Die deutsche Wirtschaft ist im ersten Quartal um 0,7 Prozent gewachsen gegenüber 0,3 Prozent im direkten Vorquartal. Das ist eine bemerkenswerte Beschleunigung. Die Jahresrate liegt bei 1,6 Prozent. Das ist voll im Plan und für die Börsen kein schlechtes Umfeld.
Vier entscheidende Gründe gibt es für das Wachstum: Der stabile und lebhafte Konsum, die florierende Bauwirtschaft (hier half auch das Wetter), die Ausgaben für Flüchtlinge und die niedrige Arbeitslosigkeit. Zum Teil sind das Folgen der extrem niedrigen Zinsen; wenn man für sein Geld nichts mehr bekommt, fällt Konsumieren leicht.
Vergleicht man die allgemeine Wirtschaftsentwicklung mit den Zahlen, die von den Dax-Unternehmen hereingekommen sind, gibt es allerdings eine divergierende Entwicklung. Früher war die Metro der größte und klassische Konsumwert im Dax. Heute ist es noch am ehesten Beiersdorf, zum Teil auch Henkel. Beide profitieren vom robusten Konsum. Dominant im Index aber sind großen Exporteure – und da sieht es moderater aus.
Autobranche als Hemmschuh
Die zentrale Branche im Dax, die Autoindustrie, immerhin vertreten mit drei führenden Produzenten und einem Top-Zulieferer, hat zahlreiche Probleme. Reihum wird offensichtlich, dass VW keineswegs ein Monopol auf kreative Abgasgestaltung hat; wahrscheinlich haben alle Hersteller mehr oder weniger an bestimmten Schrauben gedreht. Das ist nicht nur aus rechtlichen und marketingtechnischen Gründen bedenklich. Das zeigt, an welche, Grenzen die Branche mittlerweile gestoßen ist.
Für Anleger heißt das: Die Gefahr ist groß, dass die zuletzt guten, auch in vielen Jahresabschlüssen 2015 gesehenen Zahlen, sich so nicht mehr fortschreiben lassen. An den Börsen ist dies der Grund dafür, dass Autoaktien trotz zum Teil günstiger Bewertung, hoher Dividende und keineswegs schwacher Bilanz nicht mehr auf Gegenliebe stoßen.
Die Umwälzungen der Branche kommen hinzu: Die Schwellenländer wachsen zwar noch, aber es gibt immer wieder Rückschläge – moderate bisher in China, schwere in Brasilien und Russland. Die Umstellung auf E-Mobilität findet in weitem Ausmaß außerhalb der klassischen Produzenten statt. Die Erfolgsgeschichte von Tesla ist nichts anderes als der offensichtliche Beweis, dass Daimler, BMW und Co. auf diesem Gebiet bisher schlichtweg versagt haben. Ganz abgesehen davon, dass sich die bisherigen Platzhirsche mit Adressen wie Apple oder Google herumschlagen müssen, womöglich als Juniorpartner. Innerhalb weniger Jahre ist die Autobranche von einer Ikone zu einer Industrie des vergangenen Jahrhunderts geworden; fast schon wie einst die Stahlindustrie.
Finanzen im Feuer, Hoffnungsträger Pharma und Gesundheit
Die Zeitenwende für die zentrale Industrie im Dax wirkt sich im Index umso stärker aus, da auch andere ehemalige Index-Größen verblichen sind: Die Energieindustrie hat in den vergangenen Jahren mehr als 100 Milliarden Euro Anlegergelder vernichtet. Bei den Banken bringen die beiden führenden Adressen der wichtigsten europäischen Volkswirtschaft, die Deutsche Bank und die Commerzbank, zusammen nicht viel mehr Börsenwert auf die Waage als der ehemalige Turnschuhhersteller Adidas (der aktuell zu den Überfliegern im Index zählt).
Und erwischt es jetzt wohl gar noch mit den Versicherern die nächste zentrale Branche im Dax? Von der Münchener Rück hat sich Warren Buffett frühzeitig verabschiedet, obwohl er über Jahrzehnte am Geschäft der Rückversicherungen festhielt. Die Münchener Rück fällt derzeit eher durch Krisenwarnungen auf als – wie früher – durch Contenance und Stille Reserven. Besser sieht es bei der Allianz aus: Hier scheint die neue Führung den Schwenk von der klassischen Lebensversicherung hin zu neuen Geschäftsfeldern trotz extrem ungünstiger Zinsen eher im Griff zu haben.
Chemie und Pharma: Interessante Mischung für Anleger
Man darf gespannt sein, wie sich die nächste wichtige Branche im Dax schlägt: die Chemie- und Pharmaindustrie. Grundsätzlich findet eine Aufspaltung statt, wie es sich gut an Bayer zeigt: einfache, klassische Chemie (Lanxess, Covestro) wird ausgegliedert, die vermeintlichen Perlen (Pharma) bleiben im Konzern. Immerhin, der Kampf um die Neustrukturierung (etwa die Hoffnung auf die Agrarchemie) hält für die Branche die Phantasie am Köcheln. So gesehen bieten Chemie und Pharma für Anleger derzeit eine interessante Mischung.
Ein Spezialfall sind die beiden Fresenius-Aktien. Das Unternehmen selbst rechnet sich nicht zur Pharma-Branche, sondern sieht sich im großen Trend Gesundheit. Das stimmt besonders für die Dachgesellschaft Fresenius SE dank breiterem Geschäft besser als für die auf Dialyse spezialisierte Fresenius Medical Care (die zuletzt aber immerhin durch höhere Gesundheitsleistungen in den USA nun auch wieder einen Gewinnanstieg geschafft hat).
Als Stabilisator für den Dax erweisen sich die Unternehmen, die zur Jahrtausendwende ihren Börsendurchbruch hatten, dann eine lange Reinigungskrise durchmachten, jetzt aber zu den weltweit führenden Unternehmen gehören: IT, Telekom, High-Tech. SAP, Infineon und die Telekom gehören mittlerweile im Dax zu festen Größen, die zudem wenig konjunkturempfindliche Gewinne liefern. Dass selbst Teile von Siemens hier zuzurechnen sind, spricht für die dauernde Wandlungsfähigkeit dieser Industrieikone.
Vergleicht man den Branchenmix im Dax mit der Aufteilung an anderen, großen Märkten, dann sind die Aussichten für Anleger mittelprächtig: Sie sind im Dax besser als im Euro Stoxx, der immer noch stark von angeschlagenen Finanzwerten und trägen Energiekonzernen belastet wird. Sie sind aber nicht so gut wie im Dow Jones, der von einem Mix starker Konsumwerte, führender Pharmaunternehmen und High-Tech-Ikonen gestützt wird – auch wenn bei letzteren vor allem Apple derzeit etwas außer Tritt geraten ist.
Dax-Spielraum bis 9500 Punkte, Dow robust, Nasdaq wacklig
Kurskorrektur im Dax ausloten, hieß an dieser Stelle vor einer Woche die Devise. Daran hat sich bis zur Stunde nichts geändert. Nachdem der Dax wieder unter die Marke von 10.000 gerutscht ist und den Aufwärtstrend von Februar bis Anfang Mai gebrochen hat, dürfte sich die laufende Korrektur fortsetzen. Es wird immer knapper, ob 9800 Punkte halten. Die nächste Auffangzone läge dann bei 9500. Vom Zeitfenster sieht es weiter so aus, als ob der Dax im Rahmen einer klassischen Korrektur vier bis sechs Wochen dafür in Anspruch nimmt. So gesehen könnte er Ende Mai bis Anfang Juni seine nächsten Tiefpunkte sehen.
In stärkerer Verfassung ist nach wie vor der Dow Jones, der sich mit einem Stand um 17.700 gut über der wichtigen Unterstützungszone um 17.200 hält. Allerdings ist der Nasdaq 100 schwächer, er ist schon unter die 200-Tage-Linie gerutscht. Das könnte ein Warnsignal sein, dass die US-Konjunktur vielleicht doch nicht so robust ist, wie bisher erwartet. Womöglich wird das erst offensichtlich, wenn die neue politische Führung zu ihrem Start dann Inventur macht.