Riedls Dax-Radar

Der Aktienmarkt im Bann des Diesel-Crashs

Kursverluste bei Autoaktien drücken den Dax, der starke Euro ist zusätzlich ein Risiko. Die Konsolidierung am deutschen Aktienmarkt geht weiter, auch wenn es interessante Einzelwerte gibt. Etwa die Allianz oder die Commerzbank.

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Kursverluste bei Autobauern: Der Markt im Diesel-Crash. Quelle: Getty Images

In deutschen Großstädten werden Fahrverbote für Dieselautos immer realistischer. Nach dem jüngsten Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart ist es nicht ausreichend, ältere Fahrzeuge einfach nachzurüsten. Das Gericht stellt den Schutz der Gesundheit über die Interessen der Dieselfahrer – und über die der großen Autokonzerne.

Auch wenn das Schicksal des Dieselmotors damit noch nicht besiegelt ist, so ist dies eine weitere, bitter Niederlage in der großen Rückzugsbewegung, in der sich der Selbstzünder befindet – und mit ihm seine großen Hersteller.

Mehr noch: Kurzfristig mag der Einbruch im Diesel-Geschäft, der sich bereits abzeichnet, im Gegenzug die Nachfrage nach Benzinern beschleunigen. Die gesamten Absatzzahlen von Daimler, BMW oder VW müssen deshalb nicht von heute auf morgen zusammensinken. Doch die Diskussion um Abgase und verbotene Absprachen unter den Herstellern geht weiter, sie wird nicht Halt machen an der Frage, ob Diesel oder Benzin verfeuert wird. Der Verbrennungsmotor insgesamt, der im Alltag hierzulande noch gefühlte 99,9 Prozent Anteil am Straßenverkehr hat, ist komplett infrage gestellt. Gerade weil er immer noch so dominiert, ist seine Fallhöhe umso gefährlicher.

Die Dax-Favoriten der Woche

Es gibt keine Volkswirtschaft weltweit, in der die klassische Fahrzeugindustrie mit Verbrennungsantrieb eine so große Rolle spielt wie in Deutschland. Genau das spiegelt sich an der Börse wider. In keinem großen Aktienindex spielen Autoaktien eine so große Rolle wie im Dax. Die vier großen Autowerte – Daimler, BMW, VW und Continental – machen derzeit immer noch ein Fünftel des Dax aus. In guten Autozeiten, bevor die Aktien massiv an Wert verloren haben, war es mehr als ein Viertel.

Der Fall Volkswagen als Menetekel der Branche

First Mover der Autokrise ist Volkswagen. Das Papier erlebte schon vor zwei Jahren, als der Dieselskandal begann, seine Halbierung. Wenn man von kurzfristigen Schwankungen absieht, hat der Kurs von VW seit damals sogar langsam wieder zugelegt. Das ist für die Börse klassisch, da sie in der Regel in einer scharfen Bewegung sofort vom Schlimmsten ausgeht (also im Fall VW von einer Fast-Pleite), und diese Ängste dann in den folgenden Monaten relativiert werden.

Bemerkenswert an VW ist, dass in dieser gesamten Erholungszeit der Aktie immer wieder neue, wirklich belastende Fakten auf den Tisch kamen. Bisher hat der Kurs darauf nur immer wieder mit vorübergehenden Rücksetzern reagiert. Allerdings: In den vergangenen Tagen hat sich die Entwicklung im Kurs zugespitzt.

Sichtbar ist das vor allem an der Entwicklung um das Niveau um 130 Euro für VW-Vorzugsaktien (die im Dax stecken). Seit zehn Jahren verläuft hier eine entscheidende Zone, die sich wie eine Achse durch den Chart zieht. Sollte diese Zone um 130 Euro unterschritten werden, könnte die VW-Aktie trotz der relativen Stabilität der vergangenen Monate nochmals einen weiteren, mehrmonatigen Kursverfall erleiden. Die Begleitmusik ist angestimmt: Gründe wären hohe juristische Belastungen aus dem Dieselskandal und negative Folgen für das operative Geschäft.

Und nun ist neben Audi auch noch Porsche in den Dieselskandal verwickelt.

Daimler sieht kritischer aus als BMW

An der Börse vollziehen Daimler-Aktien derzeit eine ähnliche Entwicklung wie BMW: Sie laufen seit Monaten schlechter als der Gesamtmarkt, obwohl beide bisher gute fundamentale Daten aufweisen.

Das hat sich nun mit der akuten Phase des Dieseldesasters geändert: Beide Aktien haben in den vergangenen Tagen mittelfristige Verkaufssignale gegeben. BMW beim Unterschreiten der Zone 82 bis 83 Euro, Daimler beim Durchfallen des Bereichs 64 bis 66 Euro. Solche Signale sind, vor allem in Kombination mit der desaströsen Nachrichtenlage, sehr ernst zu nehmen.

Daimler wird durch den Diesel besonders nach unten gezogen. Rund 60 Prozent der Mercedes-Fahrzeuge dürften einen Selbstzünder unter der Haube haben; dazu ist die Nutzfahrzeugflotte aus schweren Lastwagen, Transportern und Bussen naturgemäß mit Diesel motorisiert. Hier steht die Entwicklung hin zu neuen Antrieben erst am Anfang.

Die Aktien-Dauerbrenner der letzten 10 Jahre

Das zeigen Bekundungen von Städten, in Zukunft nur noch elektrisch betriebene Busse zu bestellen. Oder auch Offensiven wie die der Deutschen Post, die selbst in großem Stil elektronisch betriebene Transporter baut. Und natürlich durch den Tausendsassa der E-Mobilität, Elon Musk, der als neues großes Thema elektrisch betriebene Lastwagen und Busse angeht.

Auch BMW-Fahrzeuge werden in hohem Ausmaß von Dieselmotoren angetrieben. Doch BMW hat kein breites Nutzfahrzeuggeschäft mit Diesel am Bein und zudem mit dem i3 und dem i8 schon Stromer am Laufen – wenn auch nicht so prominent und zahlreich wie ursprünglich geplant. Außerdem gibt es Spekulationen, nach denen BMW auf technischem Gebiet nicht so tief im Dieselskandal verstrickt sein könnte wie Volkswagen oder Daimler.

Wenn unbedingt Autobranche, dann allenfalls Continental

Es ist gut möglich, dass sich Autoaktien zwischendurch immer wieder einmal erholen. Insgesamt aber mehren sich die Anzeichen, dass die aktuelle Krise den Bruch mit der bisherigen jahrzehntelangen Aufwärtsentwicklung darstellt. An der Börse ist ein solcher Shift in der Einstufung nicht in ein paar Wochen oder Monaten vorbei. Die letzte Branche im Dax, die es im Kern erwischt hat, waren die Versorger. Deren Aktien sind fünf Jahre lang gesunken – und ob sie jetzt die Wende schaffen, ist reine Spekulation.

Auch Conti-Aktien leiden unter der miesen Branchenstimmung, weil das Unternehmen einer der weltweit führenden Zulieferer ist. Und es ist gut möglich, dass Anleger hierbei befürchten, dass etwa bei dem in den vergangenen Jahren ausgebauten Technologiegeschäft um Verbrennung und Abgastechnik ebenfalls Probleme wie bei anderen Herstellen entstehen könnten. Der große Konkurrent Bosch soll Teil der Absprachen der Autobranche gewesen sein.

Zugute kommt der Conti-Aktie, dass das Unternehmen durch seine drei Säulen klassisches Reifengeschäft, Autotechnik und neue Mobilität für die Branche in einer sehr starken Position ist. Letztlich dürfte Continental zu den Gewinnern um die großen Trends autonome Mobilität und Digitalisierung im Verkehr zählen. Früher oder später sollte das auch der Aktie wieder auf die Beine helfen. In den nächsten Wochen wäre es gut, wenn der Conti-Kurs nicht unter die Bandbreite 180 bis 190 Euro rutscht.

Die Belastungen durch den Euro dürften zunehmen

Die zweite Hypothek, unter der deutsche Aktien derzeit leiden, ist der starke Euro. Mit fast 1,18 Dollar ist der Euro mittlerweile deutlich über die Schwankungsbreite der vergangenen zwei Jahre hinausgekommen. Die hohe Dynamik, mit der er kurzfristig immer wieder nach oben drängt, ist ein klassisches Zeichen für einen neuen Trend. Technisch stehen dahinter vor allem Auflösungen von Euro-Short-Engagements und neue Positionierungen aus dem Dollarraum.

Natürlich könnte der Euro nach vier Monaten steiler Kletterpartie erst einmal eine Pause einlegen. Auch die Entwicklung zum Yen, die ähnlich verlief, legt das nahe. Dennoch hat sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Euro mit der aktuellen Stärkedemonstration an seinem Comeback arbeitet. In den nächsten Jahren wären danach Notierungen zwischen 1,20 und 1,30 Dollar möglich.

Eine Katastrophe für den Dax wäre das nicht. Dennoch wird es in zahlreichen Unternehmensabteilungen und Analystenbüros deshalb neue Hochrechnungen geben, die zu neuen Prognosen führen. Das ist ein wesentlicher Grund, warum die international ausgerichteten Unternehmen im Dax derzeit unter Druck stehen – wozu natürlich besonders auch die Autowerte gehören. Auf der anderen Seite wird der klassische Euro-Gewinner Adidas zusätzlich zum eigenen Höhenflug noch befeuert.

Verkehrte Finanzwelt: Lieber Commerzbank als Deutsche Bank

Zu den wenigen Dax-Aktien, die aktuell im Aufwind sind, zählt die Commerzbank. Ihr operativer Fortschritt ist nicht atemberaubend, doch sie bietet für einen Börsenwert von 14 Milliarden Euro rund 500 Milliarden Euro Bilanzsumme, an die 18 Millionen Kunden und 1000 Filialen. Das ist, zumal in der größten Volkswirtschaft Europas, etwas wert. Und das sehen auch clevere Investoren wie Cerberus, der sich für fünf Prozent bei der Commerzbank eingekauft hat.

Ob der Finanzinvestor mehr will, ist offen. Bisher ist sein Investment nur 700 Millionen Euro stark. Die ganze Bank kann er nicht übernehmen, doch für mächtige Bewegungen kann er schon sorgen. Damit dürfte die Sanierung der Bank flotter weitergehen – letztlich mit dem Ziel, Werte zu heben. Der Bund als Großaktionär sieht das sicherlich gern. Immerhin bräuchte er mehr als eine Verdopplung des Kurses, damit er seinen einstigen Einsatz wiedersähe. Austeigen wird er jetzt sicher nicht. Auch Privatanleger können bei der CoBa am Ball bleiben.

Ein rentables Engagement ist die Allianz. Bei seinem Konzernumbau und der Digitalisierung kommt der Versicherungsriese besser voran als erwartet. Das operative Geschäft läuft gut, die Prognosen wurden soeben angehoben. Da die Aktie günstig bewertet ist und eine hohe Dividende bietet, wird sie auch von Großanlegern geschätzt. Das macht den Aufwärtstrend nachhaltig.

Eine Enttäuschung bleibt die Deutsche Bank. Dabei waren die Zahlen zum Halbjahr gar nicht so schlecht. Die Kostensenkungen kommen voran, das Kreditgeschäft ist im Laufen, neue hohe Belastungen durch juristische Auseinandersetzungen sind nicht absehbar. Dass die Erholung allerdings nur so langsam vorankommt, hat an der Börse enttäuscht und zusammen mit den verhaltenen Prognosen zu dem jüngsten Kursrutsch geführt.

Eine weitere Belastung ist der chinesische Großaktionär der Deutschen Bank, das Firmenimperium HNA, der ins Visier der Aufseher gekommen ist. Sollte HNA plötzlich Liquidität brauchen, wäre auch ein Ausstieg aus der Deutschen Bank möglich. So schnell, wie HNA gekommen ist, kann er auch wieder gehen. Die Unsicherheit darüber und die zähe operative Entwicklung machen die Deutsche Bank zu einer Geduldsprobe für Anleger.

Fazit für die Gesamtentwicklung im Dax: Die seit einigen Wochen laufende Korrektur geht weiter. Die Durchschnittslinie der vergangenen 100 Tage hat der Dax nach unten durchschlagen; der 200-Tage-Durchschnitt, der aktuell bei 11.830 Punkten verläuft und noch stabil nach oben zeigt, könnte in den nächsten Tagen erreicht werden. Im Bereich um 12.000 läge dann die nächste Zielzone. Spätestens dann sollte eine Erholung um einige hundert Punkte möglich sein. Dafür sprechen die Stabilität der taktgebenden US-Börsen, und die Chance, dass es im Steigflug des Euro zumindest eine vorübergehende Pause gibt. Dennoch: Insgesamt tun Anleger derzeit gut daran, lieber etwas vorsichtiger zu sein. Das Risiko schneller Kursverluste ist derzeit wesentlich größer als die Gefahr, dass Aktienkurse nach oben davonlaufen.

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