Riedls Dax-Radar Die unheimliche Stärke des deutschen Aktienmarkts

Wie lange hält die unheimliche Stärke Deutscher Aktien? Quelle: imago images

Die Korrektur im Dax hat begonnen. Einen Indexabsturz aber sollten robuste Einzelwerte verhindern. Sogar eine neue Anstiegsphase zeichnet schon ab.

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Bei einem Stand von 15.800 Punkten notiert der Dax nur drei Prozent unter seinem Allzeithoch, das er am 5. Januar 2022 bei 16.272 Zählern markiert hat. Das ist eine bemerkenswerte Stabilität des deutschen Aktienmarkts angesichts der zahlreichen schwerwiegenden Bedrohungen, mit denen die weltweiten Börsen derzeit leben müssen:

  • Die Inflation hat sich zwar aus zweistelligen Regionen wieder zurückentwickelt, ist aber nun im mittleren Bereich zwischen fünf und sieben Prozent Preissteigerung ziemlich hartnäckig. Neue Preisschübe bei Rohstoffen, Folgeerscheinungen wie etwa heftige Lohnerhöhungen dürften es kaum möglich machen, mittelfristig wieder zu den Inflationsraten aus der Zeit vor der großen Teuerungswelle zurückzukommen. Die gern anvisierten zwei Prozent dürften auf absehbare Zeit ein Wunschziel bleiben. 
  • Die Zinserhöhungen der Notenbanken, die nun sowohl die amerikanische Fed als auch die EZB wiederum durchgezogen haben, stellen in ihrer Reihe die stärkste geldpolitische Straffung seit vielen Jahrzehnten dar. Dazu kommt, nun auch von der EZB mit ungewohnter Konsequenz, der Abbau der Notenbankbilanz, mit der die Währungshüter Liquidität aus dem Markt nehmen. Auch wenn die Entschiedenheit der Notenbanken durchaus begrüßt wird, treten jetzt immer mehr Nebenwirkungen auf. 
  • Eine Bankenkrise hat als direkte Folge massiver Zinserhöhungen begonnen; vor allem bei kleineren und zunehmend auch mittleren Geldinstituten in Amerika, die durch ihre Spezialisierung oder Geschäftspolitik besonders anfällig sind gegen schnelle Zinserhöhungen. Das Problem für die Märkte und die Konjunktur ist dabei weniger die Tatsache, dass nun einige Institute untergehen oder aufgefangen werden müssen. Die eigentliche Gefahr besteht in der generellen Vertrauenskrise, die selbst die großen Finanzadressen zu spüren bekommen: In Amerika sind nicht nur die Aktien von Regionalbanken im Abwärtstrend; auch die Titel der Branchengrößen von Goldman Sachs bis JP Morgan sind gedämpft. Im Dax stehen die Notierungen von Deutscher Bank und Commerzbank unter Druck, obwohl deren operative Entwicklung derzeit keineswegs nach Bankenkrise aussieht. 
  • Die Rezessionsgefahr nimmt wieder zu. Hatte es zwischenzeitlich danach ausgesehen, dass der schon im vergangenen Jahr befürchtete schwere Wirtschaftsabschwung gar nicht eintritt, so verdüstern sich nun wieder die Aussichten: Die einstigen Konjunkturlokomotiven Amerika und China verlieren an Dampf. In Deutschland ist der Auftragseingang in der Industrie im März so stark eingebrochen wie zuletzt in der Coronakrise. Höhere Zinsen hinterlassen tiefe Spuren an den Immobilienmärkten, machen Ausleihungen teuer und hemmen die Vergabe neuer Kredite. Wertverluste bei Anleihen und Immobilien, dazu hohe Preissteigerungen bei alltäglichen Artikeln und Waren bremsen zunehmend den Konsum, der besonders in Amerika essenziell für den Konjunkturverlauf ist. 
  • Die geopolitischen Krisen, vor allem der Krieg in der Ukraine und die Spannungen westlicher Industrieländer mit China, haben zwar an den Börsen nach mehr als einem Jahr Dauer zu einem Gewöhnungseffekt geführt. Es besteht derzeit aber kaum die Aussicht auf eine substanzielle Lösung. Mehr noch: Eine Eskalation, etwa um die Insel Taiwan oder um den Einsatz nuklearer Waffen in Europa, ist keineswegs vom Tisch. Und wirtschaftlich entstehen nach den ersten Preisschocks bei Rohstoffen und Lieferschwierigkeiten nun neue Probleme: Der Welthandel, vor allem nach und von Asien, bricht ein. Große Logistiker wie die dänische MöllerMaersk oder im Dax die Deutsche Post, wichtige Frühindikatoren der Konjunktur, bekommen das hautnah zu spüren. Technologieunternehmen wie Infineon, die bisher abhängig von asiatischen Märkten waren (sowohl auf der Kundenseite als auch von Zulieferern) switchen schrittweise auf Europa um. Die Auto- und Chemieunternehmen im Dax, die allesamt massiv auf China setzen, sind weder Willens noch in der Lage, einen so fundamentalen Richtungswechsel auf absehbare Zeit vorzunehmen. Und Sportartikler Adidas etwa, der nach dem Absturz der vergangenen Jahre derzeit um sein Comeback kämpft und im ersten Quartal bei stabilen Umsätzen einen massiven Rückgang seiner Marge verkraften musste, will durch neue Produktlinien und neue Fertigungen sein China-Geschäft auch noch deutlich ausbauen. 

Viele Erfolgsgeschichten stützen den Dax 

Dass der Dax trotz dieser gravierenden Probleme fast am Allzeithoch notiert, ist ein Zeichen innerer Stärke des Aktienmarkts. „Innere Stärke“ bedeutet hier, dass die Einzelwerte des Dax, also letztlich die Unternehmen, nach der Einschätzung des Marktes durchaus einen Weg gefunden haben, mit diesen Problemen zu leben. Doch sind die Einzelwerte im Dax wirklich so stark und rechtfertigen dies damit einen Kursanstieg von mehr als 30 Prozent allein seit Oktober?

Der Dax profitiert derzeit davon, dass Einzelwerte wie die Deutsche Telekom, Allianz, Münchener Rück, Beiersdorf, Deutsche Börse AG, Rheinmetall, und selbst Siemens nahe an ihren jeweiligen Höchstkurs sind oder sogar auf neues Terrain vorstoßen (bei Telekom und Allianz ist hier die ungewöhnlich starke Entwicklung zur Jahrtausendwende ausgeklammert).

Die Assekuranzen werden beflügelt vom wachsenden Bedarf an Absicherung in einer zunehmend unsicheren Welt – erst Recht in einer Zeit, in der andere Finanzwerte wie die Banken ins Straucheln geraten. Telekom und Rheinmetall sind mit ihren Geschäften typische Krisengewinner – einmal defensiv und einmal offensiv. Siemens gelingt nach mehreren Anläufen nun zunehmend die Entwicklung vom traditionellen Elektrokonzern hin zum digitalen Hightech-Unternehmen. Beiersdorf ist eine Erfolgsgeschichte um die Transformation einer klassischen Marke wie Niveau in die Moderne. Und die Deutsche Börse hat ein geradezu genial-stabiles Geschäftsmodell entwickelt, das immer auf der Gewinnerseite ist, egal, ob Aktien, Anleihen, Zinsen oder Strompreise nun einmal steigen oder fallen. 

Dazu läuft bei mehreren führenden Aktien eine große Aufholjagd: Bei SAP wird nun endlich die Entwicklung hin zum Cloudgeschäft auch an den Börsen honoriert. Infineon findet mit seiner Erfolgsgeschichte bei Halbleitern für E-Mobilität und neuen Energien Anschluss an die international hohe Bewertung der Chipaktien. E.On und RWE, beide von der säkularen Aufwertung des Energieträgers Strom angeschoben, setzen ungebrochen ihre mehrjährige Erholung nach dem anfänglichem Desaster der Energiewende fort. 

Selbst die Autowerte BMW und Mercedes-Benz sind auf gutem Kurs. Der Verlauf des operativen Geschäfts im ersten Quartal ist bei beiden stabil. Und das dezidierte China-Risiko beider Unternehmen, die sogar via Beteiligungen mit China verbunden sind, sollte durch die ungewöhnlich niedrige analytische Bewertung der Aktien (mit Blick auf Umsatz, Gewinn und Eigenkapital) weitgehend verarbeitet sein.

Fazit für den Dax: Die jüngsten Zinserhöhungen der Notenbanken fielen wie erwartet aus. Sowohl die amerikanische Fed als auch die EZB dürften es angesichts partieller Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung, virulenter Bankenprobleme und steigender Rezessionsgefahr vorerst auf diesem Erhöhungsniveau belassen. Zudem wird durch die Verkürzung der Notenbankbilanzen ohnehin kräftig Liquidität abgeschöpft – und das nun auch in Europa. 

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von Martin Gerth, Matthias Hohensee

Nach einer Pause bei den Zinserhöhungen gleich wieder auf eine Senkung der Renditen zu setzten, dürfte verfrüht sein. Bei der Fed, die dabei den Takt vorgibt, dauerten Plateauphasen der Geldpolitik in den vergangenen Jahrzehnten jeweils viele Monate. Ausgeschlossen ist es natürlich nicht, dass die Notenbanken etwa bei einer akuten Verschärfung der Bankenprobleme und der echten Gefahr einer neuen Finanzkrise notfalls auch schneller wieder den Hebel auf Expansion umlegen. Das wahrscheinliche Szenario für die nächsten Monate aber ist das nicht. 

Nach sechs Wochen steigender Kurse, von Mitte März bis Ende April, dürfte der Dax die erwartete Korrektur mittlerweile begonnen haben. Die nächsten Unterstützungen liegen im Bereich 15.600 bis 15.200 Punkte, dann in der Zone 15.000 bis 14.700 Punkten. Die 200-Tagelinie, die derzeit bei 14.229 verläuft und stabil nach oben zieht, dürfte bis Juni den Bereich um 14.500 erreichen; auch auf diesem Niveau gibt es seit Januar 2022 eine Reihe mittelfristiger Hochpunkte, die sich in den nächsten Wochen und Monaten als mögliche Unterstützungen erweisen können. 

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Insgesamt hat der Dax damit in den nächsten Wochen die Chance auf eine moderate Korrektur, der dann - nach einem klassischen Sechswochen-Zyklus - womöglich noch im Juni wieder eine neue Anstiegsphase folgen könnte. 

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