Riedls Dax-Radar

Corona-Baisse: Fünf Warnsignale vor frühzeitigem Optimismus

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Crashs dauern für gewöhnlich länger

Hinter solchen ausgeprägten Kursbildern, zumal bei großen Dax-Werten, stehen massive Verkäufe von Investoren. Unternehmen wie BASF, Siemens oder Henkel werden nicht von heute auf morgen plötzlich neu eingeschätzt, weil etwa ein Quartalsgewinn schlechter als erwartet ausgefallen ist. Doch wenn sich in den Augen potenter Investoren die Chancen eines Unternehmens grundlegend verändern, führt dies zu massiven Umpositionierungen – und die drücken sich in solchen Abwärtsformationen aus.

Automatisch zu einer Baisse verdammt sind die entsprechenden Aktien durch eine solche Abwärtsformation zwar nicht. Dennoch ist die Gefahr groß, dass steigende Kurse bis auf weiteres nur Erholungen in einer übergeordneten Abwärtsbewegung sind.

Viertes Warnsignal: Erschütterte Geschäftsaussichten bei schwachen Aktien

Von MTU Aero Engines bis Daimler, von Covestro bis zur Deutschen Bank sind die Kursverluste mittlerweile so erheblich, dass diese Aktien allein aus optischen Gründen günstig erscheinen. Oft fällt auch eine fundamentale Kaufbegründung nicht schwer: Daimler etwa dürfte selbst in einem Krisenjahr rund 150 Milliarden Euro Jahresumsatz erzielen, und dafür sind die derzeit etwa 30 Milliarden Euro Börsenwert der Stuttgarter günstig.

Doch wenn Kursverluste so extrem ausfallen, sind sie in der Regel ein Zeichen dafür, dass das Geschäftsmodell in Kern erschüttert ist. Bei MTU geht die Angst um, dass der langjährige, große Aufwärtstrend in der Luftfahrt nun gebrochen ist. Covestro wird von Investoren mit Vorprodukten für Schaum- und Kunststoffe in Verbindung gebracht – für die alte Krisenbranche Auto und die mögliche neue Krisenbranche Bau- und Immobilien. Und bei der Deutschen Bank wurde die noch vor wenigen Wochen aufkeimende Wendehoffnung durch den Corona-Crash einfach hinweggewischt.

Fünftes Warnsignal: Fehlende Marktbereinigung bei starken Aktien

Hightech-Champions wie Apple, Microsoft, Intel oder Amazon verloren in der akuten Crash-Phase weniger als der Durchschnitt und legten in der nachfolgenden Erholung deutlich zu. Im Dax gehört Softwareprimus SAP zu den robustesten Werten. Selbst in der panischen Phase wurde also an der Börse differenziert zwischen den Unternehmen, deren Geschäft wirklich erschüttert ist und denjenigen, die nur einen vorübergehenden Dämpfer hinnehmen müssen oder sogar profitieren.

Ist eine Aktie in einer Krise besonders stark, ist das in der Regel ein Zeichen dafür, dass sie zu den Gewinnern des nächsten Aufschwungs gehört. Die aktuelle Stärke vieler Technologieaktien ist die positive Variante des Signals, das in der Finanzkrise in negativer Form die frühzeitig schwachen Bankaktien gaben.

Zugespitzt lässt sich damit jetzt schon sagen, dass im Dax relativ starke Aktien wie SAP, Deutsche Börse, Infineon oder RWE zu den Favoriten für die Zeit nach der Coronakrise gehören sollten.

Dabei gibt es allerdings einen Haken: Gerade weil diese Aktien relativ wenig korrigiert haben, hat sich ihre Bewertung nicht wesentlich verringert. Da aber bei vielen anderen Aktien derzeit genau das passiert, sehen die stabilen Favoriten dann plötzlich doch ziemlich teuer aus. Das kann, vor allem in einer längeren Baisse, durchaus noch zu Verkäufen führen und damit auch gute Aktien belasten.

Fazit für die aktuelle Entwicklung im Dax

Mit dem Anstieg auf bisher 10.500 Punkte hat der Dax eine klassische Erholungsrally absolviert. Dass er angesichts des sehr schwachen wirtschaftlichen Umfeldes und der extrem negativen Stimmung so weit gekommen ist, kann als Zeichen einer erfolgreichen Stabilisierung gewertet werden. Allerdings, eine solche Stabilisierung braucht nach einem so heftigen Einschnitt wie dem von Februar bis März und den zahlreichen Warnsignalen, die der Markt dabei gibt, mehr Zeit.

In den vergangenen vier Jahrzehnten kam es an der deutschen Börse zu acht schweren Verlustphasen, die sich als Crash oder Baisse bezeichnen lassen. Vom Top bis zum Tiefpunkt dauerte es in den kürzesten Fällen zwei bis drei Monate (Crash 1987, Asien-Russlandkrise 1998, Schuldencrash 2011). Beim Saddam-Hussein-Crash 1990 waren es sechs Monate, bei der Zins-Baisse 2015/16 zehn Monate und im 2018er-Rückschlag wegen des Handelskriegs zwölf Monate. Die große Finanzkrise dauerte vom Top bis zum Tief 14 Monate, die Hightech-Baisse ab 2000 schließlich drei Jahre. Rechnerisch ergibt das einen Durchschnitt von elf Monaten – grob gesagt also etwa ein Jahr. Theoretisch wäre der Dax damit erst im Februar 2021 richtig unten und reif für den Wiedereinstieg.

Die aktuelle Corona-Baisse, deren vorangegangenes Hoch am 19. Februar lag und deren akute Crash-Phase am 24. Februar begann, ist nicht einmal zwei Monate alt. Dass sie damit schon gelaufen ist, dürfte ziemlich unwahrscheinlich sein.

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