Riedls Dax-Radar
Europäische Aktien-Titel sind aktuell stark auch wenn die Kurse in Übersee stagnieren oder Tech-Titel weiter fallen. Quelle: Getty Images

Das Comeback der Europa-Börsen

Während Apple, Microsoft und Tesla abstürzen, drehen in Europa immer mehr Aktien nach oben. Für die Börsen ist es ein gutes Zeichen, wenn dabei neue Favoriten im Mittelpunkt stehen.

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Nun hat der Dax doch noch mit leichter Verspätung eine Weihnachtsrally geschafft. In nur drei Tagen ist er von seiner Basis bei 13.900 Punkten bis an seine mittelfristigen Kursspitzen um 14.500 Punkte gekommen. Dieser Anstieg ist um so bemerkenswerter, da er ohne Rückenwind aus Übersee zustande gekommen ist. Mehr noch: Während der Dow Jones mit seinen Industriewerten derzeit nur auf der Stelle tritt, sackt der Nasdaq-Index fast bis zu seinen Herbsttiefen ab. Apple und Microsoft, die Protagonisten der alten Hausse, steuern mittelfristige Tiefen an; Elektropionier Tesla ist in den freien Fall übergegangen.

In Europa dagegen zeigen die Börsen Muskeln. Der EuroStoxx, der Index der 50 wichtigsten Aktien der EU, ist bis knapp an die 4000er-Marke gekommen. Das sind mehr als 20 Prozent Plus seit dem Septembertief. Wie der Dax hat sich das EU-Barometer ein gutes Stück über seiner 200-Tagelinie nach oben abgesetzt – ein klassisches Signale für eine in Schüben ablaufende Kletterpartie. Auch der breiteste europäische Index, der Stoxx Europe 600, in dem zusätzlich vor allem britische und Schweizer Aktien stecken, hat das Niveau seiner Kursspitzen von Sommer und Herbst wieder erreicht.

Woher kommt die ungewohnte europäische Stärke, wie dauerhaft ist sie? Die wichtigste Verschiebung, die sich an den großen Finanzmärkten in den vergangenen Wochen ergeben hat, ist das Comeback des Euro. Seit September hat der Euro allein gegenüber der US-Währung von 0,96 auf 1,06 Dollar zugelegt. Rechnet man diesen Anstieg von gut zehn Prozent aus Dax und Stoxx raus, schmilzt der Vorsprung gegenüber den US-Märkten.

Dennoch, gerade in der jüngsten Anstiegsphase der Aktien ist der Euro nicht mehr weiter gestiegen. Währungsgewinne allein sind es also nicht, von denen die Aktien beflügelt werden. Die Antwort kommt von den aktuellen Dax-Favoriten: Das sind zum einen Zinsgewinner wie die Allianz, die Münchener Rück und die Hannover Rück.

Dazu kommen aber seit einigen Tagen zwei Branchen, die für den Dax von ausschlaggebender Bedeutung sind und die in Amerika kaum mehr eine Rolle spielen: klassische Auto- und Chemieaktien.

BMW und Mercedes-Benz haben das Hoch vom November übertroffen und damit ein Fortsetzungssignal der seit Oktober laufenden Aufwärtsbewegung gegeben. Beide Aktien haben höhere Tiefpunkte und höhere Hochpunkte ausgebildet, haben über ihrer 200-Tagelinie nach oben gedreht. Das sind positive Trendbestätigungen wie aus dem Lehrbuch.

Ganz neu und ungewohnt stark ist die Chemie. BASF hat bei 45 Euro noch einmal eine wichtige Unterstützung getestet bevor es bis 52 Euro dann über das Novemberhoch ging. Noch beeindruckender ist das Comeback der Covestro-Aktie, die den entscheidenden Widerstand bei 38 Euro mit einem Sprung auf 42 Euro regelrecht pulverisierte.

Hinter der Stärke der Chemie- und Autowerte stecken im wesentlichen drei Gründe: Die wiedererwachte Hoffnung auf den chinesischen Markt, die Entspannung bei den industriellen Energiepreisen (vor allem beim Gas) und die Einschätzung, dass der konjunkturelle Abschwung 2023 doch nicht so dramatisch ausfallen könnte, wie bisher befürchtet.

Dass deutsche Auto- und Chemieaktien analytisch mit tief einstelligen Kurs-Gewinnverhältnissen und hoch einstelligen Dividendenrenditen seit Monaten zu den weltweit günstigsten und rentabelsten Aktien zählen, kommt ihnen jetzt zusätzlich zugute. Und dass auch in China die Aktien wieder Fuß fassen und etwa der Hang Seng China Enterprises, der Index der chinesischen Festlandsaktien, neue Stärke zeigt, ist eine wichtige Bestätigung.

In den nächsten Wochen stehen die Geschäftszahlen der Unternehmen für 2022 und die Prognosen für 2023 auf der Agenda. Sie könnten zeigen, dass viele Unternehmen im Dax durch das schwierige Jahr 2022 besser gekommen sind, als es die von Katastrophen und Krieg geprägte Nachrichten- und Stimmungslage nahelegt. Und wenn die Prognosen der Unternehmen für 2023 gerade wegen dieser Risiken eher vorsichtig ausfallen, ist das für die Börse kein Nachteil, sondern lässt Raum für positive Überraschungen.

Fazit für den Dax: Im Gegensatz zum Schwanengesang bei Apple, Microsoft und Tesla spielt sich im Dax seit Monaten eine klassische Bodenbildung ab. Sie hat durch die jüngste Stärke der konjunktursensiblen Auto- und Chemiewerte eine weitere Bestätigung erfahren. Bei gut 60 Prozent der Dax-Aktien verlaufen die aktuellen Notierungen oberhalb der 200-Tagelinie. Das ist noch keine marktbreite Hausse, aber ein vielversprechendes Übergewicht auf der Long-Seite.

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Wenn die Unternehmenszahlen in den nächsten Wochen nicht zu schlecht ausfallen und die amerikanische Notenbank bei ihrer Zinspolitik wie angekündigt behutsamer vorgeht, könnte sich der gute Jahresstart im Dax weiter fortsetzen. Kurzfristig wird es dabei entscheidend sein, dass der Dax seine jüngste Kursbasis bei 13.900 bis 14.000 Punkten in eventuellen Konsolidierungen weiter verteidigt. Die nächsten mittelfristigen Kursziele lägen dann bei 14.900 bis 15.000 Punkten. 

Lesen Sie auch: Warum ich Tesla-Aktien jetzt noch nicht mal mit der Kneifzange anfassen würde

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