Riedls Dax-Radar
Quelle: Marc-Steffen Unger

Hoffen auf die vorerst letzte Zinserhöhung der Notenbanken

Trotz straffer Geldpolitik steigt im Dax die Chance auf neue Rekordkurse. Selbst angeschlagene Aktien wie Volkswagen, Deutsche Telekom oder BASF könnten dann wieder interessant werden.

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Mit überraschenden Zinserhöhungen haben die Notenbanken in Kanada und Australien die Diskussion um die Geldpolitik wieder angefacht. In den vergangenen Wochen ist zunehmend die Hoffnung aufgekommen, dass die Währungswächter nach ihren bisherigen, massiven Zinserhöhungen erst einmal eine Pause einlegen. Jetzt aber wächst die Angst, die Notenbanken könnten den Fuß deutlich länger auf der Geldbremse lassen. 

Die Bedenken sind nicht aus der Luft gegriffen. Kanada und Australien sind starke Rohstoffländer. Die hier wichtigen Preiskurven sind zwar von ihren Spitzen weit entfernt, aber immer wieder gibt es steile Zwischenerholungen. In Kanada ist die Inflation zuletzt mit einer Jahresrate von 4,4 Prozent wieder etwas höher ausgefallen; in Australien ist sie zwar rückläufig, mit rund sieben Prozent im internationalen Vergleich aber hoch. In beiden Ländern ist das Thema Inflation offensichtlich noch nicht so schnell vom Tisch. 

In den Vereinigten Staaten auch nicht. Mit 4,9 Prozent im April erwiesen sich die Preissteigerungen in den USA im mittleren Bereich als ziemlich zäh. Das gilt auch für die Kerninflation, bei der Preise für Energie und Nahrungsmittel herausgerechnet werden. Sie könnte im Mai mit womöglich 5,4 Prozent sich kaum verändert haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed bei ihrer nächsten Sitzung am 14. Juni die Zinsen doch wieder um 0,25 Prozentpunkte erhöht, hat damit wieder zugenommen. Und wenn es nicht gleich Mitte Juni zu einer Zinserhöhung kommt, dann vielleicht beim nächsten Treffen am 26. Juli. 

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Die Anleihemärkte stellen sich schon einmal auf weiter steigende Zinsen ein. Zwar sind die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen, das wichtigste Barometer der weltweiten Bondmärkte, von Anfang März bis Anfang April von 4,1 auf 3,2 Prozent zurückgegangen. Seit der zweiten Maihälfte aber läuft eine neue Anstiegsphase, die mittlerweile 3,7 bis 3,8 Prozent erreicht hat. 

Keine nachhaltige Zinsentspannung

Auch am europäischen Anleihemarkt hat sich die Hoffnung auf eine nachhaltige Zinsentspannung bisher nicht erfüllt: Dem Rentenindex Rex, in dem die Kurse öffentlicher Anleihen stecken, ist es noch nicht gelungen, das wichtige Niveau zwischen 127 und 128 Punkten zu überwinden. Die jüngste Schwäche ist umso brisanter, da auf der unteren Seite bei 123 bis 124 Punkten der Aufwärtstrend der vergangenen vier Jahrzehnte verläuft. Das bedeutet: Die große Baisse an den Anleihemärkten, die Anfang 2022 begann und die letztlich die fundamental entscheidende Assetentwicklung in dieser Phase war, ist noch immer nicht beendet. 

Ins Bockshorn jagen von möglichen weiteren Zinserhöhungen lassen sich die Aktienmärkte aber offensichtlich nicht mehr. In Amerika ist der marktbreite S&P-500-Index bis auf knapp 4300 Punkte vorgedrungen; ein Niveau, auf dem er zuletzt Mitte August 2022 ein wichtiges Hoch markierte. Der Technologieindex Nasdaq 100, der zuletzt vor allem von Chipwerten und seinen Schwergewichten Apple und Microsoft beflügelt wurde, ist mit rund 14.500 Punkten nicht mehr weit von den Kursspitzen entfernt, die sich Februar und März 2022 gebildet hatten. Auch wenn die US-Aktienmärkte in den vergangenen Monaten dynamisch gestiegen sind und zahlreiche Indikatoren eine überhitzte Marktlage anzeigen, sehen die maßgeblichen Börsenkurven derzeit nicht nach einem Abbruch aus. 

Das gilt auch für den Dax. Nachdem der Dax den Bereich seiner bisherigen Spitzen um 16.300 Punkten wieder erreicht hat, pendelt er seit drei Wochen um die Marke von 16.000 Punkten. Die Hartnäckigkeit, mit der er nach kurzen Rücksetzern wie etwa Ende Mai wieder nach oben drängt, ist ein Zeichen von Stärke. Schwach dagegen wäre es gewesen, wenn der Dax nach kurzem Höhentest gleich wieder zurückgeprallt wäre. 

VW mit Substanz, Telekom korrigiert, Zitterpartie um BASF 

Hoffnung kommt derzeit von Nachzüglern. So wird Volkswagen davon beflügelt, dass Ableger Porsche ein vielversprechendes Konzept für einen neuen Elektrosportwagen vorstellt. Zudem versucht VW, vor allem auf seinem wichtigen Markt in China die Herstellung von Elektroautos wieder zu forcieren und die Effizienz seiner Werke hier generell zu erhöhen. Mangelnde Gewinnstärke ist ein Grundproblem von Volkswagen, denn im Kerngeschäft mit Autos der Marke VW verdienen die Wolfsburger schlichtweg zu wenig Geld. 

Von BMW und Mercedes-Benz sind VW-Aktien in den vergangenen Monaten schwer abgehängt worden. Bei Kursen um 116 Euro sind VW-Vorzüge auf den tiefsten Stand seit April 2020 gesunken. Im Dax entspräche dies einem Niveau von 10.500 Punkten. Mit 71 Milliarden Euro Börsenwert werden die 300 Milliarden Euro Umsatz, die Volkswagen in diesem Jahr erzielen könnte, nur noch mit 24 Prozent bewertet. Den in diesem Jahr erwarteten Gewinn von rund 15 Milliarden Euro bezahlt die Börse mit nicht einmal dem Fünffachen, das bilanzielle Eigenkapital von 182 Milliarden Euro (Autogeschäft plus Finanzdienstleistungen) nur zu 39 Prozent. Auch wenn der Kursverlauf der Volkswagen-Aktie noch keine schnelle Wende nach oben signalisiert, ist VW substanziell eine der unterbewertetsten Aktien weltweit.

Massiv unter Druck geraten ist zuletzt auch eine andere Volksaktie im Dax, die Deutsche Telekom. Auslöser sind Befürchtungen, Internetriese Amazon könnte ins Mobilfunkgeschäft einsteigen und damit vor allem der bisher erfolgreichen Telekom-Tochter T-Mobile US das Wasser abgraben. Auch wenn es dafür noch keine echten Anhaltspunkte gibt, kann sich die T-Aktie von ihrem jüngsten Kursrutsch bisher nicht nachhaltig erholen. 

Verantwortlich dafür sind die tieferen Probleme der Telekom, die über die Abhängigkeit vom US-Markt weit hinausgehen. Offene Flanke ist vor allem der Schuldenberg von 133,5 Milliarden Euro, der den wichtigen Netzausbau zum Drahtseilakt macht. Die Schulden haben mittlerweile eine Dimension erreicht, dass selbst der milliardenschwere Verkauf wertvoller Assets wie zuletzt der Funktürme daran nur partiell etwas ändert. Und dass die Telekom aktuell mit rund vier Prozent Dividendenrendite bei weitem nicht mehr zu den spendabelsten Aktien im Dax gehört (BMW, Allianz, Mercedes-Benz und VW sind deutlich rentabler), ist auch ein Zeichen für die finanzielle Anspannung. 

Telekom-Aktien sind deshalb nicht aus dem Rennen. Von Frühjahr 2020 bis Frühjahr 2023 hat sich der Kurs verdoppelt. Wenn die Notierungen in einer klassischen Korrektur nun etwa 40 bis 50 Prozent des Anstiegs wieder verlieren, ergäbe dies ein Auffangpotenzial im Bereich 17 bis 18 Euro. Ähnlich wie bei den Kursrückschlägen im März und im Oktober vergangenen Jahres könnten auf diesem Niveau die Käufer dann schnell wieder kommen. 

Einen neuen Rückschlag müssen Aktien von BASF hinnehmen. Die Aussichten in der weltweiten Chemiebranche, das zeigt die jüngste Gewinnwarnung des britischen Spezialchemikers Croda, sind trübe. Der Abbau von Lagerbeständen setzt sich fort, Kunden bleiben zurückhaltend, sogar das Geschäft mit Agrarchemikalien gerät nun ins Stocken. Erst Mitte Mai hatte der Verband der deutschen Chemieindustrie von einer erreichten Talsohle gesprochen. Doch die Belastungen auf der Kostenseite durch hohe Energiepreise bleiben enorm. Und sollte sich nun die Nachfrage nicht beleben, ließe sich dies weder durch anziehende Mengen noch höhere Preise ausgleichen. 

BASF-Aktien sehen noch ziemlich wacklig aus. Vor allem ein Rutsch unter das Kursniveau bei 44 Euro wäre eine neue Enttäuschung, die eine Verkaufswelle einleiten könnte. Die könnte dann bis unter 40 Euro gehen, bis zu den Tiefenpunkten des Coronacrashs und den Rückschlägen 2022. Spätestens dann aber dürften antizyklische Käufer wieder zulangen. Die Bewertung der Aktie ist günstig, die Rendite aus der Dividende (wenn sie weiter gezahlt wird) überdurchschnittlich. 

Fazit für den Dax: Die Aussicht auf eine mögliche weitere Zinserhöhung in den USA und dann auch in Europa, sei es Mitte Juni oder Ende Juli, sollten an den Aktienmärkten nicht mehr zu einer verändernden Neueinschätzung führen. Die Inflationsraten dürften im mittleren Bereich hartnäckig bleiben, das könnte die Anleihezinsen auf dem bisherigen Niveau halten und womöglich noch etwas höher tendieren lassen. Im Bereich der Renditespitzen der vergangenen Monate aber könnte auch an den Anleihemärkten ein Boden erreicht werden. Das käme dann auch den Aktienmärkten zugute. 

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Volkswagen, Deutsche Telekom und BASF sind drei Schwergewichte im Dax, die wegen eigener Probleme derzeit unter Druck stehen. Die Restrisiken aber sollten bei allen drei Aktien überschaubar sein, der durchschlagende Effekt auf den Gesamtmarkt damit begrenzt. 

Für den Dax wäre es vorteilhaft, wenn er weiterhin das Niveau 15.700 bis 16.000 Punkten hält. Der Abstand zur 200-Tagelinie, die dynamisch nach oben zieht, läge dann bei sieben bis zehn Prozent. Das kennzeichnet einen robusten und dynamischen Markt, der mittelfristig durchaus zu neuen Höhen vordringen könnte. 

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Auslöser dafür könnten ausgerechnet die Notenbanken werden: Vor allem dann, wenn sie die Zinsen demnächst noch einmal leicht um 0,25 Prozentpunkte heraufsetzen, dazu aber im Wording andeuten, dass die geldpolitische Straffung damit erst einmal abgeschlossen sein könnte. 

Hinweis: Der nächste Dax-Radar erscheint erst wieder am 23. Juni.

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