Riedls Dax-Radar
US-Präsident Joe Biden plant ein zwei Billionen Dollar schweres Programm zur Modernisierung und Erneuerung der maroden und überalterten Infrastruktur. Quelle: imago images

Die großen Gewinner des US-Konjunktur-Programms

Mit massiven Konjunkturhilfen will Präsident Joe Biden die US-Wirtschaft in Fahrt bringen. Dax-Unternehmen dürfen auf Extraaufträge hoffen – und Anleger auf steigende Kurse. 

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In Amerika startet das größte Konjunkturprogramm seit Jahrzehnten. Mehr als zwei Billionen Dollar sollen in die Infrastruktur fließen, in Straßen, Schienen, Flughäfen, Stromleitungen, Wasserversorgung, Internetbandbreite und erneuerbare Energien. Auch wenn Biden von einem Plan für amerikanische Jobs spricht, werden davon zahlreiche deutsche Unternehmen profitieren – vor allem, wenn sie bisher schon ein umfangreiches US-Geschäft mit einer Produktion vor Ort haben. 

Zu den Biden-Gewinnern im Dax zählt Index-Neuling Siemens Energy. Das Unternehmen machte im vergangenen Jahr 6,5 Milliarden Dollar Umsatz allein in den USA, das ist ein Fünftel des gesamten Konzernumsatzes und mehr als doppelt soviel wie in Deutschland. In den USA ist Siemens Energy mit 20 eigenen Tochtergesellschaften vertreten – von Advanced Airfoil Components bis zu Wind Portfolio Memberco.

Im vergangenen Jahr holte Siemens Energy nur noch 14 Prozent der Aufträge aus den USA herein. Das aber heißt: Siemens Energy kann in diesem Jahr aus den USA nicht nur einen üblichen, konjunkturellen Nachholeffekt erwarten, sondern durch Bidens Programm einen Extraschub. Dass Vorstand und Arbeitsdirektor Tim Holt aus Orlando, Florida, in der Kraftwerkssparte und bei erneuerbaren Energien seit vielen Jahren führend tätig ist, sollte dazu beitragen, dass Siemens Energy bei seinen geplanten Stellenkürzungen in den USA mit Fingerspitzengefühl vorgeht – sicherlich nicht zum Schaden der Neuaufträge.

Auch Mutterkonzern Siemens selbst ist stark in den USA und erzielt hier 23 Prozent seines Umsatzes. Auch hier sind die Neuaufträge zuletzt stark zurückgegangen, womit durch Bidens Konjunkturschub nun die Chance auf eine Gegenbewegung besteht. 

RWE: US-Markt als Sprungbrett für die erneuerbare Wende

Wenn es um den Ausbau neuer Energie geht, zählt RWE mittlerweile zu den ersten Adressen. Die Essener haben im vergangenen Jahr allein in den USA vier große Festland-Windparks mit einer Gesamtleistung von 719 Megawatt kommerziell in Betrieb genommen – in Texas, Oklahoma, Ohio und im Bundesstaat New York. RWE verdreifachte damit in den USA seine Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen auf 9,3 Gigawattstunden. RWE produziert so ein Drittel seiner gesamten erneuerbaren Energie in den Vereinigten Staaten; allerdings mit neuen Risiken: Im Februar hatte ein heftiger Eisregen zu einer vorübergehenden Stilllegung der Anlagen in Texas geführt. Das wird den Gewinn aus den USA im ersten Quartal deutlich drücken. 

Für 2021 insgesamt sind die Aussichten von RWE aber gut. Besonders profitiert das Unternehmen von den Förderprogrammen für erneuerbare Energien. So erhalten etwa Neuanlagen, mit deren Bau 2021 oder 2022 begonnen wird, eine Steuergutschrift in Höhe von 26 Prozent der Investitionssumme, bei Offshore-Projekten sind es sogar 30 Prozent. 

Die Aufbruchsstimmung in den USA und die Wende hin zu alternativen Energien ist ein doppelter Vorteil für RWE-Aktien. Dass die Anteile heute schon zu einem Viertel im Besitz von Investoren aus den USA und Kanada sind, dürfte dabei sicherlich kein Nachteil sein. 

Linde: Weltmarktführer mit rentablem Wasserstoffgeschäft

Zu den Dax-Unternehmen, die besonders eng mit den USA verbunden sind, gehört Linde – erst recht, seitdem das bayerische Unternehmen mit dem amerikanischen Konkurrenten Praxair verschmolzen wurde und die Aktie einen Doppelnotierung hat, an der deutschen Börse und in New York. Ein Drittel des Geschäftsvolumen von Linde entfällt auf die USA. Darin steckt vor allem das klassische Geschäft von Praxair, das zuletzt besonders durch die Nachfrage bei medizinischen Gasen beflügelt wurde. Die operative Rendite ist hier deutlich höher als im Konzerndurchschnitt. 

Im Zuge der von Präsident Biden angeschobenen Energiewende in den USA wird vor allem der Zukunftsmarkt Wasserstoff immer wichtiger. 
Linde hat als großes Projekt die Produktion von grünem Wasserstoff im kalifornischen Ontario begonnen. Das Unternehmen will damit soviel grünen Wasserstoff herstellen, dass 1600 Fahrzeuge jeden Tag betrieben werden könnten. 

Der Schub für Linde durch das Biden-Programm ist zweifach: Zum einen wird sich eine massive Erholung der US-Konjunktur direkt in dem hier umfangreichen und schon bisher sehr rentablen Geschäft niederschlagen; zum zweiten wird dabei das Thema Wasserstoff unter Investoren für besondere Fantasie sorgen und langfristig auch für reale Gewinne. Schon heute erzielt Linde mehr als zehn Prozent seines Umsatzes mit Wasserstoff. 

HeidelbergCement, Telekom und Daimler kommen zum Zug

HeidelbergCement: Beton, Baustoffe und schwimmende Brücken 

Die Heidelberger sind seit 1977 mit dem Kauf von Lehigh Cement in den Vereinigten Staaten direkt vertreten. Lehigh ist mit seiner Gründung 1897 in Pennsylvania ein uramerikanisches Unternehmen. Durch die Übernahmen von Hanson und Italcementi kam weiteres US-Geschäft hinzu, vor allem der bekannte amerikanische Zementhersteller Essroc. Heute betreiben die Heidelberger allein 13 Zementwerke in den USA und mehr als 300 kleinere Produktionsstätten für Zuschlagstoffe, Transportbeton sowie zahlreiche Zementterminals. 

Mit Heidelberger Zement und Baustoffen wurden in den vergangenen Jahren Großprojekte wie die sechsspurige, 2,4 Kilometer lange Schwimmbrücke über den Lake Washington gebaut oder die Ohio-Brücken in Louisville, Kentucky. Für das Nordamerikageschäft der Heidelberger ist Vorstand Chris Ward zuständig, geboren in Fargo im US-Bundesstaat North Dakota.

Im vergangenen Jahr ging der Umsatz der Heidelberger in Nordamerika um 3,4 Prozent auf 4,8 Milliarden Euro zurück. Das ist immer noch fast ein Drittel des gesamten Konzerngeschäftsvolumens. Dank seiner starken Marktposition auf dem US-Baumarkt und der Langfristigkeit besonders großer Bauprojekte dürfte HeidelbergCement in den nächsten Jahren einer der größten Gewinner der amerikanischen Infrastrukturprogramme sein. 

Telekom und Daimler: Neue Verbindungen und klassische US-Marken

Schon seit einigen Wochen auffallend dynamisch entwickeln sich die Aktien der Deutschen Telekom. Das ist vor allem auf den Erfolg des amerikanischen Ablegers T-Mobile US zurückzuführen. Der hatte nach langem Hin und Her im vergangenen Jahr den kleineren Rivalen Sprint übernehmen dürfen. 2020 stieg der Umsatz deshalb in den USA um 52 Prozent auf 68 Milliarden Dollar. Allein im vierten Quartal kamen mehr als 820.000 neue Telefonverträge dazu. 

Besonders beflügelt wird die Telekom durch den weiteren Ausbau der schnellen 5G-Technik, die im Mittelpunkt der neuen Kommunikationsinfrastruktur steht. Schon jetzt ist T-Mobile US mit seinem 5G-Netz weiter als die großen Konkurrenten Verizon und AT&T. Kurzfristig mag das wegen hoher Investitionen den Gewinn etwas drücken; langfristig steckt darin für die Telekom eine enorme Chance. 

Daimler erzielt allein in den USA 24 Prozent seines gesamten Konzernumsatzes. Diese starke Stellung ist vor allem auf die Truck-Sparte zurückzuführen. Im vergangenen Jahr verkaufte Daimler in Nordamerika 139.400 Trucks, fast doppelt soviel wie in der gesamten EU. Schon eine normale wirtschaftliche Erholung könnte die Verkaufszahlen wieder in Richtung des bisherigen Rekordabsatzes führen, der bei rund 200.000 Trucks lag. Daimler Trucks North America ist nicht nur der größte Hersteller von Schwerlastfahrzeugen in Nordamerika, Daimler ist hier zudem auch mit typischen amerikanischen Marken wie Freightliner, Western Star und - bei Omnibussen - Thomas Built Buses unterwegs. Eine besondere Chance liegt im Ausbau neuer, umweltfreundlicher Antriebstechniken. Mit dem führenden amerikanischen Motorenhersteller Cummins hat Daimler gerade eine neue strategische Partnerschaft geschlossen. 

Fazit für den Dax: Wenn es Präsident Biden gelingt, die Konjunktur in Amerika durch mehrere Billionen Dollar dauerhaft in Fahrt zu bringen, werden im Dax Unternehmen wie Siemens Energy, RWE, oder HeidelbergCement zu den direkten Gewinnern gehören. Indirekt werden darüber hinaus aber praktisch alle Dax-Werte profitieren: Wenn sich das amerikanische Gesundheitssystem erholt, wird das besonders die Unternehmen der Fresenius-Gruppe oder Pharmakonzern Merck beflügeln. BMW wird mit seinem riesigen Werk in Spartanburg in South Carolina Rückenwind von einer stärkeren Autokonjunktur bekommen, Henkel mit seinem umfangreiche Waschmittelgeschäft in den USA vom Konsumklima beflügelt.

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Dem Dax gelang im Zuge der neuen Konjunkturhoffnungen der Sprung über die Marke von 15.000 Punkten. Dieser Anstieg ist umso bemerkenswerter, weil es am Anleihemarkt außer kurzfristigen Rücksetzern noch nicht zu einer Entspannung gekommen ist. Dass die Märkte derzeit die Chancen der Konjunktur höher einschätzen als die Risiken weiter steigender Zinsen, lässt sich durchaus als positives Signal interpretieren. 

Mehr zum Thema: Vermögensverwalter richten die Portfolios ihrer Kunden auf höhere Inflation aus. Privatanleger können es den Profis nachmachen. Teil 3 unserer Serie zu Börsenstrategien.

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