Der extrem starke Anstieg von mehr als fünf Prozent binnen einer Stunde hat zwei Gründe: Fundamental bringt er einen völlig neues Hoffnungsmoment in den Markt, mit dem angesichts steigender Infektionszahlen und zunehmender Engpässe bei der Intensivbehandlung die wenigsten Börsianer kurz- bis mittelfristig noch gerechnet haben. Zugleich deutet die hohe Wirksamkeitsrate von 90 Prozent auf eine echte, substanzielle Bekämpfung der Pandemie.
Der zweite Grund ist die technische Verfassung des Marktes. Zwar hat der Wahlausgang in den USA die Stimmung an den Börsen zuletzt entspannt; die Unsicherheit über den Stabwechsel im Weißen Haus und die Angst vor einer neuen, juristisch bedingten Zitterpartie hat die Euphorie aber begrenzt. Und weil die Kurse in den Tagen davor so deutlich gestiegen waren, hatten zahlreiche Marktteilnehmer jetzt erst einmal auf eine Ernüchterung gesetzt – sprich, auf fallende Kurse.
In dieser skeptischen Marktverfassung wirkte die Meldung über den Impfstoff umso explosiver. Dass in der gleichen Marktbewegung das Krisenmetall Gold auf einen Schlag mehr als 50 Dollar abgibt, der Bund-Future einbricht, der Ölpreis aber deutlich zulegt, spiegelt die Hoffnung auf ein Ende der Coronakrise ebenso wider. Dahinter steckt der Gedanke, dass mit dem Ende von Corona auch ein Ende der extremen Zinssenkungen in Sicht kommen könnte.
Darin steckt natürlich viel Vorschuss und Zukunftsmusik. Auch wenn Zulassung und Produktion des Impfstoffs beschleunigt vonstatten gehen sollen, wird die Normalisierung des öffentlichen Lebens und die Erholung der Wirtschaft gerade nach der jüngsten Abschwächung mehrere Monate brauchen.
Rückschläge abwarten
Einen einfachen Durchmarsch wird es für die Börsen ohnehin nicht geben. Jetzt findet erst einmal wieder eine Differenzierung statt: Gefragt sind nun wieder klassische Konjunkturwerte aus den Branchen Auto, Chemie, Anlagen und Maschinen, die in in den vergangenen Monaten im Schatten der Coronagewinner aus der Internetwelt standen. Auf der anderen Seite könnten gut gelaufene Technologiewerte jetzt erst einmal eine Pause einlegen.
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Fazit für den Dax: Erst der Rückenwind durch die US-Wahl, nun die neue Hoffnung durch einen Impfstoff – mit dieser Mischung hat der Dax nicht nur den Bereich um 12.000 Punkte mit Leichtigkeit verteidigt, er hat nun sogar wieder das Top-Niveau von Juli bis Oktober erreicht. Selbst wenn es nach diesem schnellen Anstieg erst einmal zu einer Beruhigung kommen sollte, ist die Gefahr eines weiteren Abkippens, vor allem die eines zweiten Corona-Crashs, nun vom Tisch.
Den hektischen Kurssteigerungen jetzt nachzurennen, ist wenig sinnvoll. Wer im Markt ist, kann seine Positionen laufen lassen – die Hoffnung auf eine Börse nach Corona ist nun ziemlich real geworden. Wer einsteigen will, sollte auf Rückschläge warten, die kurzfristig durchaus wieder unter 13.000 Punkte gehen könnten. Vielleicht ist ja dann der eine oder andere interessante Technologiewert sogar mit deutlichem Abschlag wieder zu haben.
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