Riedls Dax-Radar
Keine Angst vor dem Herbst-Crash. Quelle: Getty Images

Keine Angst vorm Börsenherbst!

Die Zinsen steigen, doch Dow Jones und Dax stecken das weg. Das Comeback der Technologieaktien spricht für einen guten Herbst und gegen einen Crash. Sogar die Allianz-Aktie kommt wieder.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Kann es sein, dass Jerome Powell konsequenter ist als gedacht? Der Chef der amerikanischen Notenbank betonte bei der jüngsten Zinserhöhung ausdrücklich, dass es der Fed nicht um allgemeine Politik gehe, sondern um Inflation und Konjunktur. Das kann man direkt gegen Trump gerichtet sehen, der sich auch gar nicht begeistert zeigte von der jüngsten Leitzinserhöhung in den Bereich 2,00 bis 2,25 Prozent. Was wird Trump erst sagen, wenn die Fed im Dezember die Zinsen abermals hochsetzt und an ihrem Plan festhält, bis 2021 auf 3,4 Prozent zu gehen?

Die Politik der Fed ist durchaus erfolgreich. Schon Powells Vorgängerin Janet Yellen ist es gelungen, die Zinswende in den USA einzuleiten, ohne dass Wirtschaft und Anlagemärkte abstürzten. Als Anleger kann man sich das nicht oft genug vor Augen halten. Jahrelang war es das Mantra der Pessimisten, dass die Aktienmärkte kollabieren, wenn die Notenbanken die Zügel anziehen.

Und die Fed wird das aller Voraussicht nach noch auf Jahre hinaus tun. Ein Ziel von 3,4 Prozent Leitzins im Jahr 2021 anzugeben ist mutig. Dass sich Wirtschaft und Inflation bis dahin wie gewünscht entwickeln, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber auch ziemlich unsicher. Im Augenblick sieht es gut aus: Die US-Wirtschaft soll in diesem Jahr um mehr als drei Prozent zulegen, im nächsten Jahr noch um 2,5 Prozent. Die Inflation liegt einen Hauch über dem Idealniveau von zwei Prozent; am Arbeitsmarkt herrscht praktisch Vollbeschäftigung.

Die spannendsten Dax-Aktien der Woche

Powell wäre naiv, wenn er diesen Zustand auf Jahre hinaus als zementiert betrachten würde. Schon die Folgen des aktuellen Handelsstreits, die Powell durchaus im Blick hat, könnten die Rechnung beeinträchtigen. Der Anstieg des Ölpreises über 80 Dollar (Brent) kommt den USA als Rohstoffland zugute, doch ab wann beginnen die restriktiven Folgen steigender Ölpreise – ab 90 Dollar, ab 100 Dollar? Was passiert, wenn es nicht mehr bei der gewünschten Inflation von zwei Prozent bleibt, sondern es angesichts von Vollbeschäftigung, Geldmenge, teurer Rohstoffe, Immobilienpreise, Mieten und Löhne ein Überschießen nach oben gibt?

Die Währungsmärkte setzen auf langfristig höhere US-Zinsen

Nach der jüngsten Zinserhöhung der Fed ist die Rendite der taktgebenden zehnjährigen US-Staatsanleihe bis auf 3,1 Prozent gestiegen; derzeit liegt sie bei 3,05 Prozent. Das entspricht genau dem Top-Niveau vom Mai dieses Jahres und der Spitze vom Jahreswechsel 2013/2014. Wenn ein Markt eine so wichtige Hürde touchiert, ist das ein Zeichen von Stärke: Je öfter ein Widerstand berührt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er früher oder später genommen wird. Angesichts des vorgezeichneten Szenarios der Fed dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Rendite der zehnjährigen US-Bonds über die Marke von 3,1 Prozent klettert. Die nächste große Hürde läge dann bei 3,5 bis 3,7 Prozent.

Die Währungsmärkte stellen sich schon darauf ein. Bis vor kurzem deutete der starke Euro eher auf eine weniger konsequente Fed-Politik. Der jüngste, massive Abtaucher des Euro unter die Marke von 1,17 Dollar jedoch zeigt wieder in die andere Richtung. Und das dürfte bedeuten: Der Anstieg der US-Zinsen geht weiter, die Zinsen in Europa ziehen allenfalls mit, und der Abstand zwischen US-Zins und EU-Zins (auf zehn Jahre derzeit 2,5 Prozentpunkte) dürfte sich substanziell kaum verringern.

An den US-Aktienmärkten fallen die Reaktionen bisher moderat aus. Der Dow Jones ging zwar kurz nach der Zinserhöhung in die Knie, hält bis zur Stunde aber seine mittelfristige Aufwärtsbewegung, die seit Anfang Juli läuft. Der Abstand zur steigenden 200-Tage-Linie beträgt etwa fünf Prozent – das ist stabile Hausse, ohne Übertreibung. Dass der Markt am Hoch vom Januar eine Pause einlegt, ist völlig normal. Optimal wäre es, wenn der Dow Jones in den nächsten Wochen den Bereich um 26.000 Punkte verteidigt. Dann könnte es bis Jahresende noch einen Anstieg über das bisherige Hoch bei 26.800 Punkten geben.

Zugute kommt dem Markt das Comeback der Technologiewerte. Der Nasdaq-100-Index hat sich im kurzfristigen Bild auf der Basis 7.400 Punkte stabilisiert und ist zuletzt über die Hürde bei 7.600 gekommen. Das ist ein Zeichen von Stärke. Große Einzelwerte wie Apple, Amazon und Microsoft sehen gut aus, haben zuletzt sogar wieder an Dynamik gewonnen.

SAP und Allianz als Investment, Thyssenkrupp als Spekulation

Das färbt direkt auf den Dax ab. Hier ist der wichtigsten Aktie des Index und zugleich dem einzigen deutschen High-Tech-Unternehmen, das in der Liga der großen US-Adressen spielt, ein All-Time-High gelungen: SAP-Aktien haben in einem mustergültig durchgehandelten Ausbruch, der von substanziellen Käufen getrieben wurde, die Hürde bei 105 Euro genommen und mit bisher 108,50 Euro ein neues Top erreicht. Ein Aktienmarkt, dessen wichtigster Einzelwert sich so gut entwickelt, ist kaum anfällig für einen Crash.

Auch weiter unten in der Dax-Hierarchie kommen die Käufer: Bei der Allianz und der Münchener Rückversicherung. Beide Aktien profitieren davon, dass sich das operative Geschäft dieser Unternehmen gut entwickelt, dass Bewertung und Dividende der Aktien attraktiv sind. Nun kommt als besondere Triebkraft die Aussicht auf höhere Zinsen dazu. Sie erleichtern es den Versicherern, aus den Geldern ihrer Kunden ansprechende Renditen zu erwirtschaften. Anlagefavorit ist die Allianz, ihr Geschäft ist weniger anfällig für unvorhergesehene Schwankungen des Wetters als das der Münchener Rück.

Durchgehend positiv ist die Entwicklung im Dax keineswegs. BMW muss, wie die anderen Autounternehmen auch, wahrscheinlich einige schwache Monate durchstehen. Zu den Problemen um Abgase, Zollpolitik und hohe Investitionen kommen Auseinandersetzungen mit dem eigenen Händler-Netz. Ob sich BMW-Aktien am kurzfristigen Tief um 77 Euro halten, ist fraglich. Da die gesamte Branche unter Druck steht und Daimler und VW an der Börse noch einen Tick günstiger gehandelt werden, besteht für BMW weiteres Kursrisiko. Die nächste Auffangzone wäre der Bereich der 2016er-Tiefpunkte zwischen 65 und 70 Euro.

Schwach ist Henkel. Hier bremst die enttäuschende Entwicklung der Kosmetiksparte, dazu spürt Henkel im Klebstoffgeschäft den Verfall der türkischen Lira. Mehr als eine kurzfristige Erholung dürfte vorerst kaum möglich sein. Mittelfristig reicht das Risiko bis auf 90 Euro.

Ein fulminantes Comeback schafft Thyssenkrupp. Nun soll es doch zu einer Aufspaltung kommen, nachdem gerade in den vergangenen Wochen die Zweifel an einer solchen Lösung wieder lauter wurden. Wenn eine Aktie, die einen breiten Markt hat wie Thyssenkrupp, auf einen Schlag um mehr als zehn Prozent steigt, liegt eine grundlegende Neubewertung in der Luft. Dann ist es auch nicht damit getan, wenn das Thyssenkrupp-Papier von 20 auf 22 Euro steigt.

Kommt es nun wirklich zu einer Aufspaltung des Industriegeschäfts (Aufzüge, Autozulieferung, Anlagen) und des Materialgeschäfts (Stahl, Metalle, Handel), dann ist Thyssenkrupp mehr wert als die aktuell bezahlten knapp 14 Milliarden Euro. Allerdings, der Weg dahin ist weit: 12 bis 18 Monate geben sich die Thyssenkrupp-Manager selbst, bis sie die Aufteilung festzurren mit allen Einzelheiten – von den Geschäftseinheiten über Altlasten und Pensionen bis zur Zuweisung von Eigenkapital und Schulden. Dass dabei die Kruppstiftung und die Belegschaft eine besondere Rolle spielen, wird an der Börse oft übersehen. Ebenso die Tatsache, dass Thyssenkrupp zwar deutlich mehr als 40 Milliarden Euro Jahresumsatz macht (und deshalb bei 14 Milliarden Euro Börsenwert prima vista günstig ist), ein großer Teil dieses Umsatzes jedoch aus Handel besteht, also nicht den Wert eines echten Industrieumsatzes hat. Insgesamt haben sich die Aussichten für die Aktie nun zwar deutlich verbessert, eine harte Spekulation bleibt Thyssenkrupp nach wie vor.

Fazit für den Dax: Die stabile Entwicklung der US-Börsen dürfte dem Dax helfen, tendenziell steigende Zinsen zu verkraften. Durch Kursschocks angeschlagener Einzelwerte (BMW, Daimler, Continental, Bayer) hat der Gesamtmarkt spekulative Luft abgelassen, führende Titel (SAP, Allianz) geben ihm Stabilität. Der Anstieg über 12.100 Punkte ist dem Dax Mitte September gelungen, der Anstieg bis 12.600 Punkte (hier verläuft die 200-Tage-Linie) steht noch aus. Mit Rückenwind aus Amerika sollte der Dax das in den nächsten Wochen schaffen.

Der nächste Dax-Radar erscheint Mitte Oktober

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%