Auf mehr als zwei Prozent ist die Rendite zehnjähriger amerikanischer Staatsanleihen mittlerweile gestiegen. In der Spitze waren es Freitag morgens 2,05 Prozent, der höchste Stand seit Juli 2019. Noch am Donnerstag, bevor die neuesten Inflationszahlen aus den USA bekannt gegeben wurden, lagen die Zinsen bei 1,93 Prozent. Die unerwartet stark um 7,5 Prozent gestiegenen Verbraucherpreise führten dann jedoch zu einer Verkaufswelle bei Anleihen. Seit Mitte Dezember sind die Renditen am US-Kapitalmarkt um 0,8 Prozentpunkte gestiegen.
Für die Aktienmärkte ist das eine schwere Hypothek. In den anziehenden Renditen am Kapitalmarkt steckt die Erwartung, dass die amerikanische Notenbank die Zinsen in diesem und im nächsten Jahr jeweils mehrmals erhöhen dürfte. Spekuliert wird sogar darüber, dass die Fed wegen der eskalierenden Inflation womöglich schon vor der nächsten Sitzung am 16. März zur Tat schreitet und in einer Notfallsitzung die Zinsen anheben könnte.
Noch hat weder die amerikanische Fed noch die europäische EZB einen genaueren Fahrplan für die Straffung der Geldpolitik vorgestellt: von Zinserhöhungen über reduzierte Anleihekäufe bis zum Abbau der Notenbankbilanz. Die Unsicherheit darüber ist ein Risikofaktor für die Börse. Das allerdings könnte bedeuten, dass die Märkte auf konkrete Maßnahmen der Fed, wenn sie nicht zu drastisch ausfallen, sogar positiv reagieren – als Erleichterung über die größere Gewissheit.
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Dabei sind die Börsen derzeit ohnehin in einer wackligen Verfassung. Der Konflikt in der Ukraine entwickelt sich immer mehr zu einem Risiko, vor allem für den Aktienmarkt hierzulande. Besonders heikel ist die Frage der Energieversorgung – mitten in der großen Transformation von fossilen zu erneuerbaren Quellen. Selbst wenn der Konflikt politisch nicht eskaliert und die Spannungen zwischen Russland, der Ukraine und den westlichen Ländern beherrschbar bleiben, haben die Energiepreise mittlerweile ein bedrohliches Niveau erreicht. Rohöl der Nordseesorte Brent kostet weiterhin gut 90 Dollar je Fass, der Strompreisanstieg ist ungebrochen, und an den Gasmärkten gibt es heftige Ausschläge auf erhöhtem Niveau. Im Fahrwasser der Rohölpreise sind auch viele andere Rohstoffnotierungen robust: Aluminium hat ein neues Hoch erreicht, Kupfer dreht wieder über der Marke bei 10.000 Dollar je Tonne hoch. Zu einer Entspannung bei den Inflationsdaten führt das auf absehbare Zeit sicherlich nicht.
Starke Zahlen von Covestro und Siemens
Trotz der allgemeinen Unsicherheit honorieren die Märkte positive Geschäftszahlen; das ist ein gutes Zeichen. Covestro hebt nach einer Verdopplung des Gewinns die Dividende an. Der Chemiekonzern bekommt zwar auch die steigenden Energiepreise zu spüren, kann die aber an Kunden weitergeben. Die Integration des Zukaufs RFM (Beschichtungsharze) ist gelungen; und sollte sich das Geschäft mit den wichtigen Kunden aus der Autobranche im Laufe des Jahres erholen, wäre 2022 ein weiterer, deutlicher Gewinnanstieg möglich. Covestro-Aktien sind günstig bewertet und bieten eine gute Dividende. Die Kursturbulenzen der vergangenen Wochen hat die Aktie gut überstanden. Sollte der Kurs das Widerstandsniveau um 56 bis 58 Euro überwinden, wäre das ein mittelfristiges Kaufsignal.
Eine starke Kurserholung gab es bei Siemens. Motor dafür sind gute Geschäftszahlen: Umsatz und Gewinn klettern derzeit mit 17 bis 20 Prozent, die Aufträge legen sogar um rund 50 Prozent zu. Vor allem das wichtige Digitalgeschäft zieht weiter an. Daran gemessen sind die Prognosen für das laufende Geschäftsjahr, die von einem mittleren einstelligen Wachstum ausgehen, eher konservativ. Die Anhebung der Dividende ist ein zusätzliches Zeichen für die substanzielle Aufwärtsentwicklung. Durch den jüngsten Kursanstieg kam die Aktie wieder über die Durchschnittslinie der vergangenen 200 Tage. Für die nächsten Wochen wäre es vorteilhaft, wenn sich Siemens in der Bandbreite zwischen 140 und 155 Euro hält.
Einen besonderen Kick gibt es bei Continental. Seit Jahren steckt der Autozulieferer in einem Prozess der Neuorientierung, bei dem vor allem die Chancen von Abspaltungen ausgelotet werden. Bei der Verselbstständigung der Antriebssparte im vergangenen Jahr hatten die Hannoveraner wenig Fortüne. Der Ableger Vitesco erreicht nicht einmal die Hälfte der Umsatzbewertung, auf die Continental selbst kommt. Insofern kann Conti sogar froh sein, an Vitesco nicht mehr beteiligt zu sein.
Sollte eines Tages die Sparte autonomes Fahren an die Börse kommen, wäre es gut, wenn Conti zumindest mit einem mittelgroßen Paket beteiligt bliebe. Denn durch die Abspaltung würden mehrere Milliarden Euro Umsatz verloren gehen – und wenn autonomes Fahren ein Erfolg wird, sollte Conti davon auch direkt profitieren; nicht nur Großaktionär Schaeffler, der 46 Prozent an Conti hält. Bewertet ist die Aktie mittlerweile moderat. Der jüngste Anstieg über 90 Euro könnte die Initialzündung für eine längere Kurserholung der Aktie werden.
Desaster bei Delivery Hero
Eine Enttäuschung besonderer Art liefert Delivery Hero. Schon seit Monaten steht die Aktie des Essenslieferanten unter Druck. Das Unternehmen investiert massiv in Wachstum, kommt allerdings bei den Erträgen nicht nach. Im Gegenteil: Nun werden die Verluste sogar noch größer als ohnehin erwartet. Eine besondere Belastung ist zudem das Abflauen der Coronamaßnahmen, die Delivery Hero 2020 eine Sonderkonjunktur beschert hatten.
Durch den jüngsten Kurssturz der Aktie hat sich zwar die einstmals exorbitante Bewertung etwas abgebaut, mit mehr als zehn Milliarden Euro ist das Unternehmen aber alles andere als billig. Immerhin, im Kursbereich um 40 Euro ist der komplette Anstieg der Erfolgsgeschichte von Ende 2019 bis Anfang 2021 ausradiert. Auf diesem Niveau kann es durchaus zu technischen Kurserholungen kommen. Anleger aber sollten um die Aktie angesichts der großen Unsicherheit und der bisherigen Enttäuschungen lieber einen Bogen machen.
Fazit für den Dax: Heftige Inflationszahlen, (auch wenn sie in Deutschland im Januar vorerst nicht weiter gestiegen sind), die dynamische Aufwärtstendenz bei den Zinsen und Risiken durch den Russlandkonflikt halten die Märkte in Atem. Dazu kommen Turbulenzen und Neubewertungen bei den bisher führenden Technologieaktien. Dem Dax ist es bisher nicht gelungen, wieder über die 200-Tagelinie zu kommen, die derzeit bei 15.617 Punkten verläuft; das ist ein Schwächezeichen. Wichtige Untergrenze der kurzfristigen Schwankungen ist weiterhin, gemessen auf Schlusskursbasis, das Niveau um 15.000 Punkte. Immerhin kommt dem Dax zugute, dass er stärker von klassischen Branchen geprägt ist als von Newcomern. Die Neubewertung der Hightech-Aktien an der Nasdaq-Börse, die durchaus noch etwas anhalten könnte, dürfte er so gesehen glimpflich überstehen.
Mehr zum Thema: Die Aufspaltung des Autozulieferers Continental steht vor der nächsten Runde. Aktionäre können profitieren, wenn Conti aus Fehlern gelernt hat.