Riedls Dax-Radar

Gute Chancen auf Erhalt des großen Aufwärtstrends

Der Dax verkraftet den Brexit-Crash, doch viele Einzelwerte sind gefährlich angeschlagen. Dennoch: Der Dax zeigt sich relativ robust, wenig spricht für einen Abwärtsschwenk an der Börse. Aber Vorsicht ist geboten.

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Diese Unternehmen spüren schon den Brexit
Vodafone Quelle: REUTERS
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Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob der Dax nach dem Brexit-Schock zur Tagesordnung zurückkehrt. Für die Märkte war es wichtig, dass es im Gegensatz zu 2008 nicht zu Panikreaktionen kam und die Liquiditätsversorgung kein Problem war. Die Notenbanken haben offensichtlich aus ihren Fehlern gelernt, von großen Schieflagen ist bisher nichts zu hören.  

Für die generelle Stimmung ist es zudem ein Vorteil, dass sich derzeit keine weiteren Abwanderungsbewegungen in der EU breit machen, eher das Gegenteil: Die Briten sind zunehmend isoliert. In diesem Sinne kommt dem schottischen EU-Bekenntnis eine wichtige Rolle zu – und auch Meldungen, wie leid es vielen Briten tut, dass sie die EU verlassen müssen.

Indessen, die wirtschaftlichen Folgen sind schon spürbar – und dieser Effekt wird sich in den nächsten Monaten verstärken. Der Rückgang des Pfund Sterling auf mittlerweile weniger als 1,20 Euro belastet zahlreiche europäische Exporteure, weil ihre Waren für Briten nun teurer werden.

Wo die großen Brexit-Baustellen sind

Zugleich hat der Kapitalabzug aus Britannien begonnen. Das trifft vor allem den aufgeblähten Immobilienmarkt. Britische Immobilienaktien haben sich in kürzester Zeit halbiert.

Keine Entwarnung auch bei den Banken – und zwar auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Dass es britische Banken massiv erwischt, war abzusehen. Doch auch französische und deutsche Geldhäuser werden durch den Brexit belastet. London war bisher mit Abstand der wichtigste europäische Finanzplatz mit entsprechenden Vertretungen und Beteiligungen europäischer Banken. Bei der Deutschen Bank konnte man manchmal den Eindruck haben, dass sie eigentlich von der Themse aus regiert werde und nicht vom Main.

Das ist nun alles Historie.

Welche Branchen besonders betroffen sind
AutoindustrieDie Queen fährt Land Rover – unter anderem. Autos von Bentley und Rolls-Royce stehen auch in der königlichen Garage. Die britischen Autobauer werden es künftig wohl etwas schwerer haben, ihre Autos nach Europa und den Rest der Welt zu exportieren – je nach dem, was die Verhandlungen über eine künftige Zusammenarbeit ergeben. Auch deutsche Autobauer sind betroffen: Jedes fünfte in Deutschland produzierte Auto geht nach Angaben des Branchenverbandes VDA ins Vereinigte Königreich. Autos deutscher Konzernmarken haben danach auf der Insel einen Marktanteil von gut 50 Prozent. BMW verkaufte in Großbritannien im vergangenen Jahr 236.000 Autos – das waren mehr als 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Audi waren es 9, bei Mercedes 8, beim VW-Konzern insgesamt 6 Prozent. Für Stefan Bratzel wird der Brexit merkliche negative Auswirkungen auf die Automobilindustrie haben, die im Einzelnen noch gar nicht abschließend bewertet werden können. „Der Brexit wird so insgesamt zu einem schleichenden Exit der Automobilindustrie von der Insel führen“, sagt der Auto-Professor. „Wirkliche Gewinner gibt es keine.“ Quelle: REUTERS
FinanzbrancheBanken brauchen für Dienstleistungen innerhalb der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Durch den Brexit werden Handelsbarrieren befürchtet. Quelle: REUTERS
FinTechsDie Nähe zum Finanzplatz London und die branchenfreundliche Gesetzgebung machten Großbritannien in den vergangenen Jahren zu einem bevorzugten Standort für Anbieter internetbasierender Bezahl- und Transaktionsdienste, im Branchenjargon „FinTech“ genannt. Das dürfte sich nun ändern. Der Brexit-Entscheid werde bei den rund 500 im Königreich ansässigen FinTechs „unvermeidlich“ zu einer Abwanderung von der Insel führen, erwartet Simon Black. Grund dafür sei, so der Chef des Zahlungsdienstleisters PPRO, da ihr „Status als von der EU und EWR anerkannte Finanzinstitutionen nun gefährdet ist“. Simon erwartet von sofort an eine Verlagerung des Geschäfts und die Schaffung neuer Arbeitsplätze außerhalb von Großbritannien. „FinTech-Gewinner des Brexits werden meines Erachtens Amsterdam, Dublin und Luxemburg sein.“ Als Folge entgingen Großbritannien, kalkuliert Black, „in den nächsten zehn Jahren rund 5 Milliarden Britische Pfund an Steuereinnahmen verloren“. Quelle: Reuters
WissenschaftAuch in der Forschungswelt herrscht beidseits des Kanals große Sorge über die Möglichkeiten zukünftiger Zusammenarbeit. Die EU verliere mit Großbritannien einen wertvollen Partner, ausgerechnet in einer Zeit, in der grenzüberschreitende wissenschaftliche Zusammenarbeit mehr denn je gebraucht werde, beklagt etwa Rolf Heuer, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. „Wissenschaft muss helfen, Grenzen zu überwinden.“ Venki Ramakrishnan, der Präsident der Royal Society, fordert, den freien Austausch von Ideen und Menschen auch nach einem Austritt unbedingt weiter zu ermöglichen. Andernfalls drohe der Wissenschaftswelt „ernsthafter Schaden“. Wie das aussehen kann, zeigt der Blick in die Schweiz, die zuletzt, nach einer Volksentscheidung zur drastischen Begrenzung von Zuwanderung, den Zugang zu den wichtigsten EU-Forschungsförderprogramme verloren hat. Quelle: dpa
DigitalwirtschaftDie Abkehr der Briten von der EU dürfte auch die Chancen der europäischen Internetunternehmen im weltweiten Wettbewerb verschlechtern. „Durch das Ausscheiden des wichtigen Mitgliedslands Großbritannien aus der EU werde der Versuch der EU-Kommission deutlich erschwert, einen großen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, um den Unternehmen einen Wettbewerb auf Augenhöhe mit Ländern wie den USA oder China zu ermöglichen“, kommentiert Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer beim IT-Verband Bitkom, den Volksentscheid. Daneben werde auch der Handel zwischen den einzelnen Ländern direkt betroffen: 2015 exportierte Deutschland ITK-Geräte und Unterhaltungselektronik im Wert von 2,9 Milliarden Euro nach Großbritannien geliefert; acht Prozent der gesamten ITK-Ausfuhren aus Deutschland. „Damit ist das Land knapp hinter Frankreich das zweitwichtigste Ausfuhrland für die deutschen Unternehmen.“ Quelle: REUTERS
ChemieindustrieDie Unternehmen befürchten einen Rückgang grenzüberschreitender Investitionen und weniger Handel. Im vergangenen Jahr exportierte die Branche nach Angaben ihres Verbandes VCI Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro nach Großbritannien, vor allem Spezialchemikalien und Pharmazeutika. Das entspricht 7,3 Prozent ihrer Exporte. Von der Insel bezogen die deutschen Firmen Waren für 5,6 Milliarden Euro, vor allem pharmazeutische Vorprodukte und Petrochemikalien. Quelle: REUTERS
ElektroindustrieNach einer Umfrage des Ifo-Instituts sehen sich besonders viele Firmen betroffen (52 Prozent). Das Vereinigte Königreich ist der viertwichtigste Abnehmer für Elektroprodukte „Made in Germany“ weltweit und der drittgrößte Investitionsstandort für die Unternehmen im Ausland. Dem Branchenverband ZVEI zufolge lieferten deutsche Hersteller im vergangenen Jahr Elektroprodukte im Wert von 9,9 Milliarden Euro nach Großbritannien. Dies entspreche einem Anteil von 5,7 Prozent an den deutschen Elektroausfuhren. Quelle: dpa

Banken, Chemie, Versicherer und Autohersteller angeschlagen

Wenn die Briten mit ihrem Austritt vorankommen, wird London einen Niedergang erleben. Die damit verbundene Umorientierung wird für die Banken nicht billig – gerade jetzt, wo sie angesichts minimaler Zinsspannen ohnehin mit dem Rücken zur Wand stehen.

Ob der spezielle Niedergang der Deutschen Bank durch den Brexit zusätzlich beschleunigt wird, sei dahingestellt. Dass Deutschlands einst führendes Geldhaus mittlerweile als Systemrisiko gilt, ist beispielhaft für die marode Verfassung der Finanzbranche.

Die von Britannien ausgehende Krise könnte die deutsche Wirtschaft etwa einen halben Prozentpunkt Wachstum kosten. Daran gemessen ist die Reaktion im Dax nach den ersten Erholungstagen keineswegs überzogen. Man kann nicht sagen, der Index sei inklusive Brexit-Folgen bei 9700 Punkten fundamental billig, wenn er ohne Brexit bei 10.500 Punkten angemessen bewertet war.

Große Branchen schwer unter Druck

Die kritische Marktverfassung zeigt sich in den Einzelwerten. Neben den schwachen Banken geraten die Versicherer immer mehr unter Druck. Offensichtlich gelingt es ihnen immer weniger, angesichts niedriger oder negativer Zinsen ihr Geschäftsmodell aufrecht zu erhalten.

Über Jahre hinweg konnten die Allianz und die Münchener Rück von ihren alten, hochverzinslichen Papieren profitieren. Doch die Uhr läuft gegen die Versicherer. Neuanlagen bringen entweder gar nichts mehr, oder sie bergen hohe Risiken. Den Anlagenotstand, den derzeit jeder Privatanleger in seinem Depot spürt, erleben die Versicherer in wesentlich größerer Dimension.

Wenn sich die Allianz an Windkraftanlagen oder Start-Ups beteiligt, mag das auf den ersten Blick smart aussehen. Es ist aber nichts anderes als eine Notlösung, die zeigt, wie angespannt das Geschäft der Versicherer mittlerweile geworden ist. Und das spiegelt sich in den möglichen großen Wendeformationen, die im Kursbild der Allianz und der Münchener Rück entstehen.

Die nächsten Vorzeigeunternehmen, die in die Krise steuern, sind die Autohersteller. Geht man nur von den Zahlen aus, läuft es bei BMW und Daimler eigentlich noch gut. Womöglich übertreibt hier die Börse mit ihrem Hype, dass die Mobilität der Zukunft nur noch von internet-affinen Technologiekonzernen bestimmt werde und nicht mehr von klassischen Autobauern.

An dieser Stelle sei die These gewagt, dass es bei der faktischen Mobilität, also dem realen Transport von Personen oder Gütern, gerade deshalb in Zukunft mehr denn je auf die Hardware ankommen wird: Continental etwa verdient das meiste Geld mit der Produktion von Reifen und nicht mit digitalen Steuersystemen für Abgase oder Bremsen. Das Rad wird auch in 100 Jahren noch an Genialität nicht zu überbieten sein – und dementsprechend gefragt bleiben gute Reifen.

So sähen Kaufkurse für die 30 Dax-Aktien aus

Von ihrem klassischen Geschäftsmodell verabschiedet haben sich die Versorger. Immerhin, deren Aktien sind in den vergangenen Monaten nicht mehr gesunken. Da sie allerdings auf niedrigem Niveau notieren, hilft diese relative Stabilität dem Index kaum.

Angeschlagen sind die Großchemiker. BASF leidet immer noch unter den Folgen der Ölbaisse, dürfte aber die größten Risiken mittlerweile verarbeitet haben. Bayer ist durch den teuren Angriff auf Monsanto in einer prekären Lage, die zudem auch noch durch hohe Unsicherheit über den neuen Kurs geprägt ist. Außer kurzfristige Erholungen bietet die Aktie derzeit nichts für Käufer.

 Favoriten, Dauerläufer und Wendespekulationen

Es gibt im Dax auch Lichtblicke. Am Tag des Brexits gab Henkel eine richtungsweisende Übernahme bekannt. Mit dem Kauf des Waschmittelherstellers Sun Products verstärken die Düsseldorfer ihr stabiles Konsumgeschäft, vergrößern den wichtigen US-Anteil – und sind nebenbei nur mit zwei Prozent Umsatz in Großbritannien vertreten.

Schon in den vergangenen Jahren hat sich Henkel auch ohne große Übernahmen gut zu immer mehr Rentabilität entwickelt. Henkel gehört zu den aussichtsreichsten Unternehmen im Dax, die Aktie ist ein Basisinvestment.

Infineon und SAP robust

Im Grunde gilt das auch für andere Dauerläufer: Für Beiersdorf, obwohl die Aktie analytisch teuer ist (doch das ist Beiersdorf seit Jahrzehnten); für Adidas, deren Kursrally immer deutlichere Fragen nach möglichen Aufkäufern stellt; für Fresenius, obwohl jetzt ein ausgewiesener Finanzmann an die Spitze kommt und kein Dialyse-Experte. Robust sind SAP und Infineon, hier treiben die großen Trends Cloud und Digitalisierung.

Die wertvollsten Unternehmen der Welt

Einigermaßen stabil ist Siemens, wenngleich hier ein allgemeiner Konjunktureinbruch doch spürbar wäre. Linde und Thyssenkrupp sind mittlerweile Spekulationen auf die Rückkehr der Investoren.

Fazit für den Dax: Von der gefährlichen Untergrenze bei 8900 Punkten, bei der es dann um den Bestand des langfristigen Trends ginge, ist der Dax in gutes Stück entfernt.

Die schwärzesten Tage der Börsengeschichte
19. Oktober 1987 – der „Schwarze Montag” Quelle: dpa
16. Oktober 1989 – der Dax-Absturz Quelle: AP
23. Mai 1995 – die Asien-Krise Quelle: REUTERS
6. Oktober 2008 – das Lehman-Beben Quelle: dpa
Griechische Flagge Quelle: dpa
24. August 2015 – ein neuer China-Crash Quelle: dpa
07. Januar 2016 – und wieder ein Drachen-Kursbeben Quelle: dpa

Der Markt hat also Spielraum für kurz- bis mittelfristige Schwankungen, ohne den großen Trend zu gefährden. Damit gilt die seit Frühjahr 2015 anhaltende Schaukelpartie immer noch als Korrekturphase im großen Aufwärtstrend und nicht als Abwärtswende.

Um dieses positive Szenario aufrecht zu erhalten, wäre es gut, wenn sich der Dax in den nächsten Wochen zwischen 9300 bis 10.200 stabilisiert. Ein Rückfall in den Bereich um 9000 und dort dann nur mühsame Erholungen, wäre gefährlich. Immerhin, aus technischer Sicht spricht derzeit trotz Brexit immer noch mehr für die Fortsetzung des großen Aufwärtstrends als für einen großen Zusammenbruch.

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