Riedls Dax-Radar
Die Zinswende kommt - aber wann? Für den Aktienmarkt sind die niedrigen Zinsen gut. Quelle: imago images

Hoffnungslauf im Dax

Die Zinswende in Europa kommt. Wahrscheinlich kommt sie aber so langsam, dass sie den großen Aufwärtstrend an den Börsen nicht abbrechen lässt. Die Stärke der US-Börsen zeigt, wie dieses Kalkül aufgeht.

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Mario Draghi weist mit Nachdruck darauf hin, dass die Europäische Notenbank nicht dazu da sei, hochverschuldete Länder wie Italien zu finanzieren. Eigentlich ist das nichts Neues, dennoch kommt es an den Märkten gut an, wenn der Italiener Draghi dies so deutlich formuliert. Zudem passt es nahtlos in seine strategische Linie, die Zinspolitik im Zuge der anziehenden Inflation langfristig wieder etwas straffer zu gestalten.

Der Euro regiert prompt: Mit Notierungen von mehr als 1,17 Dollar hat er nun den Ausrutscher von Mitte August wettgemacht. Auslöser der Erholung war die jüngste Entwicklung in Amerika, wo sich Fed-Chef Jerome Powell, von Trump inthronisiert, als nicht so rigide erweist wie seine Vorgänger. Seit mehreren Monaten treten in den USA die Kapitalmarktzinsen auf der Stelle. Am langen Ende, bei den zehnjährigen Bonds, pendeln sie um die Marke von drei Prozent.

In Europa sieht es dagegen mehr nach einem tendenziellen Anstieg aus. Die Inflation hat mit zwei Prozent mittlerweile die gewünschte Höhe erreicht. Das Anleihekaufprogramm der Notenbank wird Schritt für Schritt zurückgefahren und dürfte gegen Ende des Jahres auslaufen – wenn die Inflation im Bereich um zwei Prozent bleibt.

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Zehnjährige Bundesanleihen bringen derzeit 0,42 Prozent Rendite. Das ist immer noch ein Abschlag von mehr als 2,5 Prozentpunkten gegenüber dem Dollar. Doch sollte es in den nächsten Monaten zum Ende der ultralockeren Geldpolitik in der EU kommen, dürfte die Rendite der Bunds auf 0,6 bis 0,7 Prozent steigen. Der Abstand zu den USA könnte sich dann Schritt für Schritt verringern. Den Euro sollte das in Richtung 1,20 Dollar liften, vielleicht sogar noch etwas höher.

Dem Euro würde eine Entspannung in der Türkei-Krise zugutekommen. So, wie eine wirtschaftlich florierende Türkei in den vergangenen Jahren für Europa ein Vorteil war, wäre eine wirtschaftlich abstürzende Türkei ein Nachteil. Dabei geht es nicht nur um die EU-Unternehmen, die enge wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei haben. Es geht um Investitionen der Banken, um türkische Staatsanleihen (die auch hierzulande rege gehandelt werden) und um die Tatsache, dass die Türkei geostrategisch und in der Flüchtlingsfrage eine Schlüsselrolle spielt.

Nun hat die türkische Notenbank die Zinsen überraschend deutlich angehoben und damit den Absturz der türkischen Lira erst einmal gestoppt. Der Schritt der Notenbank ist umso bemerkenswerter, da die türkischen Währungshüter sich bisher nicht demonstrativ gegen den Kurs von Staatschef Erdogan gewehrt haben. Erdogan ist der Meinung, dass hohe Zinsen die Inflation schüren und ein Nachteil seien für Wirtschaft und Währung.

von Frank Doll, Anton Riedl, Heike Schwerdtfeger

Die jüngste Runde geht nun erst einmal an die Notenbank, die mit ihrer starken Zinserhöhung ein klassisches Signal gegen die Währungsschwäche gegeben hat. Doch es dürfte wenig wahrscheinlich sein, dass sich ein Machtpolitiker wie Erdogan damit geschlagen gibt. Die Tatsache, dass er sich zum Chef des Staatfonds macht und Ministerien mit Familienmitgliedern besetzt, deutet auf eine längere Auseinandersetzung. Womöglich hält sich Erdogan im Vorfeld des Deutschlandbesuchs Ende des Monats erst einmal zurück. Dass er die Notenbanker auf Dauer in Ruhe lässt, ist wenig wahrscheinlich – und damit steht auch die Erholung der türkischen Lira auf tönernen Füssen.

Gesunkene Einzelaktien können vorteilhaft sein für den Gesamtmarkt

Der Dax hat nach dem kurzfristigen Unterschreiten der Marke von 12.000 Punkten eine Gegenbewegung eingeleitet. Die ist bisher aber nicht über das Niveau der Tiefpunkte von Juni und August hinausgekommen, die etwa bei 12.200 Punkten liegen. Solange sich der Index nicht per Schlusskurs über diese Zone rettet, bleibt die gefährliche Schlagseite im Dax bestehen. Sowohl breite europäische Indizes, vor allem der Stoxx 600, als auch weiter gefasste Barometer (etwa der FAZ-Index) sehen derzeit ziemlich wacklig aus.

Kein großes Risiko für die Märkte

Entscheidende Stütze bleibt der amerikanische Aktienmarkt. Hier hat der Dow Jones in den vergangenen Tagen zwischen 25.800 und 26.100 Punkten eine wichtige Stabilisierung eingeleitet; immerhin deutlich über der steigenden 200-Tage-Linie, die bei 25.000 Punkten verläuft. Etwas an Dynamik haben die Nasdaq-Indizes verloren, doch auch hier ist die große Aufwärtstendenz intakt.

Natürlich gibt es am US-Markt Warnsignale. Dass die Aufwärtstendenz von immer weniger Aktien getragen wird, ist ein klassisches Symptom einer schwächer werdenden Börse. Allerdings zeigt sich dieses Phänomen schon seit Jahren immer wieder. Nur bestimmte Aktiengruppen treiben den Index, andere hinken hinterher. Genau darin besteht der

Charme des Index-Investierens, da man als Anleger somit automatisch bei den Kursgewinnern dabei ist. Das Auf und Ab von Überfliegern und Fußkranken kann sich über Jahre hinziehen – und es ist wenig sinnvoll, deshalb bei einer langen Hausse immer nur zuzusehen.

Auch im Dax läuft dieses Spiel. Während SAP bei gut 100 Euro am All-Time-High notiert und der Aktienkurs die vielversprechende operative Entwicklung der Walldorfer widerspiegelt, notieren die Deutsche Bank und die Commerzbank am unteren Ende ihrer langfristigen Entwicklung. RWE ist gerade dabei, sich langsam vom unteren Niveau wieder hochzuarbeiten. Daimler ist im großen Bild auf mittlerem Niveau angelangt.

Gerade weil einzelne Aktien und Branchen so gemischt laufen, kann das den Gesamtmarkt stabilisieren. Eine Hausse geht in der Regel in einer Übertreibung zu Ende. Wo aber bestehen im Dax derzeit spekulativ übertriebene Kurse? – Bei abgestürzten Aktien wie Bayer, Continental, Deutsche Bank, RWE, VW und Thyssenkrupp sicherlich nicht. Zudem sind die klassischen Bewertungen hier in vielen Fällen mittlerweile günstig geworden. Selbst wenn Daimler wegen eines schwachen dritten Quartals in diesem Jahr nur moderate Erträge erzielt, dürfte das Kurs-Gewinn-Verhältnis letztlich immer noch unter zehn liegen. Eine deutliche Dividendenkürzung ist unwahrscheinlich. Selbst vorsichtig gerechnet wird die Dividendenrendite damit weiterhin fünf Prozent und mehr ausmachen. Je mehr Aktien wie Daimler, BMW oder RWE so günstige Relationen bieten, desto geringer ist die Gefahr eines allgemeinen Kurseinbruchs.

Fazit für den Dax: Inflation und Geldpolitik entwickeln sich in dem von der Notenbank vorgezeichneten Rahmen, in den nächsten Jahren ist auch in Europa eine vorsichtige Zinswende wahrscheinlich. Weil sich dieses Szenario so langsam entwickelt, birgt es wenig Überraschungspotenzial und damit kein zu großes Risiko für die Märkte.

In den USA ist die Entwicklung weiter fortgeschritten. Hier gibt es immer mehr Anzeichen, dass der Zinsanstieg nun weniger dynamisch als bisher verlaufen könnte. Das hilft den US-Aktienmärkten, die derzeit auch in einer intakten Aufwärtsentwicklung verlaufen. Gut möglich, dass der Euro durch die Verengung des Zinsunterschieds wieder etwas zulegt. Wenn der Euro langfristig in der Bandbreite zwischen 1,15 und 1,30 Dollar bleibt, wird die europäische Wirtschaft damit leben können.

Belastungen bleiben derzeit die Türkei-Krise und die Handelspolitik der USA. Doch wie bisher dürfte es dadurch nur zu vorübergehenden Schwächephasen an den Börsen kommen und nicht zu einem Abbruch des großen Aufwärtstrends.

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