Seit der Präsidentschaft von Donald Trump wächst der politische Druck auf die Notenbank. Politischer Druck bedeutet in der Regel immer niedrigere Zinsen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Nun kam es mit der Coronakrise ohnehin schon zu den expansivsten Maßnahmen in der Geschichte der Notenbanken. In Amerika sind die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen seit Jahresanfang von fast 2,0 Prozent auf jetzt 0,7 Prozent gedrückt worden. Und bald könnten sie noch tiefer stehen.
Jahrzehntelang lief die Geldpolitik der Notenbanken über die kurzfristigen Zinsen, zu allererst über die administrativen Sätze, in Amerika die Fed Funds Rate. Das lange Ende, die Bonds, blieben dem Markt überlassen. Dann begann mit dem Aufkauf von Staatsanleihen der Einfluss auch auf die langfristigen Zinsen. Nun könnte, als dritte Stufe, eines Tages auch der direkte Zugriff der Notenbanken auf die Anleihezinsen erfolgen. Dann dürften auch in Amerika, wie in den anderen Industrieländern, die Renditen der Bonds in Richtung Null gehen. Eine weitere, schwere Coronawelle in den USA würde diese Entwicklung mit Sicherheit beschleunigen.
Weiter negative Anleihenrenditen
Schon seit Ende März zeichnet sich am US-Anleihemarkt eine Konstellation ab, bei der die zwischenzeitlichen Zinsanstiege immer kleiner ausfallen. In der Regel ist eine solche Entwicklung ein Vorzeichen dafür, dass es am Anleihemarkt bald einen weiteren Renditerutsch geben könnte. In Amerika wäre das dann der Weg zum Nullzins.
In Europa schwanken die Renditen für zehnjährige Bundesanleihen seit der Coronakrise zwischen minus 0,2 und minus 0,8 Prozent. Derzeit liegen sie bei minus 0,4 Prozent. Da der Zinsabstand zu den USA deutlich ist, dürfte ein Rückgang der US-Raten nur noch einen moderaten Einfluss auf die Zinsen hierzulande haben. Unterm Strich sollte dies dazu führen, dass die Renditen in Europa auf absehbare Zeit im negativen Bereich bleiben, selbst wenn sich die Wirtschaft zwischenzeitlich etwas erholt.
Die tendenzielle Schwäche, die der Dollar seit einiger Zeit gegenüber dem Euro zeigt, ist eine Bestätigung dieses Szenarios. Gut möglich, dass der Euro in den nächsten Wochen über 1,14 Dollar steigt, den Hochpunkten seit Frühjahr 2019. Mittelfristig könnte das dann einen Anstieg in den Bereich 1,20 bis 1,25 Dollar zur Folge haben.
Für die Aktienmärkte ist das Szenario dauerhaft niedriger beziehungsweise negativer Zinsen ein entscheidender Stabilisator. Wie wichtig der ist, wird sich in den nächsten Wochen zeigen, wenn weltweit die Unternehmenszahlen zum zweiten Quartal auf den Tisch kommen, dem eigentlichen Coronaquartal. Nachdem in vielen Branchen im April die Produktion fast völlig zusammengebrochen ist, wurde die Entwicklung im Mai naturgemäß nicht noch schlechter. Im Juni, so ist von Unternehmen zu hören, mehrten sich Entspannungssignale.
Argumente gegen ein düsteres Szenario
Im Gesamtbild deutet sich damit für dieses Jahr ein konjunktureller Verlauf an, der bis Februar stabil war, im März abkippte und im April einen nie dagewesenen Absturz erlitt. Im Mai kam es zu einer Stabilisierung auf niedrigstem Niveau, und seitdem geht es wieder langsam nach oben. Die Erholung an den Rohstoffmärkten, besonders bei Kupfer, Aluminium und bei Öl, spricht ebenfalls dafür, dass die Gesamtkonjunktur langsam wieder Fahrt aufnimmt.
Die entscheidende Frage ist nun, ob es noch einmal zu einer zweiten Coronawelle kommt und ob diese Welle die Erholungstendenz der Konjunktur abbrechen könnte.
Es gibt zwei wichtige Argumente, die gegen ein düsteres Szenario sprechen: Zum einen gibt es bei der Eindämmung des Virus Fortschritte - von möglichen Medikamenten und Impfstoffen bis zu effizienteren Strategien im Umgang mit der Krankheit. Zum anderen haben die meisten Unternehmen mittlerweile gelernt, mit dem Virus zu leben. Selbst wenn es also noch einmal zu einer Welle kommen sollte, dürfte die bei weitem nicht mehr so schwer einschlagen wie im Februar und im März.
Für den Dax heißt das: Die Zahlen zum Coronaquartal können zwar im Einzelfall, sollten sie besonders schlecht ausfallen, noch einmal zu Rückschlägen führen. Insgesamt aber dürfte die Erholungstendenz an den Märkten dadurch nicht abgebrochen werden.
In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass alle Dax-Aktien – mit der Ausnahme des Falls Wirecard – die Korrekturen seit Anfang Juni problemlos überstanden haben. Eine ganze Reihe von Aktien (Deutsche Post, FMC, Beiersdorf, Deutsche Börse AG, SAP) hat dabei sogar kurzfristig neue Höchstkurse gebildet. Diese kollektive Stabilität ist in deutliches Zeichen der Marktstärke. Der Dax sollte damit kein Problem haben, die in den nächsten Wochen veröffentlichten Zahlen des Coronaquartals zu überstehen, wahrscheinlich in der Bandbreite 12.000 bis 13.000 Punkte. Die vor einer Woche hier angedeutete Entspannung bei den Volatilitäten, den erwarteten Schwankungen an den Aktienmärkten, hat mittlerweile eingesetzt und spricht ebenfalls für widerstandsfähige Märkte.
Der nächste Dax Radar erscheint erst wieder Ende Juli.
Mehr zum Thema
An der Börse sieht es so aus, als wären die hohen Verluste im Corona-Crash verdaut, der Optimismus zurückgekehrt. Aber eine zweite Corona-Infektionswelle ist nicht ausgeschlossen und die nächste Krise kommt bestimmt. Wie Sie Ihre Geldanlage langfristig stabil, rentabel und auch für die Zukunft krisenfest ausrichten, erfahren Sie im WirtschaftsWoche-Dossier „Anlegen nach dem Corona-Crash“. Aktuelle Wertpapier-Empfehlungen finden Sie darüber hinaus in den Anlagetipps der Woche, immer freitags im Heft und online.