Riedls Dax-Radar

Der Börse droht eine neue Zitterpartie

In den nächsten Wochen sollte der Dax wieder über die Marke von 10.000 Punkten klettern. Schafft er das nicht, wäre das ein gefährliches Vorzeichen für den kritischen Monat September.

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Quelle: dpa

Der Brexit war an den Börsen ein Non-Event – an den amerikanischen. Der Dow Jones hat mittlerweile das Niveau wieder erreicht, das er vor dem Briten-Schock hatte. Auch der Nasdaq-Index hat sich erholt, wenngleich Technologiewerte seit einigen Monaten schwächer im Markt liegen.

Klassische US-Aktien, von AT&T (im S&P 100) bis Walmart, von Coca-Cola bis Exxon, sind derzeit interessanter als Apple und Microsoft.

Dennoch, spurlos geht die europäische Krise an der amerikanischen Wirtschaft nicht vorüber. Die USA hat kein Interesse an einem maroden Europa, das sich gegenseitig zerlegt. Die USA braucht ein starkes Europa als politischen Gegenpol zu Russland – dann können sich die Amerikaner in Ruhe auf ihre pazifische Schwerpunktregion konzentrieren. Und als Handelspartner profitieren sie ohnehin mehr von einem starken Europa.

So sähen Kaufkurse für die 30 Dax-Aktien aus

Zudem haben die Amerikaner nichts gegen einen stabilen Euro. Im Gegenteil: Eine latente Aufwertung des Dollars gefällt ihnen auf Dauer überhaupt nicht. Erst recht, seitdem das Pfund Sterling abstürzt. Der dramatische Verfall dieser klassischen Währung ist eine schwere Hypothek für die amerikanisch-britischen Wirtschaftsbeziehungen, die seit jeher ausgesprochen intensiv sind.

Bei 17.900 Punkten ist der Dow Jones insgesamt in einer robusten Verfassung, deutlich oberhalb der 200-Tage-Linie. Die gesamten Kursschwankungen seit 2014, die von Pessimisten gern als obere Wende interpretiert werden, sind bisher nichts anderes als eine große, klassische Konsolidierung in einem langfristigen Aufwärtstrend.

Diese Aktien brechen Rekorde – im Guten wie im Schlechten

Ein erstes Kaufsignal gab es im Frühjahr beim Anstieg über 17.600 Punkten. Die Kursschwankungen der vergangenen Wochen waren darauf eine Rückreaktion und Bestätigung. Bei einem Anstieg über 18.000 ergäbe sich ein weiteres Kaufsignal. Die Chancen, dass dies noch im zweiten Halbjahr gelingt, stehen 60 zu 40.

Der Dax kann die US-Stärke gut gebrauchen. Sie ist einer der zentralen Gründe, warum die große Absturzgefahr an den europäischen Börsen derzeit nicht besteht. Eine Baisse in Europa ohne Baisse an Wall Street ist weiterhin undenkbar.

Den Briten-Schock haben europäische Aktien noch nicht ausgeglichen

Dennoch, den Brexit haben weder der Dax noch der Euro Stoxx bisher ausgeglichen. Wer meint, es handle sich nur um eine politische und damit kurzlebige Erscheinung, verkennt die Dramatik der aktuellen Lage. Schon im April hatte der Dax einen Kletterversuch gestartet, der aber misslang. Dafür hätte dann Ende Mai der zweite Anstieg gelingen müssen. Doch dieser zweite Versuch wurde durch die Brexit-Turbulenzen zunichte gemacht.

Bisher hat der Dax nicht einmal das Brexit-Gap (also den ersten Schock nach der Abstimmung) geschlossen. Dazu müsste er bis auf 10.200 Punkte steigen. Erst dann kann man darüber diskutieren, ob der Brexit an der Börse überwunden sei oder nicht. Aktuell hat der Dax nicht einmal den unteren Rand dieses Gap erreicht.

Wo die großen Brexit-Baustellen sind

Ein Blick auf die Einzelwerte zeigt den Grund der Schwäche. Nur acht von 30 Aktien des Dax notieren derzeit oberhalb ihrer 200-Tage-Linie. Das ist stabile Abwärtstendenz. Und diese acht sind zudem die üblichen Defensivkandidaten: Adidas, Beiersdorf, Fresenius, FMC Merck, Vonovia und (etwas näher an der Konjunktur) Henkel und Infineon. Die tragenden Trendpapiere im Dax (Allianz, Daimler, BASF oder Bayer) sind dagegen weiter angeschlagen und verlaufen in kurz- bis mittelfristigen Abwärtsbewegungen.

Gefährliche Stärke der Krisenbarometer Dollar, Gold und Bund

Weitere Warnungen kommen hinzu. Noch im Mai bewegte sich der Euro im oberen Bereich der Bandbreite zum Dollar, die seit eineinhalb Jahren zwischen 1,06 und 1,16 Dollar verläuft. Diese Nähe zu 1,16 Dollar wäre eine wichtige Voraussetzung dafür gewesen, dass der Euro nach seinem dramatischen 2014er-Verfall (immerhin von 1,40 auf 1,05 Dollar, das sind 25 Prozent Währungsabwertung) eine partielle Erholung gestartet hätte – vielleicht bis in den Bereich 1,20/1,25 Dollar. Dieses ausgeglichene Niveau, mit dem sowohl die europäische als auch die amerikanische Wirtschaft hätte leben können, ist mit dem Brexit in weite Ferne gerückt.

Diese Aktien fahren Achterbahn

Das zweite Krisenbarometer, das anschlägt, ist der Goldpreis. Mit plus 30 Prozent seit Jahresanfang erlebt Gold derzeit die stärkste Phase seit der Jubelhausse 2011. Aus technischer Sicht dürfte zwar im Bereich 1350 bis 1400 Dollar eine Konsolidierung einsetzen, dennoch zeigt die wiedererwachte Dynamik generell nach oben. Weder die Ukraine-Krise noch die Diskussion um Griechenland hatte solche Auswirkungen auf den Goldpreis.

Anleger flüchten in Gold, Tabak und Alkohol

Die dritte Krisenkurve, den Bund Future, hat der Brexit auf ein All-Time-High katapultiert. Im Gegenzug sind die Zinsen noch weiter in den negativen Bereich gerutscht. In der Umlaufrendite wurden in der Spitze bisher minus 0,29 Prozent erreicht. Wirtschaftlich gerechtfertigte Zinsen, die man derzeit vielleicht zwischen ein bis drei Prozent verorten könnte, sind auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Nach klassischer Sicht werden damit gefährliche Fehlallokationen provoziert, die wiederum in die nächste Krise führen. Das Zittern am britischen Immobilienmarkt und der Crash britischer Immo-Aktien ist darauf ein Vorgeschmack.

Fazit zum Dax: Wenn keine größeren politischen Negativnachrichten dazwischenkommen, sollte der Dax den Versuch starten, das Brexit-Gap zu schließen. Im ersten Anlauf könnte er dabei in den nächsten Tagen bis auf 9800 Punkte kommen. Sollte er das nicht schaffen, wäre das ein schlechtes Vorzeichen für die gefährlichen Monate August und September. Ein Rutsch unter 9200 Punkte könnte schnell einen Absturz bis 8700 zufolge haben – und dann geht es darum, ob der ganz große Trend hält.

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