Riedls Dax-Radar
Freude an der New Yorker Börse: Die US-Notenbank will die Zinsen vorerst nicht erhöhen. Quelle: REUTERS

Grünes Licht für neue Kursrekorde

Die Aktienmärkte reagieren erleichtert, weil zuletzt die Angst umging, die Fed könnte ihre Geldpolitik deutlicher zurücknehmen. Euphorie im Dax sieht aber anders aus. Das lässt sich negativ und positiv deuten.

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Die amerikanische Notenbank nimmt das Volumen ihrer Wertpapierkäufe schrittweise zurück. Eine Erhöhung der Leitzinsen allerdings ist weiterhin kein Thema. „Wir glauben nicht, dass es an der Zeit ist, die Zinsen anzuheben“, sagt Fed-Chef Jerome Powell – und das ist für Investoren und Anleger weltweit der entscheidende Satz, der an den Märkten sofort honoriert wird: Die Kurse amerikanischer Bonds, die kurz vor der jüngsten Fed-Sitzung einen Schwächeanfall erlitten hatten, erholen sich danach deutlich. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen geht binnen eines Tages von 1,61 Prozent auf 1,52 Prozent zurück. Bei den Bundesanleihen sinken die Renditen, die zuletzt bis an das Mai-Hoch bei minus 0,1 Prozent gekommen sind, wieder auf minus 0,23 Prozent. Der Goldpreis, der besonders sensibel auf Realzinsen reagiert, erholt sich von 1762 bis in Richtung 1800 Dollar.

An den Aktienmärkten verstärkt die Zinsentscheidung ein Kursfeuerwerk, das Dow Jones, S&P 500 und die Technologiekurven an der Nasdaq über ihre bisherigen Höhen katapultiert. Mehr noch: Selbst der Russell 2000, in dem die kleinen Nebenwerte der amerikanischen Börse versammelt sind, hat seine von Februar bis Oktober dauernde Seitwärtsbewegung mit einem fulminanten Ausbruch nach oben beendet. Dem Dax gelang es, mit einem Tagesverlaufshoch von 16.066 Punkten wieder über die Marke von 16.000 zu kommen und dabei einen neuen Rekord zu markieren. 

Die Aktienmärkte reagieren erleichtert, weil zuletzt die Angst umging, die Fed könnte mit Blick auf die enorm gestiegenen Inflationsraten ihre Geldpolitik deutlicher zurücknehmen als bisher erwartet. Diese Gefahr ist nun erst einmal vom Tisch – und wenn nicht gleich wieder neue Schockwellen von der Preisfront kommen, gilt das Szenario einer moderaten Rücknahme der Anleihekäufe und weiterhin extrem niedriger Zinsen.

Neue Höchstkurse nur bei vier Dax-Aktien

Dabei ist vor allem im Dax von Euphorie wenig zu spüren. Neue absolute Höchstkurse markieren von den 40 Einzelwerten nur vier: Linde, Merck, Puma und – bisher ganz knapp – Siemens Healthineers. Dazu kommen noch Infineon und Qiagen, die im Zwanzigjahreszeitraum auf Rekordkurs sind und nun die Spitzen aus der Rally um die Jahrtausendwende ansteuern. 

Die durchwachsene Gemengelage im Dax lässt sich negativ und positiv interpretieren. Sie zeigt, vor allem im Vergleich zu den amerikanischen Protagonisten (besonders stark derzeit: Microsoft, Nvidia, AMD und die Jahrhundertaktie Tesla) durchweg eine innere Schwäche des deutschen Aktienmarktes, die beim alleinigen Blick auf die Indexkurve nicht sichtbar wird. Ein Vorteil wiederum könnte es sein, dass in dieser Zurückhaltung ein Nachholbedarf steckt, der über die nächsten Monate hinausgehen könnte. 

Einen Ansatz dafür zeigt SAP. Die Aktie der Walldorfer profitiert derzeit doppelt: Zum einen wird sie im Fahrwasser der US-Konkurrenten mitgezogen; Cloud-Spezialist Salesforce und Software-Rivale Oracle sind seit Wochen dynamisch auf Rekordfahrt. Zum anderen untermauern die Geschäftszahlen der vergangenen Monate und die Prognosen des Unternehmens, dass SAP auf seinem Weg ins Cloudgeschäft gut vorankommt. Mit Notierungen von bis zu 129,50 Euro versucht die SAP-Aktie gerade, über die Kursspitzen der vergangenen Monate zu dringen. Entscheidend dafür dürfte ein Anstieg über 130 Euro werden. Angesichts der Nasdaq-Rally ist ein solches Kaufsignal in den nächsten Wochen durchaus realistisch. Für den Dax wiederum wäre es vorteilhaft, wenn sein mit 150 Milliarden Euro schwerster Einzelwert (derzeit knapp vor Linde mit 145 Milliarden), der rund neun Prozent der Indexgewichtung ausmacht, nach oben dreht. 

Lukrative Pakete von der Deutschen Post und HelloFresh

Wieder im Aufwind ist die Deutsche Post. Bis September zog die Aktie in einer beeindruckenden Rally bis auf 61 Euro hoch. Dann folgte, trotz guter Unternehmensergebnisse, ein Rückschlag auf 52 Euro. Dabei profitiert die Post nach wie vor vom ungebrochenen Paketboom, die Gewinnziele werden angehoben. Das Umfeld des sich belebenden Welthandels ist gut, Dividendenerhöhung und Aktienrückkäufe sind möglich. Mit einer 14fachen Bewertung der für dieses Jahr weitgehend schon eingefahrenen Gewinne ist die Aktie zudem preisgünstig. Die Post gehört zu den Dauerfavoriten im Dax. 

Den größten Kurssprung indes schaffte Indexneuling HelloFresh. Nachdem monatelang unter Anlegern die Angst umging, die bisher hohen Wachstumsraten könnten gefährlich abflauen, setzt der Kochboxenversender nach starkem Geschäftsverlauf nun sein Umsatzziel abermals herauf. Diese Prognoseerhöhung trifft den Nerv der Anleger, weil es zeigt, dass das Geschäftsmodell von HelloFresh auch dann funktioniert, wenn die Ängste um Corona etwas schwächer werden, wie das im Spätsommer der Fall war. Sollten sie nun im Winter wieder zunehmen, dürfte das für das Onlinegeschäft ebenfalls kein Nachteil sein.

Zwar standen die Gewinnmargen von HelloFresh in den vergangenen Monaten wegen Investitionen in neue Verteilzentren unter Druck. Doch dafür kann das Unternehmen bei klassischen Kennzahlen zulegen: Der Geldfluss aus dem laufenden Geschäft ist stabil und dürfte in diesem Jahr mehr als eine halbe Milliarde Euro erreichen. Das Eigenkapital legte binnen zwölf Monaten sogar um gut ein Viertel zu. Mit 40 Prozent der Bilanzsumme erreicht es zudem einen guten Wert. Für ein Unternehmen, das eine so ehrgeizige Expansionspolitik fährt, sind stabile Finanzen eine Lebensversicherung. Eine günstige Aktie ist HelloFresh deshalb natürlich nicht; mit einer mehr als 50fachen Gewinnbewertung zählt sie zu den fünf teuersten Werten im Dax. Immerhin, bis zum bisherigen Hoch um 97 Euro könnte bis Jahresende noch einmal Luft sein. 

Fazit für den Dax: An der weiterhin moderaten Linie der Fed sollte sich vorerst nichts ändern. Bis zum nächsten Sitzungstermin am 15. Dezember dürfte der geldpolitische Rahmen damit wie bisher bleiben, für die Wochen danach ist das zumindest sehr wahrscheinlich. Eine Eskalation bei den Teuerungsraten wäre natürlich ein Risiko. Wie groß das an den Märkten dann eingeschätzt wird, lässt sich am besten am weltweit wichtigsten Zinsbarometer ablesen, den Renditen der zehnjährigen US-Staatsanleihen. Hier lagen die Spitzen in diesem Jahr bisher zwischen 1,70 und 1,75 Prozent. Solange dieses Niveau nicht nachhaltig überschritten wird, dürfte von einer substanziellen Zinsgefahr nicht die Rede sein. 

Im Gegensatz zu den US-Indizes tut sich der Dax im Bereich der erreichten Marke um 16.000 Punkte schwerer. Der Grund dafür ist die Indifferenz zahlreicher Einzelwerte: Nur bei 23 seiner 40 Einzelaktien notieren die aktuellen Kurse oberhalb der 200-Tagelinie. Das ist ein positives Verhältnis von 58 Prozent – und das ist weit weg von einer marktbreiten Hausse, bei der dieses Quote bei 70 bis 80 Prozent liegt. Zudem wächst die Gefahr einer Kurskorrektur, nachdem der Dax in 21 Tagen um 1000 Punkte zugelegt hat. 

Allerdings, selbst wenn eine solche Korrektur etwa bis in den Bereich um 15.600 Punkte zurückginge, wäre im Index die Anfang Oktober eingeleitete Aufwärtsphase weiterhin intakt. Und dass eine so starke Aufwärtsbewegung, wie sie derzeit an den Weltbörsen läuft, schon nach 21 Tagen wieder vorbei ist, wäre sehr ungewöhnlich. Für Anleger dürfte sich damit bis auf weiteres die bewährte Strategie lohnen: Gewinne laufen lassen, bei Rückschlägen sind immer noch ausgesuchte Zukäufe möglich. 

Mehr zum Thema: Die Aktien der Börsenprofis Fünf Top-Geldmanager über grüne Investments, Inflationsschutz, Zinsen – und ihre Favoriten für 2022 sowie den besonderen Reiz von Technologiewerten, Bitcoin, Gold und CO2-Zertifikaten.

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