
Seit Monaten erwarten viele Marktteilnehmer und vor allem klassisch denkende Ökonomen, dass die EZB die Zinsen anhebt – ja anheben muss. Immerhin, die Wirtschaft läuft gut, zum Teil gibt es sogar leichte Inflationszeichen. Doch was macht Draghi? – Er macht nicht nur nichts; er spricht nebenbei sogar davon, gegebenenfalls die Anleihekäufe der Notenbank sogar noch auszudehnen. Es ist offensichtlich: die große Zinswende bereitet er nicht vor.
Für Draghis Renitenz gegen Zinserhöhungen gibt es drei Gründe: Erstens hat der EZB-Chef eine andere Perspektive auf den Zinsmarkt als viele Ökonomen, weil er vor allem die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den schwachen EU-Ländern vor Augen hat. Für die starken Länder gibt es den Nebeneffekt eines zusätzlichen Konjunkturprogramms.
Als zweites dürfte er an die Kapitalmärkte denken. Hier haben die Zinsanstiege von April und Juli gezeigt, wie schnell es zu deutlichen Verlusten am Anleihemarkt kommen kann. Eine zinsbedingte Baisse am Anleihemarkt, die dann auch die Finanzierung der Staaten erheblich verteuern würde, dürfte Draghi auf alle Fälle vermeiden wollen.
Und nun kommt ihm, drittens, auch noch der starke Euro in die Quere. Noch vor einigen Wochen, als der Euro um 1,15 Dollar pendelte, gab er sich gelassen. Das klang auf der jüngsten EZB-Konferenz anders. Ein Euro von mehr als 1,20 Dollar passt ihm nicht mehr ins Konzept einer leichten Inflationierung. Gut möglich, dass er auch deshalb mit einer weiteren Ausdehnung der Anleihekäufen kokettierte, um den Euro zu bremsen.
Natürlich hat die aktuelle Euro-Stärke hat auch mit der Schwäche des Dollars zu tun und den zusätzlichen Katastrophen-Belastungen für die US-Wirtschaft. Doch sollte, wonach es derzeit aussieht, der Euro weiter Muskeln zeigen, wäre entgegen den bisherigen Erwartungen sogar eine abermalige Verlängerung der extrem laxen Geldpolitik möglich; auch weit ins Jahr 2018 hinein.
Glossar zur Zinspolitik
Preisstabilität ist als Mandat der EZB in den Europäischen Verträgen festgeschrieben. Die EZB definiert Preisstabilität als eine jährliche Teuerungsrate von knapp unter 2 Prozent. Das Niveau gilt als wünschenswert, da es einen Sicherheitsabstand zur Deflation wahrt, ohne Ersparnisse zu schnell aufzuzehren.
Bei fallenden Preisen spricht man von Deflation. Erwartet ein Konsument, dass ein Produkt in Zukunft günstiger wird, verschiebt er seine Kaufentscheidung. Dadurch bricht die Nachfrage ein. Es entsteht ein gefährlicher Kreislauf, gegen den die Zentralbank kaum vorgehen kann.
Mit dem Leitzins legt die Zentralbank den Preis des Geldes fest. Banken können sich zu diesem Zins kurzfristig Geld bei der Zentralbank leihen. Das beeinflusst alle anderen Zinsen in der Volkswirtschaft.
In einem QE-Programm kauft eine Zentralbank Schuldscheine (Anleihen), beispielsweise von Staaten und Unternehmen in großem Umfang auf. Da sie diese Papiere nicht den Schuldnern selbst, sondern deren Gläubigern (in der Regel Banken) abkauft, spült sie so zusätzliches Geld in das Finanzsystem.
Die Preise für Anleihen und Gold sprechen für rückläufige Zinsen
An den Kapitalmärkten spiegelt sich diese Erwartung wider. Nachdem die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen im Juli bis auf 0,6 Prozent geklettert war und immer mehr Marktteilnehmer die Zinswende für ausgemachte Sache hielten, haben sich die Renditen wieder halbiert.
Die Bestätigung dafür ist der Goldpreis. Er steigt derzeit nicht nur, weil es immer wieder Kriegsängste wegen Nordkorea gibt. Er steigt vor allem deshalb, weil die Zinsen generell und dazu auch noch der Dollar nach unten tendieren.
Und der Goldpreis sieht derzeit nicht danach aus, dass ihm schnell die Luft ausgeht. Im Gegenteil: Die gesamten Preisschwankungen seit Mitte 2013 könnten sich als großer Boden erweisen, dem langfristig eine regelrechte Gold-Hausse folgt. Auch die anderen Edelmetalle - Silber, Palladium, Platin – deuten auf weiter steigende Notierungen.
Für den Dax ist das eine gemischte Gemengelage. Den meisten Industrieunternehmen kommen niedrige Zinsen zugute. Bei Versicherungen und Banken allerdings schwindet die Hoffnung auf höhere Zinsgewinne. Die entsprechenden Branchenindizes zeigen seit kurzem relative Schwäche.
Für die Dax-Konzerne mit ausgeprägtem internationalem Geschäftsanteil ist der starke Euro ein Nachteil. Leidtragender ist hier derzeit Siemens mit seiner großen US-Sparte.