Riedls Dax-Radar
Börsensymbolik: Die Sorge um eine neue Corona-Welle im Herbst bremst die Börsenoptimisten (Bullen), die Pessimisten (Bären) lauern schon. Quelle: imago images

Börsen zittern vor Corona und Lockdown

Die Hoffnung auf das konjunkturelle Comeback und die Eingrenzung der Pandemie schwindet. Sollte es zu einem neuen Lockdown kommen, drohen an den Börsen empfindliche Kursverluste.

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Die Angst vor einem zweiten Lockdown, die wegen der weltweit steigenden Corona-Infektionszahlen wieder aufflammt, erwischt die Aktienmärkte auf dem falschen Fuß. Nachdem die wirtschaftliche Erholung zunächst dynamisch vorankam, flacht diese Entwicklung seit einigen Wochen ab. Zuletzt hat sich in der Eurozone wegen Corona das Dienstleistungsgewerbe wieder deutlich abgeschwächt. Das verarbeitende Gewerbe ist noch stabil, es ist aber wahrscheinlich, dass auch dort die Zahlen in den nächsten Wochen schlechter ausfallen. 

Sensibel und frühzeitig registrieren die Währungsmärkte die neue Schwäche. Der Euro, noch vor kurzem als Favorit gegenüber einem angeblich maroden Dollar gehandelt, gab gegenüber der US-Währung seit Anfang des Monats von 1,20 auf bis zu 1,16 Dollar nach. Darin steckt noch keine Renaissance des Greenback. Dennoch ist die jüngste Schwäche des Euro ein Zeichen für die besonders in Europa wieder fragil gewordene Verfassung der Wirtschaft. 

von Frank Doll, Anton Riedl, Heike Schwerdtfeger

Bisher wurde der Rebound an den Börsen von einem Szenario aus konjunktureller Erholung, expansiver Geldpolitik und Eingrenzung der Pandemie vorangetrieben. Sicher ist im Augenblick nur noch die Stütze durch die Geldpolitik. Sollten die politischen Maßnahmen gegen Corona in den nächsten Wochen verschärft werden, ist sowohl im Euro wie auch an den Aktienmärkten mit weiteren Verlusten zu rechnen. 

Schwächesignale von Allianz und Deutscher Bank 

Besonders unter Druck stehen derzeit die Versicherungen. Hier kommt die Angst auf, dass die Assekuranzen nun doch stärker als bisher erwartet für Coronaschäden aufkommen müssen. Ein heikles Feld sind Betriebsschließungsversicherungen. Eigentlich sind das nur Nischenprodukte mit kleinem Prämienvolumen, die aber nun im Zuge von Corona zu zahlreichen Klagen von Kunden gegen Versicherungen führen. Der Rutsch der Allianz-Aktie unter das wichtige Niveau um 170 Euro, das sich seit 15 Jahren wie eine Achse durch das Kursbild zieht, ist ein Warnsignal, das die Aktie mittelfristig belasten dürfte. 

Kalt erwischt wurde die Deutsche Bank. Sie hat derzeit mit drei Problemen zu kämpfen: Geldwäsche-Vorwürfen, nur mühsamen Fortschritten bei der Umstrukturierung der Bank und dem derzeit allgemein schwierigen Umfeld für Geldhäuser. Nicht einmal Spekulationen, die Schweizer UBS könnte die Deutsche Bank übernehmen, helfen der Aktie auf die Beine – ein schlechtes Zeichen für den Kurs. Langfristig könnte sich zwar weiterhin die Kurszone zwischen fünf und zehn Euro als große Wende herausstellen; doch mittelfristig sind die Fortschritte hier so minimal, dass immer mehr Turnaround-Investoren die Flinte ins Korn werfen. 

Delivery Hero und Adidas mit Rückenwind 

Als Corona-Gewinner erweist sich dagegen Dax-Neuling Delivery Hero. Zuletzt ging die internationale Expansion durch Zukäufe in Lateinamerika voran. Analytisch ist die Aktie angesichts hoher Geschäftsverluste zwar völlig überteuert – dennoch waren solche Zahlen bisher kein Hindernis für einen Kursanstieg, der besonders stark seit dem Coronatief im März ausfiel. Optimisten setzen darauf, dass Delivery Hero mit seiner kostspieligen Plattformstrategie weiter vorankommt und eines Tages doch schwarze Zahlen schreibt – oder womöglich sogar übernommen wird. 

Im vollen Lauf ist die Kurserholung bei Adidas. Eigentlich ist der Sportartikler alles andere als ein Coronagewinner. Doch als Stütze erweisen sich derzeit starke Zahlen von Marktführer Nike. Die Amerikaner verdanken das vor allem einem massiven Anstieg des Online-Geschäfts. Digitale Verkäufe sind schlichtweg der Joker, mit dem die Unternehmen durch die Coronakrise kommen. Adidas-Chef Kasper Rorsted bestätigte vor kurzem die bisherige Gewinnprognose für das dritte Quartal – und versprach eine baldige Rückzahlung der Staatshilfen. Für die Aktie bedeutet das: Solange die Kurse über 250 Euro bleiben, ist die Erholungsrally intakt. Mittelfristiges Ziel ist das Hoch um 315 Euro. 

Die Sicherheitsreserven an den Börsen werden kleiner

Im Zuge der September-Schwäche ist der Dow Jones der wichtigen Unterstützungszone um 26.000 Punkte schon ziemlich nahe gekommen. Etwas mehr Spielraum hat der Nasdaq-100-Index, hier wären noch acht Prozent Luft zur Marke von 10.000 Punkten. Die führenden Technologieunternehmen, die im Nasdaq-Index stecken, sind nach wie vor Stützen des großen Börsentrends.


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Im Dax waren die Kursverluste der vergangenen Woche genauso groß wie bei den schwachen Marktphasen Mitte Juni und Ende Juli. Damals erholte sich der Index jeweils wieder von den Rückschlägen, allerdings jedes Mal mit etwas weniger Dynamik. Nun gelang es dem Dax nicht einmal mehr, den Bereich um 13.000 Punkte zu verteidigen; am besonders schwachen Montag (21. September) ging dieser Kampf verloren. Nun kommt es darauf an, ob die Zone 12.000 bis 12.200 Punkte hält. Auf diesem Niveau gab es mehrere mittelfristige Tiefpunkte; bei 12.187 Punkten verläuft aktuell die 200-Tagelinie. 

Fazit für den Dax: Die Volatilitätsbarometer V-Dax und V-Stoxx sind in den mittleren Bereich um 30 Prozent vorgedrungen, das ist ein Zeichen für erhöhte Nervosität unter Anlegern. Nervöse Märkte sind anfällig für schlechte Nachrichten. Das größte Risiko wäre eine zweite, massive Coronawelle und die damit verbundenen Lockdown-Maßnahmen. 

Auf der anderen Seite besteht die Hoffnung, dass Dax und Dow diese Risiken nach mehreren Wochen Korrektur zumindest schon zum Teil verarbeitet haben; zudem ist die Stimmung unter Anlegern alles andere als euphorisch. Insofern besteht immer noch eine Chance, dass das vor kurzem aufgetretene klassische Kaufsignal (der Schnitt der 100er-Durchschnittslinie durch die 200er), das nun auch im Dow Jones vorliegt, sich mittelfristig immer noch durchsetzen kann. 

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