Riedls Dax-Radar
Börsenbulle in der Coronakrise: Die Welle der Euphorie an den Börsen klinkt ab, Rückschläge sind aber kein Grund zur Panik. Quelle: Getty Images

Keine Angst vor einer zweiten Crash-Welle

Mit einem heftigen Kursrückschlag hat die Ernüchterung an den Börsen begonnen. Die erneute Zitterpartie kann mehrere Wochen dauern. Warum die Chancen gut stehen, dass uns ein Ausverkauf wie im März erspart bleibt.

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Mit einem Kursrückschlag wie in den schwarzen Tagen des Coronacrashs reißt die Börse die Anleger aus ihren Träumen, die Wirtschaft könnte sich ebenso schnell wieder erholen, wie sie administrativ gestoppt worden ist. Für den Tagescrash am Donnerstag den 12. Juni gab es nicht einmal einen punktuellen Anlass. Dass Fed-Chef Jerome Powell kurz davor wieder einmal eindringlich darauf hingewiesen hat, dass sich die Wirtschaftserholung nur langsam vollziehen werde, war keineswegs neu. Seine Warnung, die Erholung werde „long and painfull“, ist mehrere Wochen alt.

Im Gegenteil: Powells Versprechen, die Zinsen aller Voraussicht nach bis 2022 nicht anzuheben, hätten die Märkte in optimistischen Zeiten als Freifahrtschein für noch höhere Kurse angesehen. Doch nun sieht es so aus, als ob die Ernüchterung an den Aktienmärkten nicht erst im Juli einsetzt, sondern jetzt schon begonnen hat.

Ende der Euphorie und stärkere Schwankungen

Ernüchterung muss nicht heißen, dass die Aktienmärkte jetzt sofort wieder in den Crash-Modus übergehen. Der heftige Abschlag ist zunächst nichts anderes als eine Reaktion auf die besonders steile Kletterpartie seit Mitte Mai. Sie hat dazu geführt, dass an den Aktienmärkten zwischenzeitlich eine regelrechte Euphorie eingekehrt ist.

An der Terminbörse in Chicago hatte das Put-Call-Verhältnis für Aktien, das Verhältnis der Verkaufsoptionen im Vergleich zu Kaufoptionen, einen extrem niedrigen Stand von 0,37 erreicht. Darin spiegelt sich zum einen die Erwartung vieler Anleger wider, dass der Markt schlichtweg weiter steigt; zum anderen ist die geringe Anzahl von Puts auch ein Zeichen für eine gesunkenes Absicherungsniveau. Auf solchen Märkten wächst die Gefahr für Rückschläge.

Ein deutliches Warnsignal kommt zudem von den Volatilitätsbarometern, in Europa V-Stoxx und V-Dax. Diese Angstkurven hatten sich in der Erholungsphase von den Crashwerten um 80 Prozent in den Bereich 25 bis 30 Prozent zurückgezogen. Das war immer noch ein erhöhtes Niveau im Vergleich zu normal ruhigen Zeiten, in denen Werte zwischen 10 und 20 Prozent üblich sind. Nun ist die Volatilität, die von Profis erwartete Schwankungsbreite des Aktienmarktes, wieder auf über 35 Prozent angestiegen.

Dieses deutlich erhöhte Niveau signalisiert zum einen einen sehr nervösen Markt, der anfällig für extreme Bewegungen geworden ist. Es ist aber noch nicht so hoch wie in den Crashphasen (hier erreicht es Werte von 50 bis 80 Prozent), lässt sich also noch nicht als antizyklischer Tiefpunkt der Aktienkurse interpretieren.

von Frank Doll, Anton Riedl, Heike Schwerdtfeger

Dass auch Krisenwährungen wie der Schweizer Franken oder der japanische Yen, die im Zuge der jüngsten Euphorie einen Dämpfer hinnehmen mussten, nun wieder anziehen, verwundert nicht.

Deutliche Rückschläge bei Auto- und Chemiewerten

Bei den einzelnen Dax-Werten hat der jüngste Rückschlag deutliche Spuren hinterlassen. Besonders stark hat es die zuletzt gut gestiegenen Auto- und Chemiewerte erwischt. Die klassischen Defensivaktien im Dax (Beiersdorf, Deutsche Telekom, Fresenius) kommen dagegen bisher mit kleineren Verlusten davon.

Dennoch, auch bei den Konjunkturaktien hat sich am Szenario der schrittweisen Erholung noch nichts geändert. Bei Volkswagen entsteht zwar neue Unruhe durch die Querelen in der Konzernspitze, die Aktie verläuft aber noch deutlich über der wichtigen Verteidigungszone um 120 Euro.

Daimler meldet im Mai einen Absatzrückgang von 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das ist heftig, doch im April war dieser Wert mit minus 44,5 Prozent noch schlechter. Daimler-Aktien sind zuletzt genau bis zur Durchschnittlinie der vergangenen 200 Tage vorgedrungen und dran nun abgeprallt. Das ist eine völlig normale Marktentwicklung und keine neue Grundtendenz. Solange der Kurs sich oberhalb der Zone 30 bis 31 Euro hält, ist das Erholungsszenario in Ordnung.

Auch BASF-Aktien kamen in der Spitze am 8. Juni bei Kursen von bis zu 58 Euro an die 200-Tage-Linie und zugleich an die Zone der Tiefpunkte der Jahre 2016 bis 2019. Operativ wird bei BASF das zweite Quartal zwar einen herben Einbruch erleben. Dennoch trägt der Umbau, den BASF in den vergangenen Jahren vorgenommen hat, vermehrt Früchte. Als strategischer Glücksfall erweist sich der Zukauf des lukrativen Saatgut- und Pflanzenschutzgeschäfts, das Bayer im Zuge der Monsanto-Übernahme abtreten musste.

Erholungsszenario bislang intakt

BASF ist in seiner neuen Struktur dank reichlich Agrarchemie und robusten Sparten wie Katalysatoren längst nicht mehr der alte, nur konjunkturabhängige Produzent von Chemikalien. Das kurzfristige Rückschlagpotenzial der Aktie liegt zwischen 45 und 50 Euro. Ein Puffer ist die solide Bilanz. Das Eigenkapital je Aktie erreicht nach dem zuletzt veröffentlichten Quartalsbericht immerhin 47 Euro.

Fazit für den Dax: Die besonders euphorische Erholung an den Aktienmärkten von Mitte Mai bis zum 8. Juni hat einen Dämpfer bekommen, im Dow Jones genauso wie im Dax. Bisher hat der Dax den seit März bestehenden Aufwärtstrend, der aktuell bei knapp 11.500 Punkten verläuft, gut verteidigt. Allerdings wäre es kein Wunder, wenn nach drei Monaten steiler Kletterpartie die Ernüchterungsphase im Dax nun einige Wochen anhält. Die entscheidende Untergrenze dafür ist die Schlüsselzone 10.200 bis 11.200 Punkte, in der es von April bis Mai zu einer mehrwöchigen Konsolidierung gekommen ist. Solange der Dax in den nächsten Wochen mindestens dieses Niveau verteidigt, ist das langfristige Erholungsszenario intakt – auch wenn es dabei an einzelnen Tagen zu Schwankungen von mehreren hundert Dax-Punkten kommen kann.

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