Riedls Dax-Radar
Quelle: Getty Images

Drohender Zinsanstieg lässt die Börse kalt – vorerst

Starke Zahlen führender Unternehmen wie Daimler und SAP beflügeln die Börse; das Risiko weiter steigender Zinsen hat vorerst seinen Schrecken verloren. Im Dax sind trotz fortgeschrittener Rally noch Zugewinne in Sicht.

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Die konjunkturelle Erholung in den führenden Wirtschaftsräumen gewinnt an Fahrt. In China war der Anstieg im ersten Quartal so heftig wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. In den USA rechnet Notenbankchef Jerome Powell damit, dass Wachstum und Beschäftigung in den nächsten Monaten „sehr stark“ zunähmen und Vollbeschäftigung eher als erwartet erreicht werden könne. Auch die Teuerung werde zunehmen. 

An ihrer expansiven Geldpolitik wolle die Fed aber bis auf weiteres nichts ändern – erst ein stärkeres Überschießen der Inflation über die Marke von zwei Prozent hinaus könnte die Notenbank zu einer Justierung veranlassen. „Wir wollen nicht, dass die Inflation erheblich über zwei Prozent hinausgeht, wir wollen nicht zurück zu den schlechten, alten Inflationszeiten“, so Powell bei seiner jüngsten Einschätzung der US-Konjunktur. 

Dass die Anleihemärkte auf diese Äußerung von Powell, in der durchaus der Hinweis auf eine früher oder später einsetzende Zinswende steckt, nicht mit einer Verkaufswelle reagiert haben, ist bemerkenswert. Sogar das Gegenteil ist derzeit der Fall: Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen ist von der Spitze bei 1,75 Prozent in den vergangenen Tagen bis auf 1,53 Prozent abgebröckelt. Aktuell liegt sie bei knapp 1,6 Prozent. 

Die jüngste Entspannung auf der Zinsseite ist eine Marktreaktion nach dem klassischen Muster buy the rumors, sell the facts. Was sich derzeit in den Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung und in den aktuellen Bewertungen der Notenbanken bestätigt, haben die Märkte in den vergangenen Monaten durch ihren schnellen Zinsanstieg schon vorweggenommen. 

Nun geht es darum, wie lange die aktuelle Schaukelphase anhält und welche Richtung die Märkte danach einschlagen. Das letzte Mal, als die US-Zinsen im Bereich zwischen 1,4 Prozent bis knapp 2,0 Prozent pendelten, war von August bis Dezember 2019. Die Korrekturphase dauerte damals vier Monate. Der Zinskonsolidierung vom Herbst 2019 folgte dann 2020 wieder eine zweite, hochdynamische Phase. Dabei setzten die Renditen ihre ursprüngliche Richtung, die damals nach unten zeigte, wieder fort und erreichten im Sommer 2020 ihr bisheriges Tief bei 0,51 Prozent.

Übertragen auf die aktuelle Situation könnte das weitere Zinsszenario damit etwa wie folgt aussehen: Nach dem langsamen Zinsanstieg von 0,5 auf 1,0 Prozent und der dynamischen Phase von 1,0 auf knapp 1,8 Prozent kommt es zunächst zu einer Schaukelpartie zwischen 1,4 und 1,8 Prozent, die womöglich noch bis Mitte des Jahres anhalten könnte. 

Ein danach folgender Abschwung der Renditen aber wird immer unwahrscheinlicher. Dagegen spricht nicht nur die konjunkturelle Erholung und die zunehmende Teuerung, sondern auch die Entwicklung an den Rohstoffmärkten. Hier zeigen die entscheidenden Preiskurven für Rohöl und Kupfer schon jetzt deutliche Tendenzen, nach einer Pause ihre große Aufwärtsbewegung fortzusetzen. 

So gesehen könnten die US-Renditen nach der aktuellen Konsolidierung zunächst die Marke um 2,0 Prozent anlaufen. Da es in diesem Bereich seit der Finanzkrise von 2009 mehrmals zu kurzfristigen Wendepunkten oder Korrekturen kam, könnten die Renditen auch jetzt wieder zunächst um die Zwei-Prozent-Marke etwas pendeln. Danach ist dann eine weitere, wiederum dynamische Anstiegsphase wahrscheinlich. Im zweiten Halbjahr könnten die Renditen dann in den Bereich um 3,0 Prozent vordringen; das entspräche den Zinsspitzen der Jahre 2013 und 2018. 

Daimler elektrisiert, Infineon im Boom, SAP kommt wieder

Von einer neuen Zinsangst ist an den Aktienmärkten derzeit noch nichts zu sehen. Obwohl die aktuelle, besonders dynamische Aufwärtsbewegung nun schon seit Anfang März läuft, also seit sieben Wochen, zeigt sie keine Ermüdungserscheinungen. Das wurde auch in der kurzen, seit 7. April laufenden Kurspause, offensichtlich. Wäre der Gesamtmarkt in einer unsicheren Verfassung, wären hier die Kursrückschläge wesentlich größer ausgefallen. 

Nicht einmal zu einem Re-Test der vor kurzem übersprungenen runden Marke von 15.000 Punkten im Dax ist es bisher gekommen. Normalerweise neigen Märkte dazu, solche markante Kursschwellen mehrmals anzulaufen, bevor sie dann ihre Grundrichtung fortsetzen. Im Dow Jones fiel die jüngste Schwankungsphase sogar so stark aus, dass die Notierungen dabei ein neues Hoch erreichten. 

Besonders wichtig für den großen Trend an den Weltbörsen ist das Comeback der Technologiewerte. Spiegelbildlich zu der Entwicklung bei den langfristigen Zinsen hat sich der Nasdaq-100-Index von seinem Tief Anfang März erholt und mittlerweile, wie erwartet, sein Top vom 12. Februar erreicht und sogar leicht überschritten. 

Gestützt wird die aktuelle Kletterpartie der Techniker praktisch von allen großen Werten: Microsoft wird beflügelt durch die jüngste Übernahme, Nvidia durch den Boom auf dem Chipmarkt, Apple durch den dank 5G wiederbelebten Smartphone-Absatz. Hierzulande kann unter den zentralen Tech-Unternehmen sogar SAP punkten, nachdem die Geschäfte der Walldorfer nach mehreren Enttäuschungen in Folge nun wieder besser als erwartet laufen. 

Besonders stark ist der Anstieg bei Infineon. Elektromobilität, schnelle 5G-Technik, die Wende zu erneuerbaren Energien und schließlich die durch Corona noch beschleunigte Digitalisierung lassen den weltweiten Bedarf an Chips so massiv steigen wie seit zehn Jahren nicht mehr. Zugleich zeichnen sich neue Absatzpotenziale ab – sollte Infineon eines Tages Halbleiter für die neue Generation der Quantencomputer auf den Markt bringen. 

Neben den Technologiewerten zeigen auch Industrieaktien Muskeln. Daimler wird angetrieben durch ein starkes operatives Ergebnis, das mit 5,8 Milliarden Euro im ersten Quartal besser als erwartet ausfiel. Zudem honorieren Anleger die vielversprechende Vorstellung der neuen Stromlimousine EQS. Wenn ein zentrales Unternehmen wie Daimler substanziell besser abschneidet als erwartet, ist das ein typisches Zeichen dafür, dass die Dynamik der Erholung bisher zu skeptisch eingeschätzt wurde. 

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Fazit für den Dax: Die Konjunktur zieht kräftig an, die Unternehmenszahlen sind tendenziell gut, die tragenden Aktien des großen Trends nehmen wieder Fahrt auf, derzeit vor allem die Technikwerte. Der hastige Anstieg der Renditen am Anleihemarkt ist zumindest vorläufig zum Stehen gekommen; die Hinweise der US-Notenbank, dass sie eine Inflation deutlich über zwei Prozent nicht tolerieren werde, nimmt der Markt derzeit noch nicht als Bedrohung wahr. Der Aufwärtstrend im Dax ist trotz Überhitzungserscheinungen robust und kurzfristig ist es wenig sinnvoll, sich dagegen zu stellen. Der seit dem Coronatief bestehende Trend verläuft derzeit im Bereich 14.500 bis 14.700 Punkten. Dieses Niveau sollte weiterhin halten – zumindest bis in den klassischen Top-Monat Mai. 

Der nächste Dax Radar erscheint voraussichtlich erst wieder am 7. Mai. 

Mehr zum Thema: Gute Zahlen und neue E-Modelle beflügeln die Daimler-Aktie. Schon der Spin-Off von Daimler Truck ließ den Kurs steigen. Lohnt sich noch der Einstieg?

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