Als echte Belastung für den Dax wird hingegen derzeit der robuste Euro empfunden. Dessen Entwicklung mag auf den ersten Blick verwundern, weil die EZB durch ihre expansive Geldpolitik eigentlich den Euro nach unten ziehen sollte.
Nun aber sind andere Groß-Währungen ins Wanken gekommen. Das britische Pfund Sterling ist mittlerweile auf den Stand von 2013 abgesunken– was übrigens ein deutliches Zeichen dafür ist, dass der Brexit sehr wohl tiefe Spuren an den Kapitalmärkten zieht und alles andere als ein Non-Event ist. Auch der US-Dollar ist angesichts der langsameren US-Entwicklung wieder etwas ins Hintertreffen gekommen.
Bisher sieht es danach aus, dass der Euro gegenüber dem Dollar weiterhin in der Bandbreite 1,05 bis 1,16 bleibt. Mit diesem Niveau können die europäischen Unternehmen gut leben, und es dürfte auch den Dax bei seiner aktuellen Korrektur kaum beeinträchtigen. Bemerkenswert aber ist dennoch, dass der Euro seit einiger Zeit mehr Stärke aufbaut, als der reine Blick auf die expansive Politik der EZB nahelegt.
Im Dax ist wie erwartet nach sieben Wochen Kletterpartie eine kurzfristige Korrektur angelaufen. Bisher hat das erste Unterstützungsniveau um 10.500 Punkte gehalten. Dennoch, da eine solche Korrektur nicht in vier oder fünf Tagen abgearbeitet sein dürfte, sondern in der Regel mindestens drei oder vier Wochen dauert, könnte der Dax noch in den nächsten Unterstützungsbereich gehen, der zwischen 10.400 und 10.100 liegt. Je langsamer der Dax in den nächsten Tagen dahin abdriftet, desto größer ist seine Chance, dass er von da aus dann im Herbst wieder nach oben dreht.
Mögliche Aufholjagd bei Linde
Linde wird zu einer schillernden Nummer im Dax. Seit vielen Monaten läuft die Aktie schlechter als der Gesamtmarkt und schlechter als Konkurrenten wie Air Liquide oder die amerikanische Praxair. Schon lange gärt es unter den Mächtigen bei Linde wegen dieser unbefriedigenden Entwicklung.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Linde unter den Dax-Werten eine Ausnahmestellung erarbeitet, die für kontinuierliches Wachstum, hohe Gewinnmargen und zuverlässige Kursgewinne stand. Diesen speziellen Linde-Spirit hat Wolfgang Reitzle in Reinform umgesetzt und verkörpert.
2006 hat Reitzle mit der Übernahme des britischen Konkurrenten BOC und mit der Konzentration auf das lukrative Industriegasegeschäft Linde entscheidend nach vorne gebracht. Jetzt könnte die Fusion mit der amerikanischen Praxair der Hebel dafür sein, wieder an die alte Qualität von Linde anzuknüpfen und zugleich die Marktführung in der Branche zu übernehmen.
Natürlich ginge eine so große Fusion nicht ohne Probleme durch. Es wird Widerstand von den Kartellbehörden geben, das dürfte zum Verkauf von Unternehmensteilen führen. Deshalb wird die neue Linde-Praxair, wenn sie denn kommt, auch nicht so groß sein wie die rechnerische Addition der bisherigen Umsätze.
Praxair doppelt so teuer bewertet wie Linde
Das Entscheidende für Linde-Aktionäre ist, dass Praxair derzeit, gemessen am Umsatz, etwa doppelt so teuer bewertet wird wie Linde. Kommt es also zu einem Zusammenschluss, bei dem die Amerikaner sicher nicht auf ihre hohe Bewertung verzichten wollen, bedeutet das automatisch eine Aufwertung von Linde-Anteilen. Und das wäre ja auch nicht ungerechtfertigt, denn bei der Fusion ist es wenig hilfreich, den derzeit schwächeren Geschäftsverlauf von Linde (der mit dem Anlagenbau zu tun hat) als Maßstab zu nehmen, sondern die langfristigen Möglichkeiten, die in dem Unternehmen stecken.
Es wäre sehr überraschend, wenn der Routinier Reitzle die gesamte Operation nicht dazu nutzen würde, sein Lebenswerk Linde wieder zu einer angemessenen Bewertung zurückzuführen. Jeder Anleger, der eine Linde-Aktie hat, profitiert von dieser Strategie – wenn sie denn aufgeht.