Riedls Dax-Radar
Fünf Gründe, warum die Kurserholung an den Börsen weitergeht. Quelle: imago images

Fünf Gründe, warum die Kurserholung weitergeht

Die Wirtschaft verliert an Fahrt, doch die Aktien steigen. 2019 könnte ein viel besseres Börsenjahr werden, als von den meisten Marktteilnehmern erwartet.

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Es sieht ganz so aus, als hätten sich Mario Draghi und die Bundesregierung abgesprochen. Kaum weist der EZB-Chef darauf hin, dass die Wirtschaft nur noch zäh vorankommt, streicht auch die Bundesregierung ihre Wachstumsprognosen zusammen. Brexit in Europa, Shutdown in den USA, dazu das Auslaufen der Steuereffekte und die Folgen des Handelsstreits lassen weltweit nur noch marginale Wachstumsraten übrig. In Europa dürfte in vielen Ländern in diesem Jahr nur noch eine Eins vor dem Komma stehen. Der jüngste Rückgang des Ifo-Index schürt ebenfalls Pessimismus.

Doch genau solche Nachrichten sind es, die in ein Börsenszenario passen, das sich seit Jahresanfang schrittweise entwickelt und das seit 4. Januar zu einer Erholung im Dax geführt hat. Und es gibt mehrere Gründe, warum die Erholung weitergehen dürfte.

von Anton Riedl, Georg Buschmann, Christof Schürmann, Heike Schwerdtfeger

Erster Grund: Gedrückte Konjunkturaussichten halten die Zinsen am Boden

Die Angst vor der Zinswende ist seit Jahren das Mantra der Pessimisten. In der Tat fand die Zinswende an den Kapitalmärkten auch statt – in Amerika. Im Fahrwasser der Fed-Zinserhöhungen sind die Renditen für zehnjährige US-Bonds binnen zwei Jahren von 1,4 Prozent auf 3,3 Prozent gestiegen. Doch seit einigen Wochen hat der Wind gedreht. Gerade weil die US-Wirtschaft, deren Wachstum lange als robust galt, nun an Fahrt verliert und die Fed auch unter ihrem neuen Chef Jerome Powell dazulernt, dürfte das Thema weiterer Zinserhöhungen erst einmal vom Tisch sein. Mehr noch: Nach acht Erhöhungen der US-Notenbank besteht Spielraum, notfalls die Zinsen sogar wieder zu senken. Natürlich wäre es für die Börsen nicht gut, wenn die Konjunktur in den großen Industrieländern schwer abkippt. Doch selbst nach den nun deutlich herabgesetzten Prognosen sieht es so aus, als ob 2019 zumindest ein kleines Wachstum bleibt. Und für 2020 sind die Aussichten sogar etwas heller.

Zweiter Grund: Die chinesische Wirtschaft ist besser als ihr Ruf

Entscheidend für die Weltkonjunktur wird die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft sein. Und da herrscht unter westlichen Beobachtern seit jeher eine ausgesprochene Skepsis. Doch der große Boom in China läuft nun schon länger als zwei Jahrzehnte. Er hat einen anderen Charakter als die mittelfristigen Schwankungen, die europäische Wirtschaften in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen haben. Zudem sind die herausgegebenen Daten über ein Wachstum von sechs Prozent und mehr nicht mit europäischen Messmethoden zu vergleichen. Dennoch: Auch wenn China durch seinen Immobilienmarkt, seine Schattenbanken und seinen umfangreichen Außenhandel verwundbar geworden ist, zeigt der große Trend immer noch nach oben. Das spiegelt sich gut in den wichtigsten Aktienindizes wider, dem Shanghai Composite und dem Hang Seng China Enterprises, die nach einjährigem Rückgang kurzfristig sogar wieder eine Erholung signalisieren.

Dritter Grund: Die Schwellenländer kommen wieder

Die Angst vor einem Rückschlag in den Schwellenländern hat die Aktienmärkte in den vergangenen Monaten belastet, weil den Industrienationen damit große Wachstumsmärkte wegbrächen: schwere Krise in der Türkei, Enttäuschung in Indien, zähe Entwicklung in Russland, Turbulenzen in Südamerika. Nun aber mehren sich die Anzeichen für eine Erholung – und die geht vor allem von den Währungen aus. Initialzündung dafür ist die Aussicht auf eine moderatere Zinspolitik der Fed. Die mehrfachen Zinserhöhungen der US-Notenbank haben in den vergangenen Jahren wertvolles Geld aus den Schwellenländern abgezogen.

Doch seitdem Dollar und Euro nicht mehr von der Aussicht auf höhere Zinsen profitieren, kommen die Schwellenländerwährungen wieder: Der russische Rubel wird beflügelt von der Erholung an den Ölmärkten, die türkische Lira hat seitdem Erdogan-Schock von vergangenem Sommer 20 Prozent zugelegt. Die Rupie profitiert davon, dass Indien in diesem Jahr wahrscheinlich Großbritannien in der Wirtschaftsleistung überholen wird. In Südafrika und Brasilien haben sich die Währungen stabilisiert, obwohl die politische Entwicklung sehr kritisch eingeschätzt wird – vor allem von westlichen, politisch geprägten Beobachtern. Und im chinesischen Renminbi spiegelt sich nicht nur die wahrscheinliche Fortsetzung des langen China-Booms wider, sondern auch eine mögliche Übereinkunft im Handelsstreit mit den USA.

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Vierter Grund: Die Unternehmensgewinne sind gar nicht so schlecht

Einen heftigen Schock erlebten Anleger, als Persil-Produzent Henkel seine Renditeziele kappte. Auf den ersten Blick ist es eine schwere Enttäuschung, wenn ein konservatives Dax-Unternehmen wie Henkel eine langjährige Aufwärtsentwicklung von heute auf morgen kassiert. In wenigen Stunden verlor das Unternehmen vier Milliarden Euro Börsenwert.

Mit etwas Abstand allerdings sind solche Meldungen weniger dramatisch. Vorsichtig gerechnet könnte Henkel in diesem Jahr netto nicht wie ursprünglich erwartet 2,6 Milliarden Euro verdienen, sondern vielleicht nur 2,4 oder 2,3 Milliarden. Das läge immer noch weit über dem Niveau von 2014. Und bei der Rendite würden die Düsseldorfer auch dann noch mit ihrem Rivalen Beiersdorf mithalten.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse der aktuellen Bilanzsaison, dass die Unternehmen natürlich im Schnitt weniger verdienen und die Prognosen gedämpfter ausfallen als noch im Sommer vergangenen Jahres von Banken und Analysten erwartet. Doch die Zahlen deuten nicht darauf hin, dass es zu einer schweren Rezession kommt.

Fünfter Grund: Pessimismus lässt viel Spielraum für Aktienkäufe

Wenn Henkel-Aktien an einem Tag vier Milliarden Euro verlieren, weil die operative Rendite statt knapp 18 vielleicht nur noch 16 Prozent erreicht, ist das ein Zeichen großer Angst. Erst recht, da die Aktie schon in den Monaten davor unter die Räder gekommen ist.

Markttechnisch sind das klassische Übertreibungen nach unten, die den Kurs durchaus noch einige Wochen belasten könnten. In ähnlicher Weise hatte es Bayer im vergangenen Jahr im Zuge der Monsanto-Übernahme erwischt, BASF im Umfeld der gekappten Chemieprognosen, und die Autohersteller in der endlosen Diskussion um Diesel und neue Mobilität. Doch ebenso wie sich Bayer, BASF und mittlerweile sogar Daimler, BMW, VW und Continental seitdem schrittweise erholen, könnte auch bei Henkel, Beiersdorf und sogar den tief gefallenen Aktien Fresenius und FMC in den nächsten Wochen eine Stabilisierung anstehen.

Fazit für den Dax: Die aktuellen Meldungen über eine deutlich verlangsamte Wirtschaft wurden an der Börse durch die schweren Rückgänge seit vergangenem Herbst in großem Maße vorweggenommen. Der zeitliche Vorlauf der Kurse von drei bis sechs Monaten war geradezu typisch. Was sich an den Börsen jetzt abspielt, ist die vorsichtige Hoffnung darauf, dass die Konjunktur nach einem schwachen Start im Laufe dieses Jahres wieder Boden unter die Füße bekommt.

In diesem Umfeld sollte der Dax kurzfristig bis etwa 11.600 Punkte vordringen. Dann könnte es, vielleicht ab Mitte Februar, eine erneute Konsolidierung geben, die sich im optimalen Fall zwischen 11.600 und 11.000 Punkten abspielt. Wenn der Dax dann im Frühjahr dieses Niveau verteidigt, könnte 2019 ein viel besseres Börsenjahr werden, als von Anlegern und Banken bisher erwartet.

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