Riedls Dax-Radar
Sellout im Dax: Finden Adidas, Sartorius und Co. bald den Boden? Quelle: Getty Images

Börse: Kommt der große Ausverkauf?

Steigende US-Renditen setzen die Aktienmärkte unter Druck. Kommt es zu einer Marktbereinigung? Was Sie über die aktuelle Börsenlage wissen sollten.

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Im Gegensatz zur verbreiteten Untergangsstimmung laufen die operativen Geschäfte vieler Unternehmen derzeit gar nicht so schlecht. Die Deutsche Börse AG profitiert mit ihrer Derivatesparte Eurex angesichts der Turbulenzen bei Aktien und Anleihen vom hohen Bedarf an Absicherung. Dazu rückt im Zuge der Gas- und Stromkrise nach langem Schattendasein die Leipziger Energiebörse ins Licht, an der die Deutsche Börse die Mehrheit hat. Biotechzulieferer Sartorius wird zwar nach den außergewöhnlichen Coronageschäften der vergangenen Jahre hier Abstriche machen, dennoch dürfte das operative Wachstum in diesem Jahr wieder deutlich zweistellig ausfallen. In den USA meldet Tesla einen erneuten Umsatzrekord und eine Gewinnverdopplung und kündigt weitere, hohe Zuwächse an. Dennoch, alle drei Aktien, die der Deutschen Börse, von Sartorius und Tesla, werden an der Börse erst einmal schwer verkauft. 

Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Bei der Deutschen Börse ist es klassisches Sell on Good News, nachdem die Aktie in den vergangenen Monaten überdurchschnittlich gut gelaufen ist. Weder ist die Aktie überbewertet noch ist die große Aufwärtsbewegung gefährdet. Im Gegenteil: Kursrückschläge dieser Art sind bei der Deutschen Börse Gelegenheiten zum Nachfassen. Spätestens im Bereich um 150 Euro sollten vermehrt wieder Käufer kommen. 

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Dax-Neuling Sartorius erlitt sogar einen regelrechten Kurseinbruch. Verantwortlich dafür ist eine Reduzierung des Umsatzziels um zwei Prozentpunkte. Allerdings, die heftige Kursreaktion offenbart die offene Flanke von Sartorius: die überdurchschnittlich hohe Bewertung. Die hat der Biotech- und Laborzulieferer angesichts seines jahrzehntelangen, hohen Wachstums und der stabilen Margen zwar durchaus verdient; die Korrekturphasen aber können dennoch heftig ausfallen. Auch dieses Mal könnte es kurzfristig bis in den Bereich der jüngsten Frühjahrstiefpunkte um 300 Euro gehen. Und sollte die allgemeine Baisse sich noch Monate hinziehen, wären auch Notierungen um 250 Euro nicht auszuschließen. Beides dürften für strategische Investoren langfristige Kaufgelegenheiten werden. 

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Ein Spezialfall bleibt E-Autopionier Tesla. Als Revolutionär der gesamten Fahrzeugbranche und zugleich Technologieführer ist Tesla auch wichtig für den Dax, der als allgemeiner Landesindex wie kein anderer von Autoaktien  geprägt wird. Hinter den Kursrückschlägen von Tesla stecken keine operativen Enttäuschungen, sondern ein an der Börse üblicher Normalisierungsprozess: Nach jahrelangem Dasein zunächst als Underdog und dann als Heilsbringer der Autowelt pendelt sich die Bewertung nun ein. Auch wenn sich das eher auf dem erhöhten Niveau führender Technologieaktien wie Apple oder Microsoft abspielen dürfte als zu den Discountpreisen der Aktien von Mercedes-Benz oder Volkswagen, sind die Bewertungsrisiken von Tesla noch nicht ausgestanden. Das langfristige Kursbild ist brisant: Sollte Tesla das Niveau um 200 Dollar nicht halten, könnte sich die Abwärtsfahrt noch einmal beschleunigen. 

von Matthias Hohensee

Weiter unter Druck steht Sportartikler Adidas. Nun kommt es doch zur Abwicklung des umfangreichen Russlandgeschäfts und deshalb zu Abschreibungen in dreistelliger Millionenhöhe. Die schwierige Lage der weltweiten Sportartikelbranche kommt hinzu, vor allem auf dem großen Markt China. Dazu gibt es hausgemachte Probleme um die Positionierung wichtiger Marken. Immerhin, nachdem nun die Probleme auf dem Tisch sind und Adidas Sparmaßnahmen eingeleitet hat, dürfte im weiten Bereich um 100 Euro die Chance auf eine Stabilisierung bestehen. Dass bald ein neuer Chef gefunden wird, der die Kreativkultur der Marke mit effizientem Wirtschaften verbindet, wäre ein großer Vorteil.

Der Anleihecrash könnte die Notenbanken zum Umsteuern bewegen 

Die operative Entwicklung der Deutschen Börse AG, von Sartorius und Tesla zeigt, dass die Börsen derzeit trotz zahlreicher allgemeiner Risiken nicht automatisch ins Leere stürzen müssen. Offensichtlich wird dabei allerdings auch, wie lange, zäh und heftig die Abwertungsprozesse bei einzelnen Aktien ablaufen. 

Als größtes allgemeines Risiko erweist sich zunehmend der weltweite Anleihemarkt, auf dem seit Monaten die schwerste Baisse seit Jahrzehnten abläuft. Sie führt mittlerweile durch die dramatische Abwertung bisher als sicher geltender Wertpapiere zu tief gehenden Verwerfungen auf den Finanzmärkten: von den Abwärtswellen bei Immobilien über die Schieflagen bei britischen Pensionskassen bis hin zur schrumpfenden Kapitalisierung großer Versicherungen.

Ein Ende des Desasters am Anleihemarkt ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Mit dem jüngsten Anstieg über die Marke von 4,0 Prozent setzen die wegweisenden Renditen am US-Anleihemarkt ihre Kletterpartie dynamisch fort. Bei 4,25 Prozent sind die Renditen mittlerweile wieder so hoch wie vor 15 Jahren. Ein weiterer Anstieg auf 4,5 bis bis 5,1 Prozent ist durchaus möglich; letztmals kam es in diesem Bereich in den Jahren 2005 bis 2007 zu längeren Konsolidierungen.

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Entwarnung von der Inflationsseite und damit Hoffnung auf ein Ende der Zinserhöhungen ist noch nicht in Sicht. Wenn derzeit an den Börsen immer wieder auf ein Umsteuern der Notenbanken gesetzt wird, so ist die Begründung dafür anders: Sie kommt weniger von der Erwartung abflauender Inflation als vielmehr von der Eingrenzung systemischer Gefahren, die von überbordenden Renditen und crashenden Anleihen immer mehr ausgehen.

Ob es bei der amerikanischen Notenbank dabei aber zu einem so schnellen und überraschenden Einlenken kommt wie im Fall der Bank of England, darf bezweifelt werden. Nachdem die amerikanische Fed durch ihre lange Ignoranz des Inflationsrisikos erheblich an Glaubwürdigkeit verloren hat, dürfte sie jetzt mit mehr Konsequenz an ihrer neuen Richtung festhalten und nicht frühzeitig umfallen. Die Zitterpartie der Wertpapiermärkte um weitere, scharfe Zinserhöhungen dürfte damit noch nicht so schnell vorbei sein. 

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Fazit für den Dax

Durch die Stabilisierung der vergangenen drei Wochen ist der Dax fast wieder bis an die Marke von 13.000 Punkten gekommen. Wichtige Einzelwerte wie Airbus, BASF und sogar die Allianz haben die Erholung mitgetragen. Allerdings, bei 35 der 40 Dax-Aktien liegen die aktuellen Notierungen unterhalb ihrer 200-Tagelinie. Das sind 88 Prozent und damit herrscht unverändert eine stabile und marktbreite Baisse. 

Von den US-Börsen ist kurzfristig wenig Hilfe zu erwarten: Die allgemeinen Barometer Nasdaq und S&P 500 sind bisher unter wichtigen Widerstandszonen geblieben, und auch im Dow Jones besteht das Risiko, wieder unter die 30.000-Punkte-Marke abzurutschen. Vom Saisonrhythmus ist gerade die Phase der zweiten Oktoberhälfte bis Anfang November besonders gefährlich. Immerhin erwies sich der hier überdurchschnittlich oft stattfindende Ausverkauf dann als Einstiegsgelegenheit für eine Jahresendrally. 

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