Riedls Dax-Radar
Quelle: imago images

Kurskorrektur oder Beginn der Baisse?

Deutliche Verluste bei Einzelaktien und schneller Abverkauf nach Kurserholungen signalisieren, dass der Abschwung weitergeht. Warum an der Börse dennoch nicht die Lichter ausgehen – und wann der Dax unten sein könnte.

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Die Wirtschaft in Europa, so EZB-Chef Mario Draghi, weise derzeit etwas weniger Schwung auf, sei aber auf gutem Weg. Die Inflation pendelt um das Wunschniveau zwei Prozent, das GfK-Konsumklima ist robust. In Amerika ist die Wirtschaft ungebrochen stark. An der Zinstendenz in Europa und den USA hat sich nichts geändert: In der EU wird es wahrscheinlich bis Ende 2019 keine Zinserhöhung geben. In den USA ist die Zinswende da, im Bereich über drei Prozent aber wird die Anstiegsdynamik der zehnjährigen Bonds geringer.

Die EU leidet unter den Unsicherheiten des Brexits und den Haushaltsproblemen Italiens. In China stellt sich die Frage nach der Dauerhaftigkeit des konjunkturellen Aufschwungs. Der Ölpreis pendelt zwischen 70 und 85 Dollar. Die Unternehmensergebnisse sind gemischt: Gute kommen derzeit von Microsoft, Intel oder SAP; schlechte von Daimler, BASF oder Fresenius.

Vergleicht man diese Skizze zu Konjunktur, Zinsen, Unternehmen und Geopolitik mit der Situation von vor vier Wochen oder von vor vier Monaten, so wird man feststellen: substanziell hat sich seitdem kaum etwas verändert.

Die spannendsten Aktien der Woche

Warum aber stürzen dann die Aktien weltweit so stark ab?

Im Grunde gibt es dafür zwei Antworten: Entweder, die Märkte haben recht, oder sie haben nicht recht.

Wenn die Märkte recht haben, dann nehmen sie mit ihrer plötzlichen Abwärtstendenz etwas Unheilvolles vorweg; womöglich einen schweren Konjunkturabschwung, ein plötzliches Überschäumen der Inflation, politische Turbulenzen oder den Niedergang wichtiger Unternehmen oder ganzer Volkswirtschaften.

Eingetreten ist dieser Fall in den vergangenen Jahrzehnten zweimal. In der Hightech-Krise kurz nach der Jahrtausendwende und in der Finanzkrise 2008. In beiden Fällen drehten die Aktienmärkte schon vorher ab, bevor in der Realwirtschaft Schwächen ans Licht kamen. Der Kursrückgang an den Anlagemärkten gab frühzeitig Signale für Fehlentwicklungen: unrentable Geschäftsmodelle im Internetboom; Überschuldungen und toxische Wertpapiere in der Finanzkrise. In beiden Fällen entwickelten die schweren Kursverluste dann auch noch eine Eigendynamik und verstärkten die Folgen des allgemeinen Abschwungs.

Anders sah das aus im Kursrückgang 2011. Damals wurde monatelang über das Thema Staatsverschuldung diskutiert. Plötzlich kam die Angst auf, die USA könnten pleitegehen. Eine Gefahr, die mit einem administrativen Federstrich schnell wieder gebannt wurde – und der Kursaufschwung setzte sich fort. Den Kursrückgang Sommer 2015 löste die Furcht vor dem Ende des Wirtschaftswachstums in China aus – bis die nächste Statistik die Anleger wieder beruhigte. Anfang 2016 war es die damals wacklige US-Wirtschaft, die zu vorübergehenden Kursverlusten führte. Sorgen um automatisierte Verkaufsprogramme von Großanlegern kamen dazu.

Eine Korrektur können Anleger durchstehen, eine Baisse wird richtig teuer

Nach dem Platzen der Hightech-Blase verlor der Dax in drei Jahren 70 Prozent seines Werts. In der Finanzkrise ging es in eineinviertel Jahren um 55 Prozent nach unten. Die Rückschlagphasen 2011 bis 2016 dagegen waren harmloser: Hier gingen die Märkte jeweils für rund zwei Monate in die Knie, die Verluste betrugen 20 bis 30 Prozent.

Diese Gründe sprechen für eine Korrektur

In der Internetkrise und in der Finanzkrise hatten die Märkte mit ihrer Richtungsänderung recht, es kam zu einer schweren Baisse. In den anderen Fällen hatten die Märkte nicht recht, an der Börse blieb es bei vorübergehenden Korrekturen.

Wie sieht die Situation jetzt aus? – Geht es nach den Notenbanken in Europa und USA, ist keine große Gefahr in Verzug. Forschungsinstitute, Banken und Wirtschaftsorganisationen sehen über die bekannten Probleme der vergangenen Monate hinaus substanziell keine neuen großen Risiken.

Selbst bei den Unternehmen, die jetzt schlechte Nachrichten liefern, kann es schon von nächstem Jahr an wieder besser aussehen. BASF ist vom Konzernumbau belastet, der sich aber schon von 2019 an auszahlen könnte. Bei Covestro treibt die Angst vor dem Chemieabschwung die Kurse nach unten, dabei ist der langfristige Trend hin zu hochwertigen und leistungsfähigen Kunststoffen ungebrochen. In der Autobranche stecken Daimler, Volkswagen und BMW mitten im Umbruch; am enormen Bedarf an Mobilität aber wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern. In der Chipbranche wird seit Monaten über den zyklischen Abschwung diskutiert (im Dax belastet das besonders Infineon); Intel allerdings, die Nummer Eins der Branche, verdient erstaunlich gut und erhöht nun sogar den Ausblick.

Insgesamt gesehen spricht derzeit mehr dafür, dass die Anlagemärkte in einer Korrektur stecken und nicht am Beginn einer Baisse. Um 20 bis 30 Prozent verlor der Dax in den Marktkorrekturen der vergangenen Jahrzehnte an Wert. Nimmt man einen groben Mittelwert von 25 Prozent, ergäbe das gerechnet von der Kursspitze im Dax (13.568 Punkte im Januar dieses Jahres) eine Zielzone bei etwa 10.200 Punkten.

Zu dieser Projektion passt die kurzfristige Chartanalyse: Die theoretischen Mindestziele der Wendeformation, die der Dax 2017 bis 2018 gebildet hat und aus der er mit einem Verkaufssignal nach unten herausgerutscht ist, liegen bei 10.800 bis 10.300 Punkten. 

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