im März schließlich kam es zur dritten Phase, dem eigentlichen Anleihecrash, in dem sich die Renditen in einem Zeitraum von nur fünf Wochen von 1,60 Prozent auf bis zu 3,20 Prozent verdoppelten. Sie erreichten damit punktgenau das Niveau vom Oktober 2018. Seit der jüngsten Zinsspitze vom 9. Mai bröckeln die Renditen wieder ab, bisheriges Tief seitdem war am 19. Mai ein Stand von 2,73 Prozent. 

Die entscheidende Frage, mit der die Chance einer Erholung an den Aktienbörsen verknüpft ist, lautet nun: Ist an den Anleihemärkten nach dem extremen Zinsanstieg der vergangenen Wochen nun eine Pause, eine Korrektur oder vielleicht sogar sogar eine Gegenbewegung möglich? 

Gründe dafür gibt es durchaus. Nachdem die Inflationszahlen in den vergangenen Wochen noch einmal massiv gestiegen sind, könnte hier ein Gewöhnungseffekt eintreten. Wichtige Preistreiber wie die Energienotierungen haben schon seit einigen Monaten keine neuen Höchststände mehr erreicht. Politisch könnten die im Herbst anstehenden Midterm Elections in den USA zu moderateren Tönen bei der Notenbank führen. 

Eine wichtige Indikation kommt zudem vom Währungsmarkt. Nachdem der Euro bis auf 1,04 Dollar abgesunken ist und damit das Tief aus dem Jahr 2016 erreicht hat, ist für die nächsten Wochen eine vorübergehende Erholung bis 1,08 oder 1,09 Dollar möglich. Monetärer Hintergrund dabei könnte die nun auch bei der EZB wachsende Bereitschaft sein, mit einer konsequenteren Zinspolitik gegen die Inflation vorzugehen. Markttechnisch gesehen ist der Euro nach 15 Prozent Verlust gegenüber dem Dollar binnen eines Jahres stark überverkauft. So verläuft die 200-Tagelinie derzeit erst bei 1,13 Dollar. Eine Abschwächung der zuletzt extremen Dollardominanz könnte mit einem Rückgang der US-Renditen einhergehen. 

Auch am Anleihemarkt selbst gibt es Anhaltspunkte, dass die Renditen erst einmal eine Pause einlegen könnten. Seit elf Jahren standen die US-Renditen noch nie höher als 3,2 Prozent. Seit zwei Jahrzehnten, seit dem Zinstief in der Hightech-Krise 2003, zieht sich der Bereich zwischen 3,0 und 3,3 Prozent wie ein Äquator durch den langfristigen Verlauf der Renditen. Eine solche zentrale Achse wird in der Regel nicht gleich im ersten Anlauf genommen und überschritten. Um eine so bedeutende Grenze nachhaltig zu überwinden, brauchen Märkte Monate, wenn nicht sogar Jahre. Und dabei nehmen sie in der Regel mehrmals Anlauf. Ein solcher Anlauf könnte die Renditen nun vorübergehend weiter abdriften lassen, womöglich in den Bereich um 2,5 Prozent. 

Techaktien spielen weiter die Hauptrolle – extreme Anspannung am Aktienmarkt 

Nach der bisher enormen Inflations- und Zinsangst könnte eine solche, unerwartete Entspannung erhebliche Rückwirkungen auf die Aktienmärkte haben. Indikatoren wie der Fear- and Greed-Index oder das Verhältnis von Verkaufsoptionen zu Kaufoptionen haben in den vergangenen Tagen extremes Niveau erreicht. Allein schon bei einer technisch bedingten Eindeckung von Leerverkäufen und anderen Baissepositionen könnte es in den großen Indizes zu Anstiegen von mehreren Prozenten kommen. 

Die führende und entscheidende Rolle werden dabei die Aktien spielen, die seit Monaten, im Grunde seit Jahren, die Richtung an den Börsen vorgeben: Die Hightech-Protagonisten. Sensible Vorläufer sind vor allem die Chipaktien. Sie stehen durch die entscheidende Rolle der Halbleiter für die Megatrends derzeit wie noch nie im Zentrum von Wirtschaft und Wertpapiermärkten. 

Seit Anfang Januar hat das wichtigste Barometer der Branche, der Philadelphia Semiconductor Index, knapp ein Drittel an Wert verloren. Zudem hat er im Notierungsbereich zwischen 4000 und 3200 Punkten eine klassische Abwärtswende gebildet. Führende Chipaktien wie Nvidia oder NXP sehen ähnlich aus. Im Dax hat sich Infineon nach 40 Prozent Verlust seit November auf der alten, auf 2018 und 2020 zurückgehenden Unterstützungszone erst einmal stabilisiert. Die Auftragslage von Infineon ist gut, die Produktion läuft auf vollen Touren, das Geschäftsjahr 2022 (bis 30. September) dürfte aller Voraussicht nach mit neuen Rekordwerten bei Umsatz und Gewinn abschließen. Insgesamt gesehen wären die Chipaktien zumindest für eine zwischenzeitliche Erholung reif.

Besonders heftig erwischte es in den vergangenen Wochen die größten Aktien der Welt: Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon und Tesla. Bis auf Tesla haben alle vier dieser Titel aus markttechnischer Sicht klassische obere Wendeformationen gebildet. Bei Tesla läuft dieser Kampf aktuell um die Unterstützung bei 700 Dollar. Dass die Aktie zuletzt aus dem Nachhaltigkeitsindex von S&P geflogen ist und Tesla-Chef Elon Musk mit seinen Aktionen zunehmend auf Kritik stößt, ist kein gutes Umfeld für eine nachhaltige Erholung. Bei den großen Technologiewerten sind damit zwar ebenfalls Erholungen möglich, die große Tendenz aber zeigt derzeit nach unten.

Fazit für den Dax: Eine Entspannung bei den Zinsen könnte den Aktienmärkten durchaus zu einer Erholung verhelfen. Die weltweit führenden Technologietitel haben in den vergangenen Wochen so deutlich an Wert verloren, dass Gegenbewegungen möglich sind. Der Dax hat nach einem kurzen Abtaucher wieder das Niveau um 13.600 Punkte verteidigt und bei 14.250 den seit Januar bestehenden Abwärtstrend erreicht. Ein Sprung über diesen Trend könnte kurzfristig ein Potenzial bis in den Bereich um 15.000 eröffnen. 

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Das Problem dabei: Mehrmals schon gab es in den vergangenen Monaten Ansätze für eine Rally, die trotz vielversprechendem Beginn dann nach wenigen Tagen wieder versandeten. Verantwortlich dafür ist die Grundrichtung des Marktes, die unter mittel- bis langfristiger Perspektive weiterhin nach unten zeigt: Der Dax verläuft weit unterhalb seiner 200-Tage-Durchschnittslinie (derzeit bei 15.160) und der zentralen Widerstandszone um 15.000. Von den 40 Dax-Aktien können derzeit nur noch fünf eine Aufwärtsentwicklung behaupten: RWE und Linde (die von den besonderen Aussichten um Energie und Wasserstoff beflügelt werden), die Deutsche Telekom und die Deutsche Börse AG (deren Geschäftsmodell auch in Krisen gut funktioniert), sowie die Spezialentwicklung Bayer, bei der sich nach langjähriger Belastung ein Ausweg aus dem Desaster um Monsanto und Glyphosat abzeichnet. Für den Dax heißt das: Auch die nächste Erholung, selbst wenn sie dynamisch ausfällt, dürfte bis auf weiteres nur eine Bärenmarktrally werden und kein Signal für einen breit angelegten Einstieg. 

Hinweis: Der nächste Dax Radar erscheint erst wieder Anfang Juni. 

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